Handke - © Foto: APA / AFP / Jonathan Nackstrand

Peter Handke: Rache mit dem zweiten Schwert

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„Das ist also das Gesicht eines Rächers!“ – Mit diesem markanten Satz eröffnet Peter Handke seinen neuen Prosatext „Das zweite Schwert“.

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„Das ist also das Gesicht eines Rächers!“ – Mit diesem markanten Satz eröffnet Peter Handke seinen neuen Prosatext „Das zweite Schwert“.

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Nach der Nobelpreisverleihung ist es im neuen Jahr wieder still um den österreichischen Dichter Peter Handke geworden. Im Frühjahrs programm des Suhrkamp Verlags liegt nun eine neue Publikation von ihm vor, eine „Maigeschichte“, die unter dem Titel „Das zweite Schwert“ veröffentlicht worden ist und bereits großes Echo hervorgerufen hat. Damals im Herbst hat Handke den Medien gegenüber erwähnt, dass er sie vollenden wolle, bevor er nach Stockholm aufbreche, um den Preis entgegenzunehmen.

Obgleich dieser Prosatext auf die Monate „April – Mai 2019“ datiert ist, greift Handke darin ein Thema auf, das eigentlich auch als literarische Replik auf die erbittert geführte Kontroverse um seine Person im Zuge der Nobelpreisverleihung gesehen werden kann. Zumindest ist diese Annahme im Feuilleton in den letzten Tagen schon mehrmals zum Ausdruck gebracht worden. Dennoch wäre es ein Trugschluss, das Werk darauf zu reduzieren. Handke integriert in seinen komplex gestalteten Erzählkosmos Anspielungen, die seinen Umgang mit der Außenwelt und die mediale Wahrnehmung seiner Person „im Lauf des Lebens“ betreffen. Hier wird Rache in einem latenten Spiel mit der Autofiktion zum Impetus des Schreibens und der Reflexion.

Martialisches Vokabular

Seinem Werk stellt Handke ein Zitat aus dem Lukasevangelium als Motto voran, das auf die „zwei Schwerter“ Bezug nimmt und bei genauerer Betrachtung auch wertvolle Hinweise auf den inhaltlichen Verlauf dieses zweigeteilten Prosatextes gibt. Die Spuren legt er zunächst verdeckt aus. Erst nach und nach enthüllt sich der Grund für das Rache-Ansinnen. Wie so oft bei Handke steht der Ich-Erzähler am Beginn vor einem Aufbruch. An dem „bewußten Morgen“ führt er vor dem Spiegel stumm ein Selbstgespräch: „Das also ist das Gesicht eines Rächers!“

Er muss eine späte, lange verzögerte, aufgeschobene, auf jeden Fall längst fällige Rache nehmen, mit der Intention, aufzuschrecken und die „Öffentlichkeit“ aufzuwecken. Von Anfang an kennzeichnet den Rächer Ruhe – mit einer Art Schwere im Herzen.

Hier wird Rache in einem latenten Spiel mit der Autofiktion zum Impetus des Schreibens und der Reflexion.

Erst viel später erfährt man, dass der Grund für die geplante Aktion die einstige Verleumdung seiner „heiligen Mutter“ ist. Ihr sei in einem Zeitungsartikel, der eigentlich auf den Ich-Erzähler bezogen war, großes Unrecht widerfahren, indem man in das beigefügte Foto ein „stark vergrößertes Kopfbild“ von ihr montiert hat. Daher ist sie plötzlich inmitten der jubelnden, „schreienden Menschenmasse auf dem Heldenplatz“ zu sehen. Mit Leichtigkeit hat man ihr auf diese Weise unterstellt, eine Nazi-„Anhängerin“, ja „Parteigenossin“ gewesen zu sein. Bislang hat der Protagonist die Frau, die für diese „Anwürfe“ verantwortlich war, nicht getroffen. Aber nun ist es Zeit, ihr zu begegnen und endlich Rache zu üben, zumal der Ich-Erzähler zufällig in derselben Gegend wie diese Journalistin lebt. Der „Rachefeldzug“ – Handke verwendet tatsächlich immer wieder martialisches Vokabular – weicht dabei aber ständig aus dem Fokus. „Augenblicksideen“ durchkreuzen die Gedanken. Zur Versöhnung würde es aber wohl trotzdem kaum kommen.

