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Graphik von Ernst Degasperi

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Was landläufig unter dem Begriff „religiöse Kunst“ verstanden wird, hat vielfach mit Religion und Kunst nichts zu tun, selbst wenn man sie in konsekrierten Kirchenräumen vorfindet und sie riesige Flächen ausfüllt. Wir müssen uns allzu oft abfinden mit problemlosen Darstellungen aller Realität entrückter frommer Szenen, die uns nicht erreichen, die uns nicht in Anspruch nehmen, weil sie weitgehend anspruchslos sind. Anders die Graphiken Ernst Degasperis. Er, den man rasch als „religiös engagiert“ etikettiert hat, versteht es, uns aus den bequemen Fauteuils einer Art christlichen Establishments aufzujagen und unsere Stellungnahme zu provozieren. Das Betrachten seiner Bilder wird zu einer Entdeckungsfahrt in die Tiefe der Gegenwart.

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Was landläufig unter dem Begriff „religiöse Kunst“ verstanden wird, hat vielfach mit Religion und Kunst nichts zu tun, selbst wenn man sie in konsekrierten Kirchenräumen vorfindet und sie riesige Flächen ausfüllt. Wir müssen uns allzu oft abfinden mit problemlosen Darstellungen aller Realität entrückter frommer Szenen, die uns nicht erreichen, die uns nicht in Anspruch nehmen, weil sie weitgehend anspruchslos sind. Anders die Graphiken Ernst Degasperis. Er, den man rasch als „religiös engagiert“ etikettiert hat, versteht es, uns aus den bequemen Fauteuils einer Art christlichen Establishments aufzujagen und unsere Stellungnahme zu provozieren. Das Betrachten seiner Bilder wird zu einer Entdeckungsfahrt in die Tiefe der Gegenwart.

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Der Auftrag kommt aus der Tiefe der Seele: Degasperi schafft de profundis: „Für mich ist Kunst, das auszudrücken, was ich aus meinem Innersten herausschreien muß!“ Er zeigt auf, daß der Weg zu Gott nicht — wie Rilke einmal meinte — „furchtbar weit, und weil ihn lange keiner ging, verweht“ ist. Wir befinden uns auch nicht in Kafkas auswegloser Tunnelsituation, denn unser Gott ist kein distanzierter, schweigender, im All zerronnener Gott, sondern ein allgegenwärtiger, der nicht im Verborgenen geblieben ist und erfunden werden mußte, sondern sich geoffenibart hat. Was die Heilige Schrift davon berichtet, ist zwar in bestimmter historischer Epoche geschehen, hat alber Gültigkeit für alle Zeiten. Des Künstlers Aufgabe ist es, diese Aussagen sicherzustellen.

Vor fünf Jahren erst begann der aus Meran gebürtige, heute 41jährige Ernst Degasperi seine freie künstlerische Arbeit. Das technische Rüstzeug hatte er sich in den Hochregionen des Zilier-tales erarbeitet: In den bizarr verschlungenen und verknoteten Formstrufcturen der Wurzelstöcke, die dort Oben Wind und Wetter trotzen, entdeckt er formal und symbolisch das Ausdrucksmittel für seine graphische Sprache. Auf dem Weg der Abstraktion von der direkten Naturstudie gelangt er in seinen Federzeichnungen zu einem subtilen, ziselierenden Linienduktus, . gleichsam das zarte 'Nervensystem aller Dinge darstellend, und in seinen Tusche-Piinsel-Zeichnungen zu einem kräftigen, adernartigen Geflecht, in welchem vital das Leben pullst, beide Male expressiv und dynamisch.

Degasperi beginnt die Heilige Schrift, die genug „Dynamit“ enthält, um eine ganze Welt zu verändern, nach jenen Anreicherunigen von Sprengstoff zu durchsuchen, die dann in ihm eine Initialzündung auslösen. Gleich in seinem ersten Zyklus, „Apokalypse 63“, zeichnet er sich in einer flammenden Ouvertüre eine Fülle von Anliegen von der Seele. Das zentrale Thema der Apokalypse, der Enbscheidungs-kaimpf um das Reich Gattes, der mit dem Komanen Christi in der Menschheit eingesetzt hat, ist auch der Inhalt der 28 Bilder dieses Zyklus. Degasperi beginnt zu dechiffrieren: Der apokalyptische Reiter auf dem weißen Pferd mit Pfeil und Bogen, dem orientalischen Symbol des völkermordenden Kampfes, ist unserer Diktion nach das Atambomibenflugzeug, der Panzer, das Maschinengewehr. Der Reiter auf grauem Roß, der gekommen ist, um zu töten mit Schwert, Hunger, Pest und durch wEde Tiere, mordet in unseren Taigen mit wild dahinrasenden Autos. Wenn einst die Geißel der Pest über die Menschen kam, so heißt diese Seuche heute Abtreibung.

