Peter Handke: Der lebensfrohe Sisyphos
Am 6. Dezember wird Peter Handke 74. Corinna Belz widmet dem renommierten und umstrittenen Schriftsteller einen erhellenden Film.
Am 6. Dezember wird Peter Handke 74. Corinna Belz widmet dem renommierten und umstrittenen Schriftsteller einen erhellenden Film.
Beobachte nicht, prüfe nicht, sondern bleib geistesgegenwärtig bereit für die Zeichen. Sei erschütterbar." Am Ende des Films rezitiert Peter Handke diese Worte aus einem Monolog der Nova in "Über die Dörfer". Wenn man sein Stück aus dem Jahr 1981 heute wieder liest und dazu den Film "Peter Handke - Bin im Wald, kann sein, dass ich mich verspäte" anschaut, stellt man verblüfft fest, dass Handke damals seinen Lebensimperativ entwickelt hatte.
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Das "neue Zeitalter", von Nova in pathetischem Ton formuliert, war vor allem eine an sich selbst gerichtete Beschwörung einer Sehnsucht. Die Frage "Wie soll man leben", die Handke 1971 zu Beginn seines Films "Chronik der laufenden Ereignisse" stellte, hatte er für sich beantwortet. Und Corinna Belz' Dokumentarfilm zeigt dies nun in den fast 90 Minuten: Handke beim Reden, Sticken, Kastanienschälen, Zeichnen, Pilzeputzen, Brotschneiden, Vorlesen, Übersetzen, Spazierengehen, Gärtnern.
Bei allen Verwandlungen Handkes währen der 50 Jahre seines Œuvres - vom Sprachkritiker der "Publikumsbeschimpfung" bis zum epischen Erzähler der "Langsame Heimkehr"-Tetralogie und von "Die Wiederholung", dann, in den Jugoslawien-Texten, die Revitalisierung des sprachkritischen, essayistischen Elements und schließlich die Rückkehr zum Erzählen: Er hat sich nie irgendwelchen Trends oder anderen äußeren Einflüssen gebeugt. Darauf ist Handke im Film spürbar stolz. Er habe sich immer behauptet. Denn damals, also in den 1950er-und 60er-Jahren in der Kärntner Provinz, sei das Schreiben ein "Tabubruch" gewesen.
Scheu vor Menschen
Es begann weniger mit seinem Erstling "Die Hornissen" als mit der fast gleichzeitig stattgefundenen Premiere des Stückes "Publikumsbeschimpfung" und der Auflehnung gegen den Gruppe-47-Realismus in Princeton 1966. Als 1969, im Gespräch mit Friedrich Luft, von dem Belz Ausschnitte zeigt, darauf die Rede kommt, lächelt der damals 27-Jährige leicht spöttisch.
Corinna Belz zeigt Peter Handke beim Reden, Sticken, Kastanienschälen, Zeichnen, Pilzeputzen, Brotschneiden, Vorlesen, Gärtnern ...
Aber Handke war und ist nicht empathielos. Wenn man Belz' Film über Gerhard Richter von 2011 gesehen hat und dessen Aussagen mit denen von Handke vergleicht, wirkt der Dichter geradezu warmherzig. Gleich zu Beginn gesteht er, immer noch nicht seine Scheu vor Menschen abgelegt zu haben. Und wenig später erzählt er von dem "Verhaspeln", das ihm manchmal unterlaufe und wie "bestialisch" dies sei. Gemeint sind eben auch die nicht zuletzt von seinen besten Freunden so gefürchteten Wutausbrüche. Dabei ist Handke eigentlich neugierig auf andere Menschen, sehr gastfreundlich und mit einem trockenen Humor ausgestattet (wie man diverse Male sieht). Es gehört zu den Höhepunkten des Films, wenn Handkes Lebensfreude weniger durch das, was er sagt, illustriert wird, sondern durch das, wie er agiert. Etwa wenn er einen Weg in seinem Garten mit Muscheln eingrenzt. Oder die Pein, den wunderbaren Pilz nun aufschneiden zu müssen. Aber auch in solchen Momenten ergreift ihn fast in der gleichen Sekunde immer auch eine Melancholie und die aufscheinende, womöglich gar "drohende" Idylle wird sofort begradigt oder, beim "Verhaspeln", zertrümmert.