Heftige Kritik an der Presse

In der Vorbereitung der „RacheExpedition“ reflektiert der Ich-Erzähler seinen bisherigen Umgang mit Gewalt. „Nicht immer ist es bei bloßen Vorstellungen [...] geblieben. Dann und wann habe ich mich auch schuldig gemacht und sie ausgeübt [...] Ja, Gewalt war in ein paar meiner Taten wie, auf andere Weise, und weit öfter und heftiger, meinen Worten gewesen.“ Darüber geschrieben habe er bislang noch nie. „Als Gipfel der Gewalttätigkeit“ sieht der Protagonist die „ferntickende, ohne Anrempelworte daherkommende Schriftsprache, verkürzt gesagt, der Zeitungen“, die er offen und provokant kritisiert: „Ihre Gewalt, indem sie als die alleinrichtige, die es besser wissende, allesdeutende, allesbeurteilende, enthoben den Dingen, den Werken und Tagen, ihre Schriftzeichen schlang, schlaufte, knüpfte und zuzog, war es, die in meinen Augen auf dem Erdkreis das größte Unheil anrichtete und ihren [...] wehrlosen Opfern nie wiedergutzumachendes Un- recht zufügte.“

Mit diesen Gedanken im Kopf bricht der Rächer auf, nicht ohne zuvor ein paar Tage in seinem Ort und Haus verbracht zu haben, gerade als die Kräfte des Frühlings wie im „Zeitraffer“ die Hügelkette am Horizont in frisches, schillerndes Grün getaucht haben. Kontemplative Schau mündet dabei in ein leises Staunen: „,Da ist es!‘, dachte ich im stillen. ,Da spielt es. Da geschieht es.‘“ Die Freude am Nichtstun, die Wahrnehmung des Unscheinbaren, Kleinen oder die permanenten Aufbrüche lassen an die Entschleunigungsmotive der Romantiker denken. Vor allem das „In-der-Natur-Sein“ ermöglicht „Ablenkung“ und Erkenntnisgewinn. Wie in seinem letzten Roman „Die Obstdiebin“ strukturiert Handke mit der Bewegung das Geschehen. Der namenlose Ich-Erzähler trägt das Briefkuvert mit der Anschrift der Frau im Jackett seines Dior-Anzuges; er fährt öffentlich und geht zu Fuß. Glänzend schildert Handke während dieser langsamen Art des Reisens erstaunliche Beobachtungen. Aufmerksamkeit kommt dabei dem unmittelbaren Umfeld zu.

Unwillkürlich geraten Hybridzonen zwischen Urbanem und Land ins Blickfeld: Bahnhöfe, Untergrundzüge und Straßenbahnen mit ihren Geräuschen und Fahrten hinaus aufs Land. „Zwischen Savannenrispen“ entdeckt man sogar Rehe. In der Straßenbahn selbst gilt die Konzentration besonders der Beobachtung der Menschen. „Augenspiele“ mit Tramkindern und Reflexionen über Fahrgäste rauschen polyphon wie eine Art Kopfkino durch die Gedankenwelt des Betrachters. Dann geht es im Taxi zum „aufgelassenen Kloster“ Port-Royal-des-Champs. Auf der Suche nach Rat sieht er plötzlich auf einem Mauerstein eine Inschrift: „HEUTE ACHTEN MAI 1945 – LÄUTEN DIE GLOCKEN DEN SIEG!“. Sofort wird diese Stelle zu seinem „Jetztplatz“: „Und ein einmaliges Brausen ging durch das Maienlaub.“ Als er zur Ruhe kommt, fordert ihn der Wind flüsternd dazu auf, „die Pforten der Sinne“ zu schließen. Handke fügt hier wortgewaltig Kurioses, Paradoxes und Eigenwilliges in einem ganz eigenen Ton zusammen.

Lektüre als Impulsgeber

Irgendwann erweist sich die Racheaktion als undurchführbar. Stattdessen nimmt der IchErzähler die Klänge eines Festes wahr und der Bogen spannt sich wieder zum Anfang. Der Taschenspiegel der Sitznachbarin auf dem Fest, in dem er sich betrachtet, bildet den Rahmen. Die „Übeltäterin“ hat keinen Platz mehr in seinen Gedanken. Denn das „zweite Schwert“ ist nicht aus „Stahl“. Nichts ist passiert. Rache quasi in sublimierter Form. Handke unterfüttert die eingewebten Reflexionen mit dichten literarischen und philosophischen Anspielungen. Explizit nennt er etwa Marcel Proust, Hesiod, Homer, Blaise Pascal oder George Simenon, mehrfach auch die Bibel. Lektüre wird – fast wie bei Mayröcker – zum Impuls für die Weltaneignung mit markanter Bildsprache und oft schwebender Syntax. Am Ende wird im Spiel mit dem Erzähler alles wieder mit unkomplizierter Leichtigkeit zusammengeführt: „Und plötzlich rollte die Kugel, rollten die Murmeln ganz woandershin, als zu Beginn dieser Geschichte gedacht.“

Handke - © Foto: Suhrkamp
© Foto: Suhrkamp
Buch

Das zweite Schwert

Eine Maigeschichte
Von Peter Handke
Suhrkamp 2020 160 S.,
kart., € 20,60

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