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Annette von Droste-Hülshoff

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Man muß ernstlich innehalten, um in der Welt Droste-Hülshoffs heimisch zu werden, um sich unmittelbar ansprechen zu lassen von diesen starken, edlen Versen der Dichterin, deren Leben ein einziger Hymnus war zur Ehre Gottes im Erleben wie im Verzicht zugleich. Aber hat eine Zeit, die wie die unsere noch durchzittert ist von so großen materiellen und ideellen Unsicherheiten, in der einem sinnlosen Kampf um die Macht ein gleich harter und brutaler Kampf ums Dasein gefolgt — hat eine solche Zeit nicht ein besonderes Bedürfnis, einmal auszuruhen von solchem Ringen und einzugehen in den friedvollen Bezirk einer wahren Dichtung, so wie sie sich im Werk der Droste bietet?

Annette Elisabeth Freiin von Droste-Hülshoff wurde schon in die besinnliche Weite einer etwas abseitigen Landschaft hineingeboren. Denn das Hülshoffsche Wasserschloß liegt in dem von blühender Heide und träumenden Wäldern eingehegten westfälischen Münsterland, nicht weit von der alten Bischofstadt entfernt, die ja auch die seltsamen Erinnerungen an die Wiedertäuferzeit enthält. Diese Landschaft trägt ein ganz eigenartiges Gepräge und formt in besonderem Maße die Menschen nach ihrem Wesen, so schon Annettens Vater, der in die Ubersinnlichkeit seiner vielfachen „Gesichte“ eingesponnen ist und der nüchterneren, fast etwas „männlicheren“ Mutter die Sorgen um Wirtschaft und Erziehung fast ausschließlich überläßt. Es sind die niedersächsischen Schäfer- und Bauerngestalten, die ani Rande von Annettens kleinem Lebenskreise stehen, die etwas drudenhaften Kräutersammlerinnen und Spinnerinnen (in zweifacher Bedeutung des Wortes), die die Jugend des äußerlich überzarten Edelfräuleins teils betreuen, teils hie und da ein wenig beunruhigen. Die Dreißigjährige folgt dann der Mutter auf ihren Witwensitz Rüschhaus, wo sie sich ihre eigene Welt formt, die sie nur selten verläßt. „Hier nun lebte sie ihr rechtes Leben . . . betend, lesend, schreibend, durch Feld und Busch schweifend ... Unter Spuk und Einsamkeit verlor sie fast den Zeitsinn, und sie floh erschreckt vor sich und dem Leben in die Dinge der Natur.“ * — Wenn sie s;oh

aus ihrer niederdeutschen Heimat fortstiehlt, dann nur etwa zum Besuch ihrer Schwester, die als Gattin des Freiherrn von Laßberg, eines Freundes Ludwig Uhlands, auf Schloß Meersburg am Bodensee lebt. In dieser gleich eigenartigen Landschaft, wo sich die nordische Sdiwere auflöst in sonnig-heitere Melodien, wo das schwäbische Meer umrundet liegt von einem üppig bunten Kranz von Burgen und Rebhügeln, Stadttoren und Münstertürmen — hier, unmittelbar über dem See, hatte sie ihre Klause, hier ist sie am 24. Mai 1848 gestorben, hier ruht sie in den Träumen von ihrer fernen Heimat aus.

Das Werk Annette von Droste-Hülshoffs, das vom Epos seinen Ausgang nimmt und in einer feinsinnigen und formstarken Natur-und Gedankenlyrik seinen Höhepunkt erreicht, läßt sich eigentlich geschichtlich nicht recht einordnen. Das liegt in der Eigenständigkeit ihrer Dichtung, die zwischen Romantik und Realistik steht — wie das Leben der Dichterin selbst. Aus dem Boden ihrer Landschaft wächst das Epos, schon in ihrem frühen „Walter“ kündet sich eine seltene Kraft der Darstellung, eine edle Tiefe der Empfindung an. Und es ist ein innerer Adel, der aus den strengen Formen ihrer Gedichte leuditet; das einsame Edelfräulein wirkt aber dabei niemals lehrhaft, dafür ist alles viel zu echt, ein Ertrag kritischer, von leisem Humor gemilderter Selbstbetrachtung

