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Tiroler Villon und Minnesänger

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Von der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, erschien unlängst im J. G. Bläschke Verlag, Darmstadt, das Erzählbändchen „Mit der Seele des Wolfs“. Autor ist der am 30. Juni 1911 in Innsbruck geborene Sepp Weidacher. Wer ist dieser Mann? Er gehört nicht zu den Erfolgsliteraten, aber er darf zu jenen Schreibenden gezählt werden, die mehr sind als geschickte Formulięrer und güte Stilisten. — Oft weitet sich eine merkliche Kluft Zwischen dem geistig Schaffenden und seinen Erzeugnissen. Nur selten findet man einen, dessen Werk sich mit dem Menschen weitgehend deckt. Diese Konsonanz trifft in hohem Maße bei Weidacher zu. Ein Künstler, der sein Werk lebt und sein Leben zum Werk macht.

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Von der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, erschien unlängst im J. G. Bläschke Verlag, Darmstadt, das Erzählbändchen „Mit der Seele des Wolfs“. Autor ist der am 30. Juni 1911 in Innsbruck geborene Sepp Weidacher. Wer ist dieser Mann? Er gehört nicht zu den Erfolgsliteraten, aber er darf zu jenen Schreibenden gezählt werden, die mehr sind als geschickte Formulięrer und güte Stilisten. — Oft weitet sich eine merkliche Kluft Zwischen dem geistig Schaffenden und seinen Erzeugnissen. Nur selten findet man einen, dessen Werk sich mit dem Menschen weitgehend deckt. Diese Konsonanz trifft in hohem Maße bei Weidacher zu. Ein Künstler, der sein Werk lebt und sein Leben zum Werk macht.

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Sepp Weidacher ist kein Salonpoet, sondern ein Dichter, der unmittelbar aus des Lebens wechselvoller Fülle schöpft. Und das Füllhorn seines Daseins quillt von Eindrücken über. Sein Leben ist in jeder Beziehung außergewöhnlich und überhaupt nicht zeitgemäß. Freunde bezeichnen ihn gerne als den „Tiroler Villon“ oder den „letzten Minnesänger“. Und diese Attribute kommen nicht von ungefähr. Er ist überall und nirgends — ein Außenseiter, der die ausgelassene Geselligkeit liebt und die asketische Zurückgezogenheit. Wie ein Kobold taucht er auf: ein mittelgroßer, hagerer Geselle mit hoher Stirn und grauer Mähne. Wie Irrlichter glänzende helle Augen, und Ohren wie Fledermäuse. Mit lebhafter Gestik, die Unterlippe eigensinnig vorgeschoben, tritt er in den Kreis, lädt — je nach Stimmung — die Anwesenden zu übermütigem Spiel ein oder zieht sie mit fast magischer Kraft in den Bann seiner Worte.

Solche Verzauberung geht auch von seinem jüngsten Werk aus. Nachts unter der Ulme, Wer die Rohrdommel stört, Moorsaga, Mephisto am Rhein, Mit der Seele des Wolfs ,.. Geschichten ajjs dem Leben, Erlebnisse eines Vaganten, verklärt und verdichtet. Weidachers Welt ist dunkel und geheimnisvoll wie ein Bild von Rembrandt. Weidachers Welt ist groß. Er ist als Schreiber in den Wäldern Skandinaviens genauso zu Hause wie auf den karstigen Höhen Siziliens, kennt die sturmgepeitschte Nordsee wie die Schneehölle der Alpen. Und überall tauchen Dämonen auf, in Menschen- und Tiergestalt, verhängnisvolle Fügungen zeigen sich an. So tragisch und düster die Ereignisse auch sein mögen, Weidacher schildert sie in einer eindringlichen Sprache von betörender Melodik. „Mir ist nichts fremd, mir ist nichts ferne. Ich trinke aus dem blauen Krug der Nacht — die Sterne“, sagt er in einem seiner Gedichte, wovon eine kleine Auswahl in dem bei A. Schendl, Wien, erschienenen Lyrikbändchen „Das Auge des Pan“ gesammelt ist.

Weidachers Werk läßt sich auf dem langen verworrenen Pfad verfolgen, den der nun Dreiundsechzigjährige seit seinen Kindheitstagen im Innsbrucker Stadtteil Mariahilf zurücklegte. Vielleicht schon bezeichnend für sein Schicksal ist die Tatsache, daß er in einem Gasthaus das „Petroleumlicht der Welt“ erblickte Später führten ihn musikalische Wanderungen durch ganz Österreich in die Schweiz, nach Bayern und während des Krieges als Soldatenbetreuer nach Italien, Frankreich und Skandinavien. Auf den heißer Bergen Siziliens entstand sein bekanntestes Lied „Ich hab’ von Südtirol geträumt“. Diese schwermutsvolle Weise läßt erkennen, daß auch dieser ewige Wanderer nicht von dei Tiroler Volkskrankheit, dem Heimweh, verschont wurde. Weidachei bringt aber auch die Dur-Akkorde überzeugend zum Klingen, wenn ei etwa sein Vagantenlied anstimmt „Wolken und Wind sind meine Gesellen, der Leichtsinn ist mein Kumpan …“.