Mit Handke im Wohnzimmer
"Entscheide nur begeistert. Scheitere ruhig." Noch eine Maxime von 1981, die Handke knapp zehn Jahre später anwendet, als sein Arkadien Jugoslawien zerbricht. In "Mein Jahr in der Niemandsbucht" kann man nachlesen, wie er, sich in zwei Figuren aufspaltend, mit sich ringt, ob er mit "seinem Volk" (vulgo: "sein" multiethnisches Idealland Jugoslawien) gehen oder weiter in der Niemandsbucht wandern und erzählen soll. Die einzige Schwäche des Films von Corinna Belz ist, dass dieses wichtige und bis heute kontroverse Kapitel etwas unterbelichtet bleibt. Da wird ein stark erregter Handke bei einem Auftritt im Akademietheater 1996 gezeigt. Und Sophie Semin erklärt, dass Jugoslawien sein "zweites Land" war.
Gäbe es nicht die eingeblendeten Polaroids aus den 1970er-und 80er-Jahren und die Notizbuchauszüge, hätte man zuweilen das Gefühl, mit Handke im Wohnzimmer (oder im Garten) in seinem Haus in Chaville zu sitzen. Wer genau schaut, erkennt überall Fotos von seiner "Sippe", die Verwandten aus der Linie der Mutter, die zur Minderheit der Kärntner Slowenen gehörten. Handke zeigt ein Bild, auf dem man die Familie Anfang der 1940er-Jahre in Festtagskleidung fröhlich im heimatlichen Obstgarten sieht. Unter anderen seine Mutter, damals Anfang 20. Und ihre beiden Brüder: Gregor, der auf der Obstbaumschule in Maribor gewesen war, und Hans, der "helle Kopf", der studieren sollte.
"Da sind wir noch zusammen", sagt Handke, obwohl er damals noch gar nicht geboren war. Eine pränatale Evokation -wie in "Immer noch Sturm", wo er von diesen glücklichen Zeiten inbrünstig erzählt, sich in die Zeitgenossenschaft hineinschreibt. Zwei Jahre später sei alles vorbei gewesen, so Handke und tippt auf das Foto von Hans in der Wehrmachtuniform. Er wurde wie sein Bruder Gregor zwangsweise eingezogen. Beide fallen 1943 (mit 30 bzw. 21 Jahren). Bis heute setzt ihnen der Neffe in seinen Werken immer wieder ein Denkmal. Was hätte aus diesen beiden werden können, welche Anlagen konnten da nicht zum Vorschein kommen: Davon will er (auch) erzählen.
Es gehört zu den Höhepunkten des Films, wenn Peter Handkes Lebensfreude weniger durch das, was er sagt, illustriert wird, sondern durch das, wie er agiert.
Und natürlich wird aus "Wunschloses Unglück" vorgelesen. Darin hatte Handke 1972 das Leben und den Suizid seiner Mutter thematisiert und gleichzeitig die Schwierigkeiten formuliert, adäquat darüber zu erzählen. Irgendwann wollte er hierüber Genaueres schreiben. 2010 löste er mit "Immer noch Sturm" sein Versprechen ein. Handke handelt auch sachwalterisch für die Familie, wie mit einer Szene gezeigt wird, in der er verärgert ist. Kathie Mitchell hatte die Adaption von "Wunschloses Unglück" von Duncan MacMillan an der Burg mit einem "fingierten" Foto inszeniert, auf dem Handkes Mutter begeistert Hitler in Klagenfurt begrüßt. Nein, einen Skandal wolle er nicht daraus machen, so zu einer Suhrkamp-Mitarbeiterin am Telefon, aber es sei schon eine hirnrissige Inszenierung.
