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Abgesang

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Es ist noch nicht lange her, seit in Leit- gebs Freundeskreis sein .Gedicht „Herbstgesang“ bekannt wurde, das beginnt:

„Denkt meiner dereinst, wenn ich nicht mehr bin und der Herbst in die Wälder herabkommt ..

und das, gerichtet an seine Freunde, die um das Licht der Stube vereinigt sind, schließt:

„Ihr redet vom Jahr, wie es alt wird und stirbt und wie innig das Sterben euch anrührt, ihr redet vom Obst und vom. Wein und vom Wild und wie innig das Leben euch anrührt, und schweigt ihr auf einmal und wißt nicht warum

(als löschte der Nachtwind ein Licht aus) — so wisset denn, Freunde, dies Schweigen bin ich.

O schweigt, und laßt mich bei euch sein solange nur, wie man zum Nachdenken braucht und im Lächeln sich stumm zu verstehn I

Damals, als Leitgeb es unter dem Titel: „An meine Freunde in St. Konstantin“ an einem literarischen Abend in Hall in Tirol vorlas, berührte es schmerzlich im Bewußtsein, er ahne ein frühes Sterben.

Er nahm das Leben aus innerem Wesen nicht leicht — schon von Kindheit an. In seinem Bekenntnisbuch „Das unversehrte Jahr“ heißt es: „Ein ödes Ahnen der Leere und Vergeblichkeit alles Irdischen sucht auch Kinder heim, und wie ich oft mutterseelenallein der Süße des Daseins wunschlos inneward, so kannte ich früh schon das Gefühl, daß die Welt plötzlich urfremd und voll einer unsäglichen Trauer sein kann, als hätte sie ihren Sinn vergessen und starrte sprachlos ins Nichts/ Dieser schwermütige Grundklang beherrscht seine Lyrik vom ersten Band „Gedichte an, die von seinem Zusammenfinden mit dem „Brenner -Kreis Ludwig von Fickers zeugen, gedanklich an Trakl knüpfen und noch voll jugendlichem Ungestüm sind, aber schon starke Formbändigung verraten, und dem bekenntnishaften Sonettenband „Läuterungen“, der das Erlebnis eines Junglehrers in Dorf, großer und kleiner Stadt spiegelt, eine eigenwillige Weltschau aus tiefer Einsamkeit, ein Reifen aus Verwirrung in den „hellen Tag“,, der schöner ist als der Traum, hinter dem aber noch der „Dämon befiehlt, „zu horchen und zu singen, des Unsichtbaren Ohr und Mund zu sein.

Das meiste des ersten Bandes ist in die spätere Sammlung von Leitgebs Lyrik „Vitasomniumbreve“ übergegangen. Der Dichter hat sie, einer inneren Zahlensymbolik folgend, gereiht. In fünf großen Zyklen wölbt sich das Werk: Gedanken über Dichtung stehen am Anfang. „Am Grabe Georg Trakls“ sinnt Leitgeb dem „Bruder nach, der „aus des Lebens dunklem Sinn und Wahn in den Tag zurückgeflogen“. Schwermut liegt über den Versen. Der Dichter ist der Einsame, der stürmische Wanderer, der ewige Frager, der seltene Gast, dessen „Gott harrt . Fremd und schwermütig steht er an der „Zisterne den Zeit“, in der das Vergangene von fremden Sterner bespiegelt wird. Im „Karwendel erscheinen bange Bilder, dann wieder Eindrücke eines panischen Naturgefühls, groß und weit. Baumkronen rauschen voll Feme. Der Mond ist rot, „ungeheuer brennt das weiße Sonnenfeuer“ und „schwarz erscheinen im Mittag die Gestirne . Das Gesetz der Gestirne, das Dämmern der Tiere und das Leben der Menschen hat einen Rhythmus wie das Atemholen der Erde, die Gezeiten und der Puls. Auch Bilder aus dem Süden sind voll dieses Allgefühls, das zuweilen pantheistisch, zuweilen auch christlich, immer aber trunken von Leben erscheint, voll tiefer Farben wie die „Prozession vor dunklen Lauheit und roten Lampen, ein Bild vom Gardasee, an dessen Gestade Leitgeb beglückte Stunden verlebte.

