Lyrik unter Palmen - © iStock / Wildroze

Warum es sich lohnt, Lyrik zu lesen

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Zwei Lyrikbände, der eine von Cvetka Lipuš, der andere von Julian Schutting, machen darauf aufmerksam, dass ­dieser literarischen Gattung ­wieder größere Aufmerk­samkeit geschenkt ­werden sollte.

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Zwei Lyrikbände, der eine von Cvetka Lipuš, der andere von Julian Schutting, machen darauf aufmerksam, dass ­dieser literarischen Gattung ­wieder größere Aufmerk­samkeit geschenkt ­werden sollte.

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Dass Lyrik in kleinen Textstückchen daherkommt und in unserer schnelllebigen Zeit, wie im Feuilleton der Schweizer Aargauer Zeitung einmal bemerkt worden ist, eigentlich als Lektüre zwischendurch wahrgenommen werden könnte, müsste den modernen Konsumgewohnheiten unserer Gesellschaft prinzipiell sehr entgegenkommen. Und trotzdem sind Gedichte streng genommen noch immer ein Programm für Minderheiten. Wie viel Verdichtung, Sprachbewusstsein und Horizont jedoch darin stecken kann, ­zeigen zwei Bände, die trotz ihrer grundsätzlichen Unterschiede auch so manches gemeinsam haben.

Die in Eisenkappel geborene und schon vielfach ausgezeichnete Autorin Cvetka Lipuš schreibt auf Slowenisch und hat bereits sieben Gedichtbände veröffentlicht. In ihrer erneut von Klaus Detlef Olof übersetzten jüngsten Lyrik „Komm, schnüren wir die Knochen“ präsentiert sie eine neue Sichtweise auf das Leben und übergibt uns mit ihren Gedichten quasi eine „Eintrittskarte in eine neue Geschichte“. Das Ertas­ten unbekannter Wahrnehmungen und der Blick auf den Körper, der „am liebsten den Sternen die Hand“ schüttelt, stehen am Beginn des Bandes. Die Eröffnungstexte mit dem programmatischen Titel „Erwache, Wunde, sagt das Messer“ erzählen von Verwundungen, die bereits verwildern, weil „die Ausstellung der Wortreliquien“ schon geschlossen ist: „Leg brav die Tränenphiole in den Brustkorb, / zwischen all die Dinge, die du im Lauf der Zeit / zerbrochen hast, und zwischen jene grimmigen, die / dich brechen.“ Lipuš bedient sich einer unverbrauchten, anspruchsvollen Sprache, die auf durchaus ungewöhnliche Bildkompositionen setzt.

In ihrer Bezugnahme auf den Philosophen Martin Heidegger, der als Mitglied der NSDAP und Unterstützer nationalsozialistischer Ideen nach dem Zweiten Weltkrieg von der Universität Freiburg suspendiert worden ist, spielt Lipuš auch auf die gemeinsamen Spaziergänge des Philosophen mit Paul Celan in Todtnauberg an, ohne den Dichter explizit zu nennen. Obgleich Heidegger Celan als Autor sehr ­geschätzt hat, spricht er bei ihrem historischen Zusammentreffen an diesem besagten Ort nie das Erklärungswort, das in die Bitte um Verzeihung münden hätte müssen: „zogen da dunkle Gesprächswolken auf, wenn / das Schwert mitten in den Satz fiel? Ins Tal gellt nur / noch das schwarze Rabengezänk über den Köpfen. / Rätselraten über Arnika, über Augentrost, über den Brunnen: / schafft es das Wort bis in die Mitte des Herzens?“ In einem anderen Gedicht aus diesem Zyklus geht es ums Altern, das „die Zellen befummelt“, und die Frage an den Philosophen nach einer ­Anweisung, „wie wir zu sein haben in der begrenzten Zeit“.

Souveräne Metaphorik

Zwölf Gedichte sind an Frau Luna gerichtet, die in vielgestaltigen Formen am Firmament erscheint. Die Anrufung des Mondes mündet in eine poetische Auseinandersetzung mit dem Kosmos, dazu gehört auch eine Wanderung durch das All quer durch Galaxien und Sternennebel. Während die mystische Kraft des Mondes permanent in das Leben strahlt, rührt ­Luna am Aberglauben, irritiert die Schlafenden und beginnt sogar „im Traum leise zu funkeln“.
Lipuš’ Poesie ist immer wieder von einem leichten Prosaduktus getragen und souverän in der Metaphorik. Ihre Lyrik glänzt widerständig. Oft steht Bitteres völlig unerwartet und unmittelbar neben Schönem; das Poetische wird in der herben Wirklichkeit verankert. Auch Vanitasgedanken hinterlassen markante Furchen in den Gedichten. Gelassen entfaltet Lipuš ein Tableau feiner Empfindungen voll leuchtender Intensität: „ein kurzer Moment des Blues, / und alle zusammen stürzen wir / in den Himmel.“

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