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Die Welt als Mahlgemeinschaft

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Fronleichnam: Das ist für Katholiken Mahlgemeinschaft mit dem Herrn vor den Augen der Welt. Aber gemeinsames Essen und Trinken hat zu allen Zeiten und in jeder Kulturgemeinschaft Frieden und Freundschaft gestiftet.

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Fronleichnam: Das ist für Katholiken Mahlgemeinschaft mit dem Herrn vor den Augen der Welt. Aber gemeinsames Essen und Trinken hat zu allen Zeiten und in jeder Kulturgemeinschaft Frieden und Freundschaft gestiftet.

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Der Sessel, den wir heute benützen, ist praktisch Teil einer auseinandergeschnittenen Bank, die Serviette Reststück eines Tischtuches, und wenn wir die Gläser aneinanderstoßen, erinnern wir damit an die alte Sitte, daß dereinst alle aus einem gemeinsamen Trinkgefäß sich bedienten. Das Sitzen von Herrschaft und Gesinde um den gemeinsamen Tisch war eine soziale Demonstration.

Ein kleiner Blick in den Beispielsreichtum der Völkerkunde verrät den gemeinschaftlichen und gemeinschaftsbildenden Charakter des Mahles. Eine der alten Begrüßungsfor-meln in Südbrasilien besteht darin, daß der ein Haus betretende Gast eine Kalebasse mit berauschendem Chicha in einem Zug leeren muß. Wenn ein Araber in der Wüste einem Menschen begegnet, ist er ihm zuerst „von Natur aus“ ein Feind. Sobald er einen Bissen Speise mit ihm geteilt hat, sind beide einander Brüder geworden.

Es ist also mehr als ein Akt bloßer Höflichkeit, wenn auch wir heutzutage einem Gast zunächst etwas zu essen oder zu trinken anbieten. Die alten Handwerkerzünfte und -gilden, schon zur Römerzeit ein Zentrum des gesellschaftlichen Lebens, entwikkelten formenreiche Mahlsitten. (Das Wort „Gilde“ kommt von „Gelage“.) Gemeinschaftsbetonten Ursprungs sind auch die Trinkgebräuche der Studenten.

Der deutsche Kulturpsychologe Wilhelm Wundt vermutet hinter jeder Sitte einen kultischen Ursprung. Ob das so generell behauptet werden kann, ist fraglich. Bei den Mahlsitten spricht freilich vieles dafür.

„In auffallender Verbreitung und bis in sehr frühe Zustände zurückreichend, findet sich als Zeichen der einzugehenden Hausgemeinschaft das gemeinsame Mahl“, schreibt

Wundt im VII. Band seiner „Völkerpsychologie“ über Hochzeitssitten. Und Paul Sartori bestätigt in „Sitte und Brauch“ diese Beobachtung: „Um die künftige enge Lebensgemeinschaft zu sichern, müssen in vielen Gegenden der Welt die Brautleute zeremoniell zusammen Speise ge? nießen.“

Was vom Hochzeitsmahl gilt, trifft auch für den Leichenschmaus zu, der schon bei den alten Griechen als sinnbildhafter Ausdruck der Gemeinschaft mit dem Toten und seiner hinterbliebenen Freunde untereinander gefeiert wurde. Wenn daher in unserer heutigen Gesellschaft kein Fest vergeht, das nicht mit einem Mahl verbunden wäre, knüpfen wir damit an die Kultbräuche vieler Generationen und Zivilisationen an.

Das Warten der Tischgäste auf die Ankunft des letzten Gastes ist in diesem Sinn mehr als ein bloßer Akt der Diszipün: Keiner soll aus der gemeinschaftsbildenden Handlung des ersten Zutrunks ausgeschlossen bleiben. Ebenso darf man wohl das bekannte Wort, daß es „schon zu zweit besser schmeckt als allein“, nicht als bloße Redensart abtun. Auch in scheinbaren Kleinigkeiten manifestiert sich ein jahrtausendealtes kollektives Unterbewußtsein der Menschheit, daß nämlich in gemeinsamer und zeremoniell geordneter Befriedigung eines Naturbedürfnisses auch eine Bekräftigung der geistigen Gemeinschaft zum Ausdruck gebracht werden kann.

Vielleicht dürfen wir die Brücke zwischen einer solchen Gesinnung und ihren rein kultischen Ursprüngen im Blutsbündnis vermuten. Blut ist nach Auffassung vieler Naturvölker der Sitz der Seele eines Menschen, Träger des Lebensprinzips. Im Blutsbündnis werden Seele und Lebenskraft ausgetauscht.

Das Blut oder sein Stellvertreter, der Wein als „Blut der Traube“ (Smith, „Religionen der Semiten“), spielt im Opferkult vieler Religionen eine zentrale Rolle. Der christliche Opferkult vereinigt in grandioser Synthese die verschiedenen Elemente und Deutungsweisen der Gemeinschaft zwischen Gott und den Menschen. Christus hatte keinen Grund, für das von ihm erstmals persönlich vollzogene Opfer ein anderes als das vielfach vorgebildete Symbol - Brot und Wein - zu suchen.

In vielen Gleichnissen und Parabeln hat Jesus das Wesen der Gemeinschaft mit Gott mit einem Mahl verglichen: „Ein Mann gab ein großes Gastmahl...“ (Luk. 14, 16). In der Apostelgeschichte lesen wir (Apg. 2, 42), daß die Jünger „in der Lehre der Apostel, in der brüderlichen Gemeinschaft, im Brotbrechen und im Gebet verharrten.“

Kein Zweifel kann daran bestehen, daß die Teilnahme am eucharisti-schen Mahl von Anbeginn ein integrierender Bestandteil der Eucharistiefeier war: Das sakramentale Brot wurde nicht zum Zweck der Verehrung aufbewahrt, sondern verehrt, wenn es nicht zur Gänze genossen worden war. Der bloßen Schaufrömmigkeit des Mittelalters ist die Mahlfrömmigkeit der ersten Christen vorangegangen, die seit Papst Pius X. wieder stark auch unser heutiges kirchliches Bewußtsein bestimmt.

„Kommunion“, also das „Sakrament der Gemeinschaft“, dem die katholischen Christen zur Fronleichnam ihre Reverenz erweisen, entspricht einer Kulturäußerung der gesamten Menschheit.

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