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Trakl und Kaspar Hauser

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TRAKL UND WASSERMANN. Von Gottfried Stix. Edizioni di Storla e Letteratura, Roma 1968, 133 Seiten.

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TRAKL UND WASSERMANN. Von Gottfried Stix. Edizioni di Storla e Letteratura, Roma 1968, 133 Seiten.

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Wer die Arbeiten und Vorträge Georg Trakls von Gottfried Stix, Germanist an der Universität in Rom, kennt, weiß ihren nahezu nüchternen Realismus zu schätzen; denn von streng literarhistorischen und philologischen Unterlagen aus begibt er sich mit seinem Einfühlungsvermögen, das diese strenge Genauigkeit nie aus dem Auge verliert, in die dunkle Welt des Dichters. Ihre verschlossene Entrücktheit verführt gern zu ausschweifend kombinierender Interpretation. Daher erfährt sie auch die widersprüchlichsten Deutungen, von nihilistischer Untergangsvision bis zu gläubiger Christlichkeit. Die Lebensdaten Trakls sind schon sehr spärlich, erst recht die seiner literarischen Einflüsse und Vorbilder. Seine orakelhaften, sibyllinischen Worte und Sprüche mit frappanter Bildlichkeit, wie es in den Erinnerungen an Georg Trakl heißt, geben manches Rätsel auf. Gottfried Stix versucht nun, streng philosophisch, nachzuweisen, wie der Erlebnisgrund der dichterischen Symbolik Trakls in einer ganz objektgebundenen Bilderwelt unmittelbarer Sinneseindrücke liegt. Damit gelingen ihm überzeugende Deutungen mancher schwer verständlicher Bilder, deren Ursprung einfach im Sinneseindruck zu suchen ist. Neben dem Erfühlen der Sinneswelt gilt es natürlich auch „den Nachvollzug so mancher Lektüre, die den Dichter beeindruckte“, zu leisten. Manches wurde zu Tage gefördert, so z. B. der starke Einfluß französischer Literatur. Stix gelingt es nun, die Grundlagen zu einer zentralen Figur der Dichtung und des Lebens dieses österreichischen Lyrikers zu entdek- ken, nämlich Kaspar Hauser. „Ich werde endlich doch immer ein armer Kaspar Hauser bleiben“, gestand Trakl. Dieses Geständnis verpflichtete Stix zur Ausforschung der Quellen. Manche literarische Verarbeitung des Hauser-Themas mag Trakl angeregt haben, doch Stix weist nun überzeugend nach, daß der entscheidende Einfluß vom Werke Jakob Wassermanns „Caspar Hauser oder die Trägheit des Herzens“ kommt, das Trakl noch in Salzburg gelesen haben muß. Nicht nur die Bilder des „Kaspar-Hauser-Liedes“ sind von ihm angeregt worden, sondern viele von ihnen bleiben fester Bestandteil im Gesamtgefüge der Lyrik Trakls. Sowohl die eigenartige Welt Wassermanns wie die von ihm im Roman dargestellte Welt Hausers müssen einen nachhaltigen Eindruck in Trakl hinterlassen haben. Zug um Zug eröffnet Stix das Zusammenspiel dieser Figuren in der Seele Trakls, aus dem dann die Lyrik ihre selbständig anverwandelte Bilderwelt entfaltete. Es ist für den interessierten Leser spannend, die einzelnen Züge zu verfolgen und plötzlich vieles, was sich einer glaubwürdigen Interpretation hartnäckig entzogen hatte (z. B. die Elis-Gestalt, Kindheit, Paradies usw.), in ganz anderem Licht zu sehen. Und wie gesagt, trotz aller Einfühlung und Ausweitung der Interpretation, bleibt Gottfried Stix hart an der Wirklichkeit, streng realistisch am vorgefundenen Tatsachenmaterial, dem sich keine, noch so geistvolle Interpretation entziehen darf.

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