"Die Erzählung hebt immer noch an aus der Tiefe [...] eine Liturgie, bei der niemand eingeweiht zu sein braucht, wie die Wörter und Sätze gemeint sind.“
So 1987 der Schauspieler Curt Bois als Homer in "Der Himmel über Berlin". Belz bringt diesen kleinen Ausschnitt des erzählenden "Greises", dessen Zuhörer, wie es heißt, "mit der Zeit zu Lesern geworden" waren, jeder "für sich" und einer wisse nichts vom anderen. Handkes Ideal, denn damals glaubte er noch an das "Volk der Leser", eine Art virtuelle Gemeinschaft von Gutmeinenden, von Literaturentdeckern jenseits von Bestsellern und Kanonlisten.
Nach der Lektüre einer Arbeit von seiner jüngsten Tochter Léocadie über drei Filme reflektiert Handke über das Erzählen. Ein Erzählen jenseits eines "Story-Tellings", bei dem nicht die Geschichte das Entscheidende sei, sondern das, was nicht geschehe, was erfunden sei, die Fiktion. Das Verwandeln des Erlebten, Gelebten in Sprache, zur Literatur. Den Realismus, der nur ein Geschehen referiert und das alles wiederkäut, was man schon kenne, lehnt Handke ab.
Neben Werk und Poetik wird auch der Familienvater gezeigt. Léocadie hat einen Kurzauftritt. Belz zeigt Ausschnitte aus Georg Stefan Trollers ARD-Beitrag "Personenbeschreibung" von 1975, die den Dichter als alleinerziehenden Vater seiner Tochter Amina (geboren 1969) zeigt. Löblicherweise ohne Trollers tendenziösen und despektierlichen Entlarvungsgestus, was den umtriebigen Schriftstellervater angeht. Gut 40 Jahre später sitzt er mit Amina in einer Gaststätte, die beiden reden über die "Kindergeschichte" und er spricht von "Anwehungen von Paradies" mit seiner Tochter. Kurz zuvor, mit Belz alleine, hatte Amina gestanden, manchmal das Gefühl zu haben, ihren Vater überhaupt nicht zu kennen.
Finden und Erfinden
"Erfindet immer neu das Rätsel: betreibt die Enträtselung, die zugleich das Eine Rätsel verdeutlicht, als das wir jeden Morgen erwachen und jeden Abend uns zur Ruhe legen", so lautet eine Stelle aus Novas Schlussmonolog in "Über die Dörfer", der im Film nicht zitiert wird. Als Handke von seiner Menschenscheu spricht, gesteht er, dass er Probleme mit seiner Rolle habe, die er für sich reklamiert, aber immer wieder neu fassen muss - und dass er oft genug Gefahr läuft, daran zu scheitern. Mit Rolle ist keine Pose gemeint oder ein Spielen mit den Medien (das hat er lange genug beherrscht, braucht es aber heute nicht mehr). Handke sieht seine Rolle im Finden und Erfinden, im Evozieren. Corinna Belz' Film zeigt, dass er dies mit Ernst, aber auch Hingabe verfolgt; fast als eine Art Pflicht. Und er ist dabei das, was die Kritik eigentlich gerne hat, nämlich authentisch. Nur dass diese Authentizität gleichzeitig auch (ästhetische) Autonomie beinhaltet und widerborstig ist. In diesem Sinn kann schon ein falsches Wort, eine falsche Frage (nach dem Lieblingsfilm oder der "Formlosigkeitshölle") als Störung einer Stimmung, eines Bildes empfunden werden.
Gekonnt werden im Film Rückblicke mit der Gegenwart miteinander verwoben. Corinna Belz gelingen auf subtil-beeindruckende Weise erhellende Einblicke. Handke ist mitnichten der aus der Welt gefallene, realitätsfremde Eremit. Eher im Gegenteil. Bei aller Nachdenklichkeit und Melancholie erscheint er dann doch als ein lebensfroher Sisyphos. Seine Leser ahnten es längst. Jetzt wissen sie's.
Der Autor schreibt für Online-Magazine; Buchveröffentlichung u. a.:"Der Geruch der Filme -Peter Handke und das Kino"(2014).
Peter Handke - Bin im Wald, kann sein, dass ich mich verspäte
D 2016.
Regie: Corinna Belz.
Stadtkino. 89 Min