Eine Reise nach Lourdes löst im Menschen Degasperi eine Revolution aus. Er vernichtet die ersten acht, bereits fertig gewesenen Bilder des „Lamm“-ZyMus und beginnt, die Worte der Bergpredigt neu zu zeichnen. Es sind Variationen zu jener von Christus angekündigten Richtschnur „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“. Die Fest-wochenaussteilung 1965 auf dem Leopoldsberg findet ein nachhaltiges Echo. Im gleichen Jahr reist Degasperi nach Israel. Die von den Propheten des Alten Bundes ausgehende Faszination hatte ihn ergriffen. Er, der ich diesen glutvollen Gestalten wesensverwandt fühlen muß, nimmt die gleiche Mühsal auf sich wie jene einst für wahnsinnig gehaltenen Propheten: Er geht hinaus in die Wüste Negev. Dort in der Einsamkeit liest er die Bibel, weil dort das Wort ein anderes Gewicht bekommt als in unseren lärmenden Großstadtsümpfen. Er tut es, uim in sich die Stimmung wachzurufen, die er als Voraussetzung empfindet für seine künstlerische Expressiviität und um „zu den wahrsten und richtigsten Bildern zu kommen“. Das Ergebnis dieses Aufenthaltes am Toten Meer bildet der Zyklus „das Wort“, die vier großen Propheten des Alten Bundes in der Konfrontation mit der Gegenwart. Im Frühjahr 1967, nur wenige Tage vor Ausbruch des Nahostkrieges weilt Degasperi auf dem Berge Sinai, wo er innerhalb einer Woche den Zyklus „Exodus 67“ zeichnet. Es sind nahezu ein Meter hohe, direkt und ohne Skizze mit dem Pinsel aufs Papier geworfene Zeichnungen. Sie lassen ahnen, welches Ringen da in den Feisklüften des Sinaimassivs stattgefunden halben mag. Man spürt heraus jenes Suchen nach Gott, Seiner Größe, Seiner Gewalt und Seiner Liebe. Die Details werden unwesentlich, das Geschehen übersteigt Raum und Zeit: der zu einem Knäuel Mensch zusammengesunkene Moses vor der Stimme aus dem Dornbusch ist jeder von uns. Heuer hat Degasperi die Arbeit an zwei weiteren Zyklen abgeschlossen: „Lied der Lieder“, Federzeichnungen in Schwarz und Gold zum Hohelied Salomons, und „Genesis“ (Festwochenausstellung 1968 im „Haus der Jugend“). Während sich Degasperi in den früheren Zyklen voll gellendem Zorn der Aggressivität des Bösen in der Welt entgegengeworfen hatte, will er mit dem „Genesis“-Zykluis zwei Wahrheiten aufzeigen: die Dokumentation der unendlichen Liebe Gottes, der Seine Treue (im Gegensatz zum Menschen) stets hält und stets neue Bündnisse zur Errettung des Menschen schafft, und den Rang des Menschen in der Schöpfung, seine kosmische Mittelstellung zwischen Geist und Materie, ist er doch „Ebenbild Gottes“ und nicht bloß „Spottgeburt aus Dreck und .Feuer“. .., ......%

In der relativ kurzen Zeit seiner freien künstlerischen Tätigkeit hat eich Degasperi bereits einen klangvollen Namen erobert So errang der Fernsehfilm „Apokalypse heute“ über Zeichnungen aus mehreren seiner Zyklen beim Internationalen UNDA-Festivad des religiösen Firns 1968 in Monte Carlo einen ehrenvollen dritten Platz unter 39 eingereichten Streifen aus 15 Ländern. Auch fand heuer erstmals eine Ausstellung seiner Werke im Ausland statt, und zwar in der Deutschen Gesellschaft für Christliche Kunst in München Im kommenden Jahr wird Degasperi auf Einladung des österreichischen Kulturinsti-tuts in Rom ausstellen.

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