Sprache, die sich zerstäubt

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Friederike Mayröckers Texte öffnen Räume und widersetzen sich der Etikettierung.

Friederike Mayröcker * 1924

Wortgefährtin

In der dichten Fülle der vielen Texte von Friederike Mayröcker einen Weg zu finden, der eine eindeutige Orientierung erlaubt, ist unmöglich. Sich geduldig ein paar kleine Wege zu bahnen, die sich von anderen kreuzen lassen, ist das umso schönere Abenteuer.

Es fordert die Lesenden ständig dazu heraus, Fragen neu zu formulieren, von denen die einfachsten sind: Was verbindet diese Texte, was zieht sich als Faden durch alle Texte, was kehrt als Klang eines ganz bestimmten Tons immer wieder? Wäre ebendies die ganz besondere Qualität, das, was fesselt und schwer loslässt?

Empfänglich fürs Kleine

"Während ich ein kleines Blatt, das ich aus dem Notizbuch gerissen habe, in meine Schreibmaschine einspanne {...} sehe ich, wie der Schatten der Dahlie sich auf ihm bewegt." Dieser erste Satz aus dem ersten veröffentlichten Buch "Larifari. Ein konfuses Buch" spricht den poetischen Wunsch, den Mayröckers Texte inszenieren und von dem sie getragen scheinen, ganz unspektakulär aus: Hier sitzt ein Ich, das nicht schon alles weiß, bevor es zu schreiben beginnt. Es sitzt, wartet und schaut, und das Blatt, auf das sein Blick fällt, ist ebenso empfänglich für das Kleine, Unbedeutende, Flüchtige, das "von außen" kommt, wie für die Bilder "von innen".

Ein solches poetisches Ich wird schwerlich eine Geschichte erzählen wollen und können, die dem, was von außen, von innen "einbricht", immer schon einen ganz bestimmten Platz zuweist. Im Gegenteil, es hält sich offen für all das, was seinen Gedankengang quert und rüttelt, es ordnet alles im Sinn einer Bewegung an.

Sowohl die Autorin als auch ihre Text-Ichs bekennen allesamt ihre Abneigung gegen das Erzählen, gegen die story, gegen Schreibweisen, die auf eine klare, leicht nachvollziehbare Organisation von Wirklichkeit setzen.

"Wirklichkeit" erscheint hier als ein unglaublich feinmaschiges Gewebe heterogenster Lebensbereiche: Splitter aus gelesenen Texten und gesehenen Kunstwerken, Träume und Halluziniertes, Erinnerungen, um die sich neue Bilder schlingen: alles erhält seinen Raum, in dem es sich entfalten, mit anderem verbinden, die Farbe wechseln und verändern kann.

Von Anfang an reflektieren die Texte Friederike Mayröckers ihre eigene Genese, ihre eigene "Machart" mit: Schreiben bedeutet immer auch Nachdenken über das Schreiben, über die eigenen Verhältnisse zur Sprache, zu den Wörtern, zu bestimmten Erzähltraditionen. Aber in keiner, die man da heranziehen kann, um ihre Texte "zu verstehen", gehen sie auf.

Sie haben, grob gesprochen, etwas Romantisches, etwas Surrealistisches, etwas Avantgardistisches, etwas Experimentelles, aber - sie sind alles das nicht.

Und was nützte es auch, sich Texten zu nähern, indem man ihnen eine Etikette appliziert, zumal solchen, die alle Kräfte, allen Widerstand dagegen aufbieten, vereinnahmt zu werden? Offenbar wird an allen eine ganz besondere Lust an einer Sprache, die sich verschüttet, versprengt, zerstäubt, die das Erlesene nicht trennt vom Abfall.

Nie restlos auszuschöpfen

Auch Mayröckers jüngste Prosa "Und ich schüttelte einen Liebling" macht da keine Ausnahme: Die hier geschriebenen Erinnerungsgänge lassen sich stören, verunsichern und irritieren von dem, was sie kreuzen will, den scheinbar überflüssigen, fremden Sprachpartikeln.

Gerade darin machen sie etwas von der Aufregung spürbar, die sich dem Wunsch, nach "innen" und nach "außen" zu schauen, verbindet - "in ein Gesicht, auf ein Stück Wiese".

Und sie öffnen, wie alle Texte dieser Autorin, Räume, deren Erkundung Langsamkeit, Geduld und Liebe zum Detail fordert - weshalb sie nie restlos auszuschöpfen sind.

Die Autorin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Salzburg.

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