Verwandlung und Bergung der Dinge in Gefahr

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Peter Handkes Religionskritik und ihre Wandlungen. Eine religiöse Spurensuche im Denken und Werk des Schriftstellers, der Anfang Dezember seinen 70. Geburtstag begeht.

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Peter Handkes Religionskritik und ihre Wandlungen. Eine religiöse Spurensuche im Denken und Werk des Schriftstellers, der Anfang Dezember seinen 70. Geburtstag begeht.

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Die frühen Werke Peter Handkes sind ausgesprochen religionskritisch, wobei Religionskritik aber nicht im Vordergrund steht, sondern in eine umfassende Sprachkritik eingebettet ist. In den Sprechstücken "Kaspar“ und "Selbstbezichtigung“ zeigt er den einzelnen Menschen als von Anfang an der strukturellen Ordnungsmacht von Sprache ausgeliefert und so seinem Innersten entfremdet. In "Kaspar“ - das Stück sollte ursprünglich "Sprechfolter“ heißen - macht Handke die zu einem geregelten Leben rufenden Sätze als ein großes in die Gesellschaft einfügendes Schema bewusst. Die "Selbstbezichtigung“ hat die Form einer Beichte, wobei Selbstaussagen eines Individuums rituell so aneinandergereiht werden, dass die Wahrnehmung einer einzigen großen Existenzschuld entsteht.

Der Gedanke, dass Religion den Einzelnen vor der Ausgesetztheit in der Welt und den gesellschaftlichen Zwängen schützen könnte, liegt Handke damals fern. Das wird besonders in der Erzählung "Wunschloses Unglück“ deutlich, in der er, erschüttert durch den Selbstmord seiner Mutter, nach Sprache sucht. In dieser Erzählung beschreibt er berührend, wie die Mutter zunehmend wunschlos zum Opfer eines depravierenden familiären und einengenden dörflichen Milieus wird und schließlich nicht mehr leben mag. Glaube und Frömmigkeit werden von Handke für dieses Schicksal mitverantwortlich gemacht: Handke hat den würdigenden Blick auf Menschen, die Opfer gesellschaftlicher Verhältnisse wurden und unbeachtet am Rand der Gesellschaft stehen, stets behalten.

Gewandelte Sicht auf die Religion

Seine analytische Fähigkeit, zu zeigen, wie die Lebenswirklichkeit durch schematische Wahrnehmung und Beschreibung determiniert ist, wird später den Kern seiner Medienkritik ausmachen. Doch die Intention seines Schreibens ändert sich nach 1971 merkbar. Mehrere Spuren von Handkes gewandelter Auseinandersetzung mit Religion finden sich unter den Notizen in seinem Tagebuch "Das Gewicht der Welt“ (1975-77) umfasst. Er hält darin vor allem fest, wie er immer wieder von Schrecken und Trauer über den Tod seiner Mutter eingeholt wird, von Todesängsten, Todessehnsucht und Sinnlosigkeitserfahrungen. In diesem Kontext sind dann die expliziten Bezüge auf Religion zu verstehen: Orgelmusik: Vorstellung, es müsste doch etwas geben, das der Grund dieses Klanges wäre, diese Musik kann nicht für sich, aus sich entstanden sein; sie erzeugt die Vorstellung eines höheren Wesens, das ich mir sonst nicht denken kann.

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