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Poesie und Politik

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„Orpheus, weiblich", das erste Gedicht des vor drei Jahren erschienenen Gedicht-Bandes „Ortswechsel des Herzens" von Evelyn Schlag, bot sich als Kürzel und Markenzeichen für die Kritik geradezu an. „Der Schnabelberg" zeigt nun, daß die Sprache, die diese Autorin für die Tiefen und Untiefen der Liebe erfindet, noch nicht erschöpft ist, vor allem aber, daß sie nicht darauf reduziert werden kann.

Thematisch und formal sehr verschiedene Gedichte vereint der Abschnitt „Soziallehre". Einen unerwartet neuen Ton schlägt das Gedicht „Akademikerlied" an, das kabarettistisch die männerbündlerische Abgestumpftheit hinter akademisch-kulturellen Masken aufs Korn nimmt. Die gekonnte und ganz unaufdringliche Verschränkung individueller Verhaltensweisen mit politischen Einstellungen und Stimmungen kennzeichnet die besten Gedichte dieser Abteilung.

Schon das Titelgedicht überblendet verdrängte historische Fakten mit Fragmenten einer Mann-Frau-Beziehung; dies und der Brückenschlag zwischen Poesie und politischer Erfahrung ist seit Ingeborg Bachmann kaum einmal so geglückt. Der Vergleich der beiden Lyrikerinnen - schon mehrmals angestellt - hilft freilich nur weiter, wenn er die Unterschiede nicht unterschlägt.

In „Versuchungen", einem elfteiligen Zyklus, gelingt Evelyn Schlag wie selbstverständlich die durchgehende Verwendung des Reimes, die gar nichts Epigonales an sich hat, durch Enjambements gebrochen wird oder in der Satzmelodie zu verschwinden scheint. Es ist kein Zweifel: Evelyn Schlag ist Österreichs bedeutendste Lyrikerin der jüngeren Generation.

DER SCHNABELBERG. Von Evelyn Schlag. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 1992. 124 Seiten, öS 156,-.

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