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Revolte im Elfenbeinturm

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Wenn man bisher gewohnt war, Texte selbständig zu werten und nur diese auf die konstituierenden Elemente hin zu untersuchen; wenn man bisher gewohnt war, daß nur noch die Kommunikation zwischen Text und Leser ausschlaggebend sei, daß die Erfahrung des Lesers am Text Grundlage der Urteilsbildung sein könnte — so wird man nun eines Besseren belehrt, man Wird in Zukunft nicht mehr nur Handke-Texte, sondern Handke und Texte zu berücksichtigen haben, nur dann gelänge nach des Autors Worten eine dem Text adäquate Interpretation, und nur dann entstehe eine Perspektive, aus der sich der Autor gerecht beurteilt fühlen würde.

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Wenn man bisher gewohnt war, Texte selbständig zu werten und nur diese auf die konstituierenden Elemente hin zu untersuchen; wenn man bisher gewohnt war, daß nur noch die Kommunikation zwischen Text und Leser ausschlaggebend sei, daß die Erfahrung des Lesers am Text Grundlage der Urteilsbildung sein könnte — so wird man nun eines Besseren belehrt, man Wird in Zukunft nicht mehr nur Handke-Texte, sondern Handke und Texte zu berücksichtigen haben, nur dann gelänge nach des Autors Worten eine dem Text adäquate Interpretation, und nur dann entstehe eine Perspektive, aus der sich der Autor gerecht beurteilt fühlen würde.

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So nehmen wir also am Beispiel der „Deutschen Gedichte“ zur Kenntnis, daß diese Stanitzelpiublikation, in der Börsenmitteiiljungen, Lottozah-len, Zeitungsannoncen und anderes Alltägliches mit des Verlegers eigener Spucke in 40 Briefumschlägen verschlossen sind und, als Buch gebunden, den Leser auffordern, den Brieföffner zu wetzen und das Spiel mit dem Zufall bis zum bitteren Ende (sprich 10 DM ärmer) auszukosten, daß diese Nachrichten enthalten, die nicht als Texte zu werten sind, sondern Auskunft geben sollen über den Menschen Handke, über alles das, was zu seiner Existenz innerhalb eines bestimmten Zeitraumes gehörte, was Handke an alltäglichen Mitteilungen aufgenommen hatte. Dies, so erläuterte Handke, sei letztlich auch die Grundidee der „Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“, wo Eindrücke und Erlebnisse eines Jahres als Jahresschau zusammengestellt sind. Das klingt gut, wird aber sofort unglaubhaft, wenn wir im Register des zuletzt genannten Bandes lesen, daß die Texte in einem Zeitraum von drei Jahren entstanden und zum Teil in veränderter Form einzeln publiziert sind; wenn wir in eben diesem Band in einem Gedicht mit dem Titel „Was ich nicht bin, nicht habe, nicht will, nicht möchte — und was ich möchte, was ich habe und was ich bin“ aus dem Jahre 1966 lesen „Ich bin... kein Bewohner des Elfenbeinturms“ und die Überschrift eines Aufsatzes aus dem Jahr 1967 ausdrücklich lautet „Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms“, wo also erhebliche Bedenken an der in die Texte einbezogenen Integrität des Ich anzumelden wären. Am

Beispiel der „Deutschen Gedichte“ stellt man mit unbändiger Freude fest, daß das Geschäft des Schriftstellers offenbar heute weniger anstrengend und immer leichter wird, wenn es schon genügt, Lottozahlen oder die Aufstellung einer Fußballmannschaft ohne jede Manipulation aufzuschreiben, Gedicht zu nennen und dann noch ein hochhonoriertes Copyright zu verabreden. Für den Leser allerdings ist die Freude weniger groß, denn so alt die Idee ist, so einfallslos präsentiert sie sich, da das Ergebnis in die schönste Langeweile und flugs zu den Dadaisten zurückführt, die Prächtigeres boten. Am Beispiel der „Innenwelt“ sieht man, wie unglaubhaft die Intentionen Handkes verwirklicht sind. Seine Erklärungen sind schnell als fadenscheinige Entschuldigungen dafür zu entlarven, daß er in fast jedem Text sich ständig ins Spiel zu bringen versucht, als Person in jedem Gedicht aufkreuzt oder zumindest im Denken des Lesers hinter den Texten wie weiland Rilke durchschimmert beziehungsweise durchschimmern will. Das Fatale ist nun, daß sich Handke für etwas rechtfertigt, dessen es überhaupt keine Rechtfertigung bedarf. Keiner verwehrt ihm „nur von sich selber zu schreiben“ — wie er einmal in den Akzenten formulierte —, niemand nimmt ihm übel, daß er'sich einem Sprachfaenmetistnus verschrieben hat, oder die Tatsache, daß er in der Tat den Elfenbeinturm behaust. Unangenehm wird es nur dann, wenn Handkes Begründungen bedenklich in die Nähe der Abwehr eines Vergleichs mit Autoren der Jahrhundertwende geraten. Schwiege er und ließe nur das Geschriebene

