PROTOKOLL EINER SEHNSUCHT

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Julian Schutting zeigt in seiner Nachschrift zum "Liebes-Nichtroman" Facetten einer Beziehung im Konjunktiv.

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Julian Schutting zeigt in seiner Nachschrift zum "Liebes-Nichtroman" Facetten einer Beziehung im Konjunktiv.

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Im Oktober hat der österreichische Schriftsteller Julian Schutting seinen 75. Geburtstag gefeiert. Der vielfach ausgezeichnete Poet, den der Literaturkritiker Gerhard Zeillinger als "wichtigsten Vertreter der heimischen Avantgarde" der 70er-Jahre und "neben Friederike Mayröcker als letzten großen Sprachkünstler" Österreichs würdigt, kann auf ein bewegtes Leben zurückblicken. Bekanntlich hat er sich der Literatur nicht von vornherein verschrieben. Aber seine Ausbildung zum Fotografen ist auch heute noch spürbar im genauen Sehen, im punzierten Blick für oft unbeachtete Details. Mittlerweile kann Schutting auf ein beträchtliches Werk zurückblicken, das unzählige Prosa- und Gedichtbände umfasst.

Bemerkenswert verdichtet

Seit den letzten Jahren kristallisieren sich bei ihm drei zentrale thematische Kerne heraus: die Liebe, das Schreiben und Gehen. Seine neue Prosa "Die Liebe eines Dichters" nimmt, quasi im Andocken an den 2009 erschienenen Band "Zu jeder Tageszeit", tagebuchartig die Gefühlswelt eines liebenden Schriftstellers auf, dessen Dame sich ihm im Laufe der Bekanntschaft immer mehr entzieht. Schutting bezeichnet den Text als "Nachschrift" zu seinem "Liebes-Nichtroman". Gegen seine Gewohnheit versage er sich jegliche "Stilisierung", daher schreibe er mit der Hand. Kein Blatt solle aus seinem Schreibblock herausgerissen werden. Nur den Bleistift lasse er zum Retuschieren kleiner Fehler zu. Der "weitausschwingenden Gefühlswelt" setzt er "Kürze" entgegen. Und gemessen am Zeitraum, den diese Einträge vom Mai 2006 bis zum Pfingstsonntag 2012 umfassen, ist ihm trotz der 320 Seiten eine bemerkenswerte Verdichtung gelungen. Schuttings Notizen lesen sich als feinsinniges Protokoll einer Sehnsucht, als "Liebesbrevier" einer schwierigen Beziehung.

Da ist eine geliebte Dame, eine Ärztin, die zunächst in Döbling in der Nähe des Dichters in einem schönen Haus mit Garten wohnt. Sie ist kultiviert, gibt Einladungen, geht ins Konzert und ist viel auf Reisen. Gemeinsam unternehmen sie zahlreiche Wanderungen im Wiener Wald, genießen Sternennächte auf ihrer Terrasse und pflegen einen regen Austausch. Diesen Rausch der Nähe spiegelt Schutting in der festen Struktur der Jahreszeiten, der großen kirchlichen Feste und im Aveläuten, das als Zeitmesser im Kleinen fungiert. Irgendwann steht fest, dass sie wegziehen wird, nicht weit, aber doch - in eine Wohnung in der Josefstadt. Dieser Umzug gerät für den Dichter zu einem emotionalen Fiasko. Ein scheinbar unwesentlicher wird hier zum spektakulären Umstand, weil die räumliche Distanz auch innerlich zu einem Balanceakt zwischen Abschied, Trennung, flüchtigen Wangenküssen und Begegnung wird. Im Bewusstsein, das "Ablaufdatum" erreicht zu haben, wird klar, dass "letztlich alles, was sich da einstellt, eine Verkettung von Abschieden ist, die von einander und sich selbst nichts wissen wollen".

Verkettung von Abschieden

In einem leisen und sensiblen lyrischen Ton spürt Schutting den "Seelennotzeichen" eines Liebeskranken nach, der sich mit der "Mondsichel das Herz ritzt". Ihre Spuren führen auch an der Reflexion der endgültigen Trennung nicht vorbei, wenn die Beziehung imaginär zum Konjunktiv wird: der "letzte Blicktausch","ohne dass ihm Letztmaliges abzulesen ist!" Schutting ist bekannt für seine dichte Prosa. Auch dieser Text zeigt sein meisterhaftes Können, unaufdringlich und lohnend Literatur, Philosophie und Mythos in den eigenen Bilderfluss zu integrieren und kontemplativ weiterzuweben. Ein wunderbar poetischer Seelenspiegel über Glück und Schmerz der Liebe.

Die Liebe eines Dichters

Von Julian Schutting

Jung und Jung 2012

320 S., geb. , € 24,-

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