"Wie die Zeit Durch die Seele Dringt"

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Friederike Mayröcker Feiert ihren 85. GeburtstaG und setzt in ihreM jünGsten Lyrikband ihre unkonventioneLLe Lebenspoesie Fort.

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Friederike Mayröcker Feiert ihren 85. GeburtstaG und setzt in ihreM jünGsten Lyrikband ihre unkonventioneLLe Lebenspoesie Fort.

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Friederike Mayröcker wird am 20. Dezember 85 Jahre alt. Auf die Frage, was sie sich wünsche, meinte sie in einem Gespräch mit Dieter Sperl vor zehn Jahren: "Wünschen kann man sich ja vieles. Nein, ich wünsche mir, dass ich noch lange arbeiten kann." Dieser Wunsch hat sich erfüllt. Immerhin ist ihr Werk mittlerweile schon auf über 100 Publikationen angewachsen. Gerade erst ist ihr jüngster Lyrikband "dieses Jäckchen (nämlich) des Vogels Greif" erschienen, eine Sammlung wunderbarer Gedichte aus den Jahren 2004-2009, die auch das letzte Buch "Scardanelli" fast zur Gänze aufnimmt.

Es ist unbestritten, dass Mayröcker zu den wichtigsten österreichischen Lyrikerinnen zählt. Thomas Kling hat sie einst treffend als Unikatkünstlerin bezeichnet. Zahlreiche Preise und Würdigungen hat sie in Empfang genommen, 2001 sogar den lang ersehnten Büchner-Preis, von dem sie nie gedacht hätte, dass er ihr einmal zugesprochen wird.

Mayröcker hat über die Jahre hinweg fernab jeder Konventionalität konsequent ihren ganz eigenen Stil entwickelt. In ihren magisch aufgeladenen Textlandschaften lässt sie Wortschößlinge gedeihen und bringt sie zum Erblühen. Ein schwebendes, poetisches Ineinander von Leben, Alltag, Erinnerung und Lektüreerfahrungen, in dem ein synästhetisch aufgeladener Blick die Wahrnehmung lenkt: "Ideen sind Himmelfahrten", heißt es in ihrer neuen Lyrik, die sie aus der Realität herausreißen: "1 Lichtzeichen das mich zurückholt an den magnetischen Zustand der Hervorbringung von Sprache /dann wieder erloschen dann wieder GEWÖHNLICHE Welt und Zeit". Arien der Callas, Bach oder etwa Jacques Derrida unterstützen den Inspirationsstrom.

Imaginationsraum Traum

Schreiben ist ihr Leben. In einem Interview mit der Zeitschrift du bezeichnet sie es als "Liebesakt", als etwas "Unerhörtes" und Elementares, das das Sterben vertreiben, hinauszögern, ja verscheuchen könne. Stift und Notizheft liegen neben dem Bett und in der Früh sind manchmal Kugelschreiberspuren auf dem Laken zu finden, weil Mayröcker bekanntlich auch aus dem Imaginationsraum Traum zu schöpfen versteht.

Viel ist schon über den Materialwildwuchs in ihrer Wiener Altbauwohnung geschrieben worden. Fotos in Literaturzeitschriften dokumentieren ihre dichte Schreibwelt, ein Papier-und Leserefugium mit schier überbordenden Regalen und Körben. Erst jüngst bekennt sie in einem Presse-Gespräch, dass es in ihrer Wohnung noch immer die Tabu-Tafel gebe. Doch sie sei keine Sammlerin, ihre Räume seien vielmehr eine Werkstatt, in der Bücher entstehen.

Die Anfänge ihres Schreibens reichen in ihre Jugend zurück. Nach dem Krieg unterrichtet sie 24 Jahre Englisch an Wiener Hauptschulen. Eine schwere Zeit für sie, da sie kaum Raum zum Schreiben hat und ein niedriges Gehalt. Bitterarm sei sie gewesen, sagt sie einmal, nur mit Nachhilfestunden, die sie wertvolle Schreibzeit kosten, kann sie sich über Wasser halten.

