"Da erglänzt in reiner Helle … Brot und Wein"

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Wo die Literatur den verlorenen Weltzusammenhang wahrnimmt, blitzen Abendmahlsreminiszenzen auf.

Fronleichnam, der Tag des demonstrativen Katholizismus, ist zum Fest einer Minderheit geworden. Und auch die sonntäglichen Messfeiern sind weiter im Abnehmen. Doch die Symbolkraft von Brot und Wein ist damit noch lange nicht zu Ende. Kein christlicher Ritus, kein Sakrament beschäftigt die Literatur bis heute so intensiv wie das Abendmahl.

In der neueren deutschen Literatur hat das mit Hölderlins Hymne "Brot und Wein" begonnen. Nach der traurigen Erinnerung an das "selige Griechenland" und der Frage "wozu Dichter in dürftiger Zeit?" erscheint in der achten Strophe Brot und Wein als Gabe der abwesenden Götter, die wiederkehren werden: "Brot ist der Erde Frucht, doch ist's vom Lichte gesegnet, / Und vom donnernden Gott kommt die Freude des Weins." Unverkennbar hat Hölderlin hier Christus und den griechischen Weingott Dionysos parallel gesetzt.

Trakls sakraler Blick

Georg Trakl schließt vor allem an Hölderlin an, wenn er in insgesamt 13 Gedichten das Motiv "Brot und Wein" aufgreift. Nur einmal steht es in einem traditionell eucharistischen Zusammenhang: Im Gedicht "Die tote Kirche" erscheint der Priester als "ein jämmerlicher Spieler / vor schlechten Betern mit erstarrten Herzen / in seelenlosem Spiel mit Brot und Wein". Im Gegensatz dazu werden die Natur oder eine Bauernstube mit Knechten und Mägden zu Orten, wo Brot und Wein ihren Glanz entfalten. Trakl hat dabei nicht die sakramentale Sphäre profanisiert, sondern das Profane sakralisiert.

Die zentrale Bedeutung von "Brot und Wein" bei Trakl manifestiert sich am deutlichsten im Gedicht "Menschheit", wo auf Bilder apokalyptischer Bedrohung unvermittelt ein Gegenbild von Ruhe und Frieden folgt: "Gewölk, das Licht durchbricht, das Abendmahl. / Es wohnt in Brot und Wein ein sanftes Schweigen." Symbol der Rettung und Erfüllung ist "Brot und Wein" auch in dem bekannten Gedicht "Ein Winterabend", das die sakrale Sphäre ebenfalls in ein Haus verlagert. Seine Schlussstrophe lautet:

Wanderer tritt still herein;

Schmerz versteinerte die Schwelle.

Da erglänzt in reiner Helle

Auf dem Tische Brot und Wein.

Dass sich Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die wie Christine Lavant stark vom Christentum geprägt sind, auf "Brot und Wein" beziehen, verwundert nicht. Heinrich Böll hat von seinem Hörspiel "Klopfzeichen" über die Erzählung "Das Brot der frühen Jahre" bis hin zum Roman "Gruppenbild mit Dame" immer wieder die Sakramentalität des Brotes literarisch in Szene gesetzt; dieser mystische Brotbezug lag bei ihm nicht nur an der christlichen Sozialisation, sondern vor allem an der fundamentalen Erfahrung des Hungers in der Kriegs- und Nachkriegszeit.

Doch Brot und Wein hat auch jene fasziniert, die sich nicht als Christen verstehen. Gottfried Benns Gedicht "Verlorenes Ich" ist eine Klage um den verlorenen Weltzusammenhang, als dessen intensivstes Symbol am Schluss der Kelch und das Brotbrechen erscheinen. Ein zentrales Modell der Weltdeutung ist "Brot und Wein" auch für Botho Strauß, allerdings in gegenteiliger Absicht. In seinem Essay "Der Aufstand gegen die sekundäre Welt" mobilisiert er ein apodiktisch und diskussionslos vorausgesetztes Verständnis von eucharistischer Realpräsenz gegen die "rationale Sprachtheorie" und für eine "sakrale Poetik".