„In dunkler Laube, engen Gassen glühn blutrote Lampen, rote Wundenmale, Nachtblumen, die aus heiligem Grabe blühn Laternen schweben bunt im offnen Saale, geweihten Lichtes Wolken ziehn im Wind, die Kirche dröhnt vom düsteren Chorale.

Sie öffnet sich, das Banner trägt ein Kind. Der Frauen Schritte sind im Traum versonnen, das Mondlicht fließt von ihren Wangen lind.

In ihren Augen glänzen Liebesfunken.

O süßer Jesus in der Leidensnacht!

Am Busen schläft das Kindlein zaubertrunken.

Die Männer singen, und es schwillt mit

Macht das alte Lied aus den gedrängten Mauern, als stieg es auf aus einem finstern Schacht.

Und immer lauter ruft der Chor der Bauern, die stummen Fischer öffnen ihren Mund, da fliegt das Bannerlied aus Todesschauern:

Sie schauen Segel über schwankem Grund und sehn im Mast die Osterfahnen wallen, Vexilla regis prodeunt,

Und Gottes Auferstehung singt aus allen.

Bilder des Südens glühen noch im Winter der Heimat. Der Föhn ist dem Dichter „der Wind voll Farben süß und heiß . Der Natur, den Jahreszeiten, der „geliebten Erde , der Liebe gelten andere Strophen und dem Kinde. „An ein Kind heißt ein eigener Zyklus voll Schwermut und banger Weltschau mit dem „Gebet“ in das „Grauen der Weltnacht“ und den skeptischen Worten:

„Mächte jenseits dessen, was ich begreife, jenseits aller Namen, jenseits des Todes, ob ihr mich hört, ob ihr taub seid, zu groß oder fern mir — allzu tief ist das Dunkel der Nacht, ich wache und bete.“

Diese Verse stehen im neuesten Lyrikband „Lebenszeiche n , in dem Leit- gebs dichterische Magie, Unsagbares Wort werden zu lassen, zur Meisterschaft geworden ist. Zudem sind Versrhythmus und natürlicher Satzbau zu einer selten ungezwungenen Einheit gewachsen. Der Sprachrhythmus des Dichters und der Vers sind eins. Und die Melodie dieser Strophen hat trotz des Ernstes des Themas etwas Einschmeichelndes. Als Beispiel das Gedicht von der „Alten Fähre“:

„Lautlos treibt die Fähre — treibt ein Traumboot durchs Gemüt? — durch die Flut, die abendschwere, die von roten Himmeln glüht.

Traumverzücktes Fahren, spürbar kaum der Zug des Bootsi ist’s vor vielen tausend Jahren oder jenseits schon des Tods?

Thematisch ist das Werk ein Dokument dichterischer Verwandlung des persönlichen Leids ins Allgemeine. Die Mitte hat der Zyklus „Klage (um den Sohn, der nicht mehr heimkehrte). Er ist eine erschütternde Lektüre. Davor steht der Abschnitt „Krieg“, in ihm die Gruppe „Von Herbst zu Herbst“, in der das Kriegsgeschehen mit dem Naturgeschehen des Jahres in einer ungemein intensiven dichterischen Verflechtung und Verdichtung erscheint, im Winter, wo, wenn der Abend heraufkommt, „die Toten träumen von Gottes verborgenem Spiel“, oder im Sommer, wo trotz des Krieges „quollen die Nächte heraus aus dem Urgrund warm, wie vom Blut durchströmt, blühend von süßem Jasmin, von goldnen Gestirnen.

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