Kontakte mit der Wiener Gruppe, Andreas Okopenko und vor allem mit Ernst Jandl, den sie 1954 bei den Innsbrucker Jugendkulturwochen kennenlernt und der für sie fortan zu einem der wichtigsten Menschen wird, ermöglichen ihr eine Auseinandersetzung mit der experimentellen Literatur. Aufgrund des Schuldienstes kann sie an den avantgardistischen Happenings nicht teilnehmen, so bleibt es lediglich bei einer losen Verbindung. Friederike Mayröcker geht ihren eigenen Weg. Da sie in der österreichischen Verlagslandschaft nicht wirklich andocken kann, bringt sie beim deutschen Rowohlt-Verlag ihren Band "Tod durch Musen" heraus. Fortan beginnt eine kontinuierliche Buch-und Hörspielproduktion, die sogar Kinderbücher umfasst. Schließlich landet sie beim Suhrkamp-Verlag, der Jahrzehnte hindurch ihr literarisches Schaffen begleitet.

Sehnsuchtsfaden Deinzendorf

Mayröckers jüngste Lyrik setzt in zarten Linien paradigmatisch die begonnene Lebenspoesie fort -mit einer fast noch radikaleren Aneignung der Wirklichkeit im "äuszersten Schwärmen äuszerster Phantasie". Ihre literarischen Rohstoffe sind wie immer vielfältig, ein dichtes, fragiles Assoziationsgeflecht, für das sie auch Anregungen aus imaginären Gefilden holt. In einer glänzenden Traumsprache nähert sich Mayröcker dem Alltag an, der Natur, der eigenen Existenz, einem metaphorisch wahrgenommen Fluidum der Zeit, das sich aus Erinnerungen, genauen Beobachtungen, Texten und Empfindungen speist. "habe 1 punktuelle / Sprache erfunden zerknülle / Vogelherzen oder Metapher / für 1 Liebe". Mayröcker geht es um eine Sprache, der der Faden "der modernen Narration" gerissen ist -analog zur "gebrochenen Perspektive einer neuen Malerei".

Die Verankerung der Natur grundiert tendenziell ihre Bücher. In ihrem jüngsten Band spielt sie eine noch größere Rolle als bisher. Hier oszilliert die ungebrochene Kindheitserinnerung an Deinzendorf, an den Garten und Vierkanthof samt Birnbäumen vor dem Tor und Fliederbusch im Innenhof. An diesem kleinen Ort in Niederösterreich nahe der tschechischen Grenze hat sie wunderbare Sommer verbracht, an der Pracht der unberührten Natur sich verloren. Diesem Dorf ist ein Sehnsuchtsfaden eingesponnen, der sich durch viele Bücher zieht: "während im Paradiesesgarten gelöschte Sonne / lieblicher / Sommer mit Flieder Klematis und Kletterrosen und ich mein Fleisch / Fleisch meines Herzens Fallobst Fallsucht im Vorhaus Schattenherz / Weltvorstellung von seligstem Leben". Später sind es die Sommer mit Ernst Jandl in Rohrmoos, die Wanderungen und Spaziergänge mit ihrer Mutter, die ihre Erinnerungen treiben lassen zwischen Mohn, Maisfeld und Phlox.

Auch die Trauer um ihren Weggefährten Ernst Jandl fließt seit dessen Tod durch ihre Texte und das stille Gefühl einer einzigartigen Verbundenheit: "Habe / Tränen habe Sehnsucht habe Wehmut ER so viele Jahre verloren, geh / jedoch noch immer Hand in Hand mit IHM durch den groszen Sommer, / weine / weine die Lämmer im Blauen im Grünen " Überhaupt ist diese Lyrik unterfüttert mit einer melancholisch versilberten Stimmung. "Tränenjahre" säumen die Texte, das Bewusstsein von Endlichkeit und Vergänglichkeit ("wie die Zeit durch die Seele dringt") verknotet sich neben den Nachrufen auf Wendelin Schmidt-Dengler und Gert Jonke zur lapidaren Einsicht: "Dort hinten hinter mir da hockt die grosze Angst: Schmachtlocke Tod".

Seit Jahren bereichert Friederike Mayröcker die zeitgenössische Lyrik mit ihrer Poesie und ihrer Hingabe an die Sprache. Es sei ihr noch lange diese "Seligkeit des Lebens" beschieden: "ich /habe ja erst angefangen zu schauen zu sprechen zu schreiben zu weinen Wahnwitz der Heiligkeit dieses Lebens, das ich ans Herz /(drücke), das mir so teuer -wahrlich dieser mich umarmende Hori- / zont Gabe meiner Bekenntnisse während wehende Veilchen".

dieses Jäckchen (nämlich) des Vogel Greif. Gedichte 200 -2009 Von Friederike Mayröcker Suhrkamp 2009 356 S., geb., 23,50

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