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Sie gilt als die bedeutendste österreichische Lyrikerin ihrer Generation: Evelyn Schlag. Der jüngste Lyrikband beweist ihr Können.

Evelyn Schlags Fähigkeit zur Zyklenbildung und ihr konsequentes Ausloten der Tiefen und Untiefen der Liebe fällt seit den Zyklen "Orpheus, weiblich" und "Septemtriones" des Bandes "Ortswechsel des Herzens" (1989) ins Auge. Der neue (fünfte) Band "Brauchst du den Schlaf dieser Nacht" ist konsequent durchkomponiert und beeindruckt durch eine Formenstrenge, die aber keine einfache Hinwendung zur Tradition bedeutet - dazu sind die Formen zu individuell gebildet. Durchgeschriebene Gedichte stehen neben strophisch strukturierten, regelmäßige Strophenfolgen neben ganz unregelmäßigen. Konsequente Interpunktionslosigkeit schafft einen dynamischen Sprachfluss und ermöglicht Mehrfachbezüge; gleichzeitig werden die Verszeilen durch Großschreibung des ersten Wortes überdeutlich betont und so im Enjambement die Satzstruktur durch die Versstruktur besonders deutlich gebrochen. Ein dynamischer Duktus entsteht, der oft die einzelnen Strophen einschmilzt, gleichzeitig wird der Lesefluss konsequent gebrochen und verlangsamt.

Unterschiedliche Landschaften und Szenerien eines "Um Ewigkeiten zu kurzen Sommers" leuchten auf, Bilder und Miniszenen prägen sich ein, dialogische Passagen sind gerade dem Thema Liebe adäquat, Aufzählungen dienen dem Festhalten gegen die Vergänglichkeit: "und ich / Zähle das auf gegen meine Angst daß du / Taub werden wirst so wie ich halbblind". Mit diesem Bewusstsein der Vergänglichkeit endet denn auch der erste große siebzehnteilige Zyklus: "Wir wußten daß wir einmal gehen werden müssen / Weil uns nicht zusteht das Glück der Tiere."

Erinnerungsfragmente werden im Abschnitt "Bewegungen einer Liebe" geborgen, erzählerische Elemente halten gemeinsame Vergangenheit fest. Zwei dialogisch angelegte Langgedichte (Evelyn Schlag hat den lyrischen Atem dazu!) vereint der dritte Abschnitt; im LissabonGedicht fällt die Frage, die zum Titel geworden ist: "Und brauchst du den Schlaf dieser Nacht?" Der immer gleiche Anfang der vierzehn Strophen des Gedichts, "Laß uns nicht sagen woher wir kommen", legt eine der Wurzeln der Suggestivität dieser Klanggebilde frei.

Einen ganz anderen Ton schlägt der Abschnitt "Lauras Songs" an: kurze, regelmäßige, eben "liedhafte" Verszeilen. Der erste dieser Songs, der wieder mit dem Gleichklang der Strophenanfänge arbeitet, mündet in den schönen Schluss: "Ich reise mit dir in die Bücher / Wo es uns schon hundertmal gibt / Wo wir einander zitieren und / Das allerletzte Wort haben wir".

An anderen Stellen wird eine imaginäre Nähe herbeigesungen, etwa in der refrainartig wiederkehrenden Strophe: "Leg den Kopf an meine Schulter / Du bist so weit so weit / Ich trinke mich betrunken bis / Du durch dieses Zimmer gehst". Einen wiederum ganz anderen Duktus haben die Amerika-Impressionen der folgenden Abteilung.

"Ich wünsche mir einen Voyeur / Wie Vermeer so diskret / Der seine Scham mit ins Bild malt / Wenn er mir zusieht / Wie ich die Briefe lese", heißt es im Gedicht "Die Briefleserin" des letzten Abschnitts. Hier findet Evelyn Schlag sehr individuelle Sprachbilder zu Gemälden. Überzeugender Schluss-punkt des Bandes ist das Gedicht "Curriculum vitae", das die rasante Beschleunigung des Lebens(gefühls) in Bilder umsetzt und eine Gegenstrategie entwirft: "Und so als wollte ich es noch mal lernen / Mit betonter Langsamkeit lerne und nicht / Wie man erwarten könnte geübter und / Mit Blick auf das was man weglassen kann". Heimatliche Sommerlandschaften und der Blick auf fremde Gegenden, eine Ruhe, die stets brüchig werden kann, die selbstverständliche Anrede eines vertrauten Du, die sich als imaginär entlarven kann: Evelyn Schlags Gedichtband birgt in seinen Bildinhalten wie in der Art und Anlage der Gedichte sehr gegensätzliche Pole, baut Spannungen auf, schafft aber auch Wiederholungen und Assonanzen, die im Gedächtnis haften bleiben. Von den Klängen leben diese subtilen Textgebilde ebenso wie von den Bildern, die sie malen und die sie im entscheidenden Moment verweigern. "Laß uns nicht sagen woher wir kommen / Keinen Mythos finden für unseren / Ungezeugten Beginn weil nichts uns / Erklärt als was wir schreiben weil wir / Hier nichts als Dichter sind ständig / In Gefahr und im Besitz der Worte laß / Meine Worte die Wange sein deine den Mund".

Von Buch zu Buch ist es spannend zu verfolgen, wohin der Weg von Evelyn Schlag führt. In ihrer Prosa hat sie mehrmals mit großer sprachlicher Gestaltungskraft das erotische Begehren aus der Perspektive einer Frau gestaltet. In den Gedichten umkreist sie die Utopie einer Liebe, die nur selten in beschauliche Zweisamkeit abzugleiten droht und in den gelungensten Beispielen zum Prisma einer neuen individualisierten Weltwahrnehmung wird.

Brauchst du den Schlaf dieser Nacht

Gedichte von Evelyn Schlag,

Zsolnay Verlag, Wien 2002, 118 Seiten, geb., e16,40

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