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Handke: Mimose und Trampeltier

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Großer Feuilleton-Krieg um ein im Kern nicht unvernünftiges, aber in der Argumentation schwaches und, obwohl nur 125 Textseiten lang, ziemlich geschwätziges Buch: „Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien" (der Essay wurde im Jänner von der „Süddeutschen Zeitung" veröffentlicht). Peter Handke verstärkt darin, mit der Autorität des Berühmten, alle, die an der serbischen Allein-schuld an