Schon lange bevor Sepp Weidachei in Innsbrucks bekanntestem Altstadit. lokal mit dem Saitenspiel die Gäste zu fröhlichem Übermut trieb odei zu Tränen rührte, war er mit seinei Zither unterwegs. In den karger dreißiger Jahren, als er miit dem Vater von Wirtschaft zu Wirtschaft zog und mithalf, das dürftige Familieneinkommen aufzubessern, wurde ihm die unstete Lebensführung zur Gewohnheit. Das Singen und Musizieren konnte er fortan nicht mehr lassen, und bald war der schlanke junge Mann mit dem glutvollen Temperament, der jedem Zuhörer seine Stimmung aufzwingen konnte, in den Tälern und auf den Höhen zwischen Kufstein und Salum wohlbekannt und begehrt. Weidacher steuerte seiner großen Zeit entgegen, die den letzten Höhepunkt erreichte, als er der unumstrittene Zitherkönig der Innsbrucker Altstadt war.

Schon damals schuf er sich seine Lieder selbst. Um Worte und Weisen war er nie verlegen. Doch erst als der Applaus für den Spielmann verklungen war, kam sein dichterisches Talent voll zum Durchbruch. Heute hat Sepp Weidacher einen festen Platz unter den zeitgenössischen Tiroler Dichtern. Er schreibt Kurzprosa und Lyrik. Ein Teil seiner Erzählungen und Gedichte wurde von Zeitungen und Zeitschriften sowie vom Rundfunk publiziert. Eine Auswahl davon erschien in den bereits erwähnten Bändchen „Das Auge des Pan“ und „Mit der Seele des Wolfs“.

Weidachers Lyrik ist überzeugende Selbstaussage eines Ringenden und gegen Anfechtungen jeder Art Kämpfenden, ist Auseinandersetzung mit dem schicksalhaften Leid des Menschen und dem Ungeist der Zeit, aber auch Lob der Schöpfung. Sein Repertoire diktierte das Leben — das an Impressionen reiche, dornen volle Leben eines Vaganten, dessen ruheloses Wesen keine irdische Heimstatt findet. Weidacher macht sich nichts vor. Er kennt die Tücken seines Weges und auch die eigenen. So haben folgende Vėrse ihren tragisch-konkreten Kern: „Genarrt von dem Zauber des Südens, besiegt von den Geistern des Weins, so fand mich, den fahrenden Sänger die Nacht. Mein Saitenspiel hab’ ich vertrunken, vertan …“. Und jene Worte, flüchtig auf die Rückseite eines Bierdeckels gekritzelt, verleihen seiner Selbsterkenntnis Unmittelbarkeit: „Der Mund, zum Singen geschaffen, ist schmal geworden. Das Aug’ ohne Glanz gleicht den farblosen Fenstern der Moore. Doch im Schilfskranz der Haare nistet ein Stern und hinter der Stirne leuchtet mir fern — eine Ar- menhausglocke am Tore“.

Als eifriger Bergwanderer allen Vorgängen in der Natur aufgeschlossen, phantasiebegabt und bereit, der Sprache der Tiere und der stummen Kreatur zu lauschen, verleiht Weidacher vielen Geschichten und Gedichten eine Atmosphäre geheimnisvoller Naturmagie. Bäume, Wurzeln, Steine und Tümpel erwachen zu dämonischem Leben, Tiergestalten — der weiße Hirsch, die Kronennatter, die Rohrdommel, Eulen, Raben und Raubzeug — werden zu zeichenschweren Medien unheimlicher Kräfte. — Sepp Weidacher ist kein diszi plinierter Lyriker. Er schreibt wie er singt. Dabei bedient er sich meist herkömmlicher Stilmittel. Typisch für sein sprunghaftes Wesen ist der häufige Wechsel von Versmaß und Reimfolge innerhalb eines Gedichtes. Weidacher ist kein Moderner im eigentlichen Sinn des Wortes. Von konkreter Poesie ist er weit entfernt. Manche seiner Verse sind von bezaubernder Schlichtheit, andere phantasiebeladen und bailadenhaft und wieder andere erinnern an die Lieder der Minnesänger. Įjyrik ist für ihn keine Intellektuellenspielerei; er hat immer etwas mitzuteilen aus dem Innersten seines Wesens und tut dies mit intensivem seelischen Engagement. So gelingen ihm nicht selten Aussagen von bestechender Form und bezwingender Eindringlichkeit. Der Dichter und Erzähler

Sepp Weidacher läßt sich nirgends einordnen, so wie er sich „dem Zugriff einer bürgerlichen Ordentlichkeit“ permanent entzieht. Wer ihm jedoch begegnet, sich in das Werk vertieft, wird von der/ Faszinatic: . die von ihm ausgch:, nicht unberührt bleiben.

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