Lisa Mayer wandelt mit ihren Gedichten abseits alltäglicher Sprachpfade.
Sechs Jahre nach ihrem ersten Lyrikband tritt die Salzburger Autorin Lisa Mayer wieder mit einer Buchpublikation an die Öffentlichkeit. Dieser Zeitraum verwundert nicht, wenn man Mayers glatt komponierte Lyrik kennt. Hier plätschert nichts dahin und es gerinnt fast nichts an der Oberfläche. Mayer hat auch kein Faible für experimentelle Versuchsanordnungen oder aufgeblähte Empfindungslyrik, ihre Gedichte funktionieren vielmehr auf einer vielstimmigen lyrischen Basis.
Kühne Bildsprache
Nach Veröffentlichungen in diversen Literaturzeitschriften und besonders nach dem Erhalt des Salzburger Landeslyrikpreises 1998 ist man auf die gebürtige Tirolerin aufmerksam geworden. Auch mit ihrem ersten Band "Auf den Dächern wird wieder getrommelt", der ein Jahr später bei Haymon erschienen ist, hat sie Beachtung erlangt.
Wenn es auch nicht immer leicht fällt, in Mayers Gedichten narrative Fäden aufzunehmen, ohne bisweilen einzelne Maschen in der kühnen Bildsprache zu verlieren, so kristallisieren sich dennoch ganz klar gewichtige thematische Linien heraus. "Ich sehne mich / danach ins Innerste / der Sicht zu / reisen", heißt es gleich im Auftaktgedicht "Ankunft". Dieser Satz ist für den Band wohl überhaupt programmatisch zu sehen. Lyrisches Ausloten des Wissens im Eintauchen in tiefere Schichten, Erkenntnisgewinn ("Meine Stimme streift nachts / durch die Stadt auf der Suche nach mir"), der sich auftut im Zurücktasten an Anfänge und Ursprünge. Zeiten werden ausgerollt, Traumzonen auf "schmalen Simsen des Sagbaren" betreten und mystisches Schauen beschworen, wenn "der Gürtel der Jahre" dem Vergessen anheim gefallen ist.
Viele Anklänge
Zahlreiche Anklänge an biblische, mythische und mystische Motive und ein Spiel mit der Zahlensymbolik vertäuen sich mit Beobachtungen und Sinneseindrücken zu einer breiten Wahrnehmungslandschaft. Können Zeit- und Naturphänomene, Elementares, wie Geburt und Wasser, Liebe und die Worte, immer wieder neu in den Bann ziehen? Ja, denn Mayer entfaltet an den Rändern der Sprache ein luftiges poetisches Geflecht, durchwachsen von leuchtenden Bildern.
Traum als Wahrtraum
Das Lichte und Belichtete, der Sonnenbalkon und der Morgen eröffnen schöpfungsgleich die erste der sieben thematischen Sequenzen, bis irgendwann das Paradies auf der Haut fassbar wird: "ich betrete es ohne Scheu / durch die Apfeltür // gebe Adam die dreizehnte Rippe / zurück der Welt / das leer gelebte Kleid // Abends / wartet der Himmel / in mir / auf seine Erschaffung". Mit diesem Kunstgriff des Rückspulens schreibt sich Mayer zurück zu Urszenen. Der Blick zurück wiederholt sich später mit der Belebung einer weiteren Tradition. Da ist die Mutter, die mit jedem Vergessen jünger wird: "Ich weiß noch / dass ihr Leib mich trug / bis ans zarte Licht / der Meere".
Mayers grenzüberschreitende Wanderung durch Urerinnerungen, Traumzonen und Zeiten - schließlich fungieren die Träume als handliche Drehtür - eröffnet eine interessante Anverwandlung von Welt, die mit kontrastreichen Bildspannungen aufgeladen wird. Der bewegbare Flugsand steht dem Stein gegenüber, "hinter den Dünen aus Waschbeton" brandet "das verlorene Meer". Und wie wahr tut sich der Augenblick auf: "Jetzt / ist die Zeit ein Gesicht / das niemals altert". Selbst der Traum kann zum "Wahrtraum" werden, dessen tiefste Stelle Landnahme erlaubt.
Überhaupt fällt - wie bereits im ersten Lyrikband - sofort die innovative Metaphorik auf. Ob man nun vom "Lied im Drehwind der Sterne" liest, von der "dunkel gefiederten Luft" oder vom "verschleppten Wort", "das in Tagreisen ... auf vielerlei Schultern heim ins flüssige Weiß" getragen wird. Es sind ungewöhnliche Konnotationen, die abseits alltäglicher Sprachpfade beim Lesen geweckt werden, neue Zwischentöne und Bedeutungsnuancen der Wörter zwischen Muse, Leila oder Befana.
Häutende Zeit
Bleibt noch die Rede von Stille und Langsamkeit, besonders am "dürftigen" Abend. Dann häutet sich die Zeit und "brennt ab" und "Schatten schreiben den Tagsatz über die Wände".
Schließlich wird man so richtig hineingezogen, in diese die Stiegen langsam hinaufströmende Stille: "Der Tag wird beiläufig / ins Handtuch gewischt / Fernsehen und später / barfuß über das Traumseil". Ein mystischer Grundfilm liegt über einigen Texten samt Fließen, Leuchten, Brennen und kontemplativer Schau, und lakonisch ist der Blick auf elementare Dinge: "Zwischen Regenschnüren / dem Faltwasser / aufgestiegener Meere / die unerklärliche Trockenheit / der Wüsten".
Dieser poetische Sprachfluss ist getragen von intensiven Stimmungen, die durch einzelne Bildkarawanen evoziert werden und in andere Sinnräume treiben. "Ich gehe / wie eine Silbe zur anderen geht / als würde ein Weg erfunden / indem er sprechen lernt". Also lassen wir es "in fremder Sprache regnen"!
Du allein beschenkst die Diebe
Gedichte von Lisa Mayer
Haymon Verlag, Innsbruck 2005
76 Seiten, geb., e 18,40
NACHTLIED
An deine unberührte Gasse
ein Geständnis des Lichts
Ein leuchtender Mund unter Bäumen
Wörter warten in Astspitzen
bis der Tag aufbricht
An dich
das zärtliche Alphabet des Regens
Sterne wecken mit Stimmgewalt
schlafende Könige
Sie stehen auf
dein stilles Gegenbild zu finden
im Dornenfeuer
ihrer Wüsten
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