Handkes Sehnsuchtskraft

Um den die Sehnsucht nach dem Zusammenhang der Welt und des individuellen Lebens geht es auch in Peter Handkes Erzählung "Langsame Heimkehr". Der Geologe Valentin Sorger, der sich etappenweise und in vielfacher Hinsicht auf der Heimkehr befindet und dem die Sprache der Gläubigen ebenso fremd ist wie die Sprache seiner Wissenschaft, erfährt beim Zeichnen: "Der Zusammenhang ist möglich." Bei der Teilnahme an einer Sonntagsmesse hingegen erlebt er sich "in der Gemeinschaft des Geldes". Die Eucharistie vermag die "Sehnsuchtskraft", die "ihn Einzelnen und das Weltganze ein für alle Male zusammenhalten wollte", nicht zu beflügeln, geschweige denn zu stillen. Man hat Handke oft den Mangel an Ironie vorgeworfen, doch wie er diese Messe beschreibt, das ist ein ironisches Meisterstück. Am Ende des Buches bleibt Valentin Sorger allein mit seinem "ewigen wilden Bedürfnis nach Erlösung".

Beim Messbesuch Valentin Sorgers fällt vor allem die Verbindung der Hostie mit dem Geld auf. Der Mannheimer Germanist und Medienwissenschaftler Jochen Hörisch ist dem Zusammenhang dieser beiden Scheiben - Hostie und Münze - in etlichen Publikationen nachgegangen. Die Eucharistie, das Geld und die neuen Medien (die ebenfalls durch eine Scheibe repräsentiert sind: die CD-Rom) sieht er als Leitmedien der abendländischen Kultur. Was bedeutet: Man kann sich in der Zeit, wo das jeweilige Medium seine Gültigkeit hat, die Teilnahme daran nicht aussuchen, sondern ist dazu gezwungen.

Peter Handke hat die Eucharistie aber noch in einem anderen Zusammenhang thematisiert. In der auf die "Langsame Heimkehr" folgende Erzählung "Die Lehre der Sainte-Victoire" stellt die Eucharistie im Kapitel "Das Bild der Bilder" den Ausgangspunkt der Suche nach Identität sowie nach den "richtigen Bildern" und der entsprechenden Form, also der Kunst, dar. Gustave Courbet und Paul Cézanne markieren Stationen dieser Suche, aber auch das eucharistische Brot, das erste "Bild der Bilder":

Dieses Bild war ein Ding, in einem bestimmten Behältnis, in einem großen Raum. Der Raum war die Pfarrkirche, das Ding war der Kelch mit den weißen Oblaten, die geweiht Hostien heißen, und sein Behältnis war der in den Altar eingelassene, wie eine Drehtür zu öffnende und zu schließende vergoldete Tabernakel.- Dieses sogenannte, Allerheiligste' war mir seinerzeit das Allerwirklichste.

Das Wirkliche hatte auch seinen wiederkehrenden Augenblick: sooft nämlich die durch die Worte der Wandlung sozusagen Gottes Leib gewordenen Brotartikel mitsamt ihrem Kelch im Tabernakel geborgen wurden. Der Tabernakel drehte sich auf; das Ding, der Kelch, wurde, schon unter Tüchern, in die Farbenpracht seiner Stoffhöhle gestellt; der Tabernakel drehte sich wieder zu - und jetzt der strahlende Goldglanz der verschlossenen konkaven Wölbung.

Eucharistie und Kunstwerk

Hinter dem übergenauen Detailreichtum dieser Schilderung blitzt immer wieder Handkes Ironie durch. Und dennoch wird ein Wort aus dem eucharistischen Zusammenhang zum Leitwort der künstlerischen Suche: Verwandlung. Die Parallele zwischen der Anwesenheit Jesu in der Eucharistie und der "réalisation" der Dinge in der Form des Kunstwerks ist unübersehbar; der Unterschied ebenso: Cézannes Bilder zwingen nicht in die Knie, sondern richten auf, erheben; sie sind keine Botschaften, sondern "Vorschläge".

Handkes beschreibende Erzählung seiner Poetik redet - ganz im Unterschied zu Botho Strauß - einem Verständnis des eucharistischen Brotes als "Bild der Bilder" das Wort, das nicht von einem naturhaft und "automatisch" vorgegebenen Zusammenhang von Bild und Sinn ausgeht, sondern die Notwendigkeit von Suche und Deutung betont. Was die Kraft seiner Eucharistie-Bezüge ausmacht, ist die Spannung zwischen Präsenz und Entzug, einleuchtender Anwesenheit und schmerzlicher Abwesenheit.

Mit Handke ist das literarische Reservoir von Brot und Wein noch lange nicht erschöpft. In der Literatur leuchtet das christliche Zentralsymbol vielleicht verlässlicher als in kirchlichen Riten.

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