— auch eine Eigenart des niedersächsischen Menschen. EcMe Hilfsbereitschaft, die den Gefahren der Berge trotzt, feiert das romantische „Hospiz auf dem St. Bernhard“, kein Werk aus einem Wurf, sondern, wie alles andere, aus einer Summe von Jahren gewachsen. Die seltene Gabe feinster Naturschilderung ist sdion hier gestaltend am Werk, wie erst in den vielen Gedichten, in denen sie die herbe Naturschönheit der sie unmittelbar umgebenden Heimat beobachtet, durchstreift, belauscht. Dies auch in ihren Prosaschilderungen, in den „Bildern aus Westfalen“ oder dem Fragment „Bei uns zu Lande auf dem Lande“. „Ihr kurzsichtiges Auge... besaß für das Nahe die Schärfe des Mikroskops. Ihr Gehör vermochte die Geräusche der Stille eindeutig auszumachen

— das Gurgeln des Moorwassers unter den Füßei-, das Rascheln im Heiderohr usw.“ —

Von der Nattirschilderung führt sie, die auch ihre Zeitlang aus der Liebe Leid gewann, über die Menschengestaltung zur Formung eines großen Ereignisses. So wird aus einem „Christian von Braunschweig“ „Die Schlacht am Loener Brudi“ — ein Ausschnitt aus dem gewaltigen Gemälde des Dreißigjährigen Krieges, in dem der tolle Halberstädter nicht mehr unmittelbar im Mittelpunkt ihres gestaltenden Interesses steht. Und im etwas düsteren Schatten der erst 1842 erscheinenden „Judenbuche“ schlingt sich das Gerank ihrer zahlreichen Balladen, deren Wucht der Darstellung und oft etwas- karge Knappheit zuweilen! überrascht. In ihnen finden wir uns Unland oder Fontane nahe, aber auch Liliencron oder Börries von Münchhausen haben später kaum stärkere, tiefere Töne anzuschlagen gewußt.

Doch das Bild der Dichterin bliebe unvollendet, auch in dem knappen Rahmen dieser Gedenkskizze, wollten wir nicht noch ihrer religiösen Dichtung kürz Erwähnung tun. Ihre katholische Religiosität ist ein ehrliches Suchen nach Klarheit, eine aus grüblerischen Zweifeln erkämpfte Gläubigkeit. Die auch in dieser Hinsicht wurzelechte Westfalin ist hier nicht so glücklich wie etwa ihre um nur weniges jüngeren Zeitgenossen Guido Görres oder die märkische Konvertitin Luise Hensel. Nein, mit der ihr eigenen Unbestechlichkeit bekennt sie offen ihr religiöses Ringen, das eigentlich ein „Intellego, ne credam“ ist, „sie gibt uns ihr Glaubens-

bekenntims nicht mit der Klarheit, womit uns ein philosophischer Denker sein innerstes Geistesleben entwickelt, sondern mit allen Widersprüchen und Gegensätzen, die, aus vorübergehenden Stimmungen und besonderen Lebenserfahrungen hervorgehend, die Tiefen ihres Seelenlebens aufwühlen. Dies findet vor allem in ihrer Gedichtsammlung „Das geistliche Jahr“ seinen ergreifenden Ausdruck, in diesen innig-herben Versen, die im Reigen der Sonn- und Feiertagsevangelien ihre Anlässe haben. Mit ihnen oder durch sie ist sie wahrhaft eine Dichterin Gottes geworden, von hier aus reicht sie Gertrud von le Fort oder Ilse von Stach ihre betenden Hände, die Sendung solcher Weihegaben weiterzutragen bis in unsere Zeit.

Vielleicht haben wir darum gerade in unseren Tagen äußerer und innerer Unruhe das Bedürfnis, hie und da zu einem Gedicht der Droste zu greifen und- uns aus dem großen Reichtum dieser starken, stillen Seele beschenken zu lassen. Hier gibt sich uns — nicht in unmittelbarer Helligkeit, sondern in der Forderung einer bekennenden Einfühlung — ein edles Menschentum, das die Grenzen seines dichterischen Wirkens kannte, aus ihnen heraus aber sich von der geliebten irdischen Heimat in die Heimat des Lichtes erhob, zu der dieses ganze gesegnete Dichter-leben eine einzige stille, nicht immer mühelose Wallfahrt getan.

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