gelten und wirken, nur die Texte ohne biographische Erläuterungen sprechen, wären plötzlich wieder Dinge wie „Rollen“ (die etwa das Ich bekommt) oder .ySpielformen“ (in der Manipulation von Vokabular, Grammatik und vorgegebenen Sprachmustern wie Werbesprüche, Annoncen, Mannschaftsaufstellungen u. a.) hochwirksam, zwei Textkriterien, gegen die sich Handke scharf wehrte, da er diese gerade in der Umwelt und Gesellschaft aufdecken wollte, kraft der Uberprüfung seiner Existenz im Gegenüber dieser „Rollen“ und „Spielformen“ sie entlarven und anprangern möchte, dabei aber zum Beispiel völlig übersieht, daß seine Texte nur wieder neue Spielformen sind, das Ich immer neue Rollen annimmt, er sich diesen Dingen einfach nicht entziehen kann. Schließlich — und das ist die auffälligste Diskrepanz — will Handke auf der einen Seite Veränderungen schaffen, die Gesellschaft und das Publikum aus seinen Erfahrungen etwas lehren, auf der anderen Seite steht er aber außerhalb der Gesellschaft, sozusagen über ihr, wenn er von einer Totalen spricht.

Wie — so fragen wir — vermag er dann seine Erfahrungen mitzuteilen, und was davon findet überhaupt den Eingang in die unaufgeklärte Masse. Wir meinen, um der Gesellschaft Lehren zu erteilen, muß man gerade in ihr Erfahrungen sammeln, diese reflektieren, um dann zu einem praktikablen Denkansatz zu gelangen; und damit die Gesellschaft sich überhaupt angesprochen fühlt, muß die Art ihrer Beeinflußbarkeit ebenfalls aus ihr heraus beobachtet werden. Kurzum, wenn Handke Brechtsche Ambitionen verwirklichen will, müßte er Rükesche Vorstellungen von der Auserwähltfheit des Dichters und seiner Suggestions-knaft- (auf Grund seiner Autorität) gegenüber der Gesellschaft aufgeben. Alles dies gilt für den Lyriker und den Prosaisten Handke. Anders sieht es mit dem Dramatiker und dem Hörspielautor aus, da das Ziel genauer fixiert und die Methode exakter ist.

Mit den Stücken will Handke die

Seh-, Hör- und Denkgewohnheiten des Publikums (nicht der Gesellschaft) — und damit wieder innerhalb einer Gruppe, innerhalb eines abgeschlossenen Raumes — stören, Blick, Gehör und Kombinationsgabe befreien für neue Erlebnisse. Er tut dies, indem er die Kategorien des bisherigen Theaters auflöst oder verzerrt, indem er neue Elemente wie Sprachlosigkeit, Uberdehnung der Zeit, Aktivierung des Publikums verwendet. Hier ist die Entwicklung von der „Publikumsbeschimpfung“ bis zum „Mündel will Vormund sein“ stringent, wohl einzig innerhalb der neuen Bemühungen um das Theater und macht gespannt auf Handkes nächsten Schritt in diesem Metier.

Klaus Peter Dencker

Stenogramm

SECHSMAL GRIECHENLAND. Von Elisabeth v. Dryander. Verlag R. Piper & Co., Verlag München. 444 Seiten.

Hinter dieser flüssigen, da und dort tiefer lotenden Reisebeschreibung steht (nicht nur im Kapitel „Die verpaßte Renaissance“) die Gretchenfrage auf: Was ist aus dem Land des Olymps und den Leuten von Perikles bis Pattakos geworden? Die Gegenwart gibt eine böse Antwort darauf — doch: Ist die Geschichte von Hellas schon abgeschlossen? *

DIE UHR AM SCHOTTENTOR.

Biographischer Roman von Egon F enz. österreichische Verlagsanstalt, Wien. 416 Seiten.

Am Anfang dieser Erinnerungen des bekannten Wiener Arztes, Philologen „und Poet dazu“ stehen die Kindheit in Gersthof und Scheibbs und die Jugend im Schottengymnasium, am Ende die präsakrale Ischiasinjektion — ein kühner Bogen, ein liebenswerter Lokalroman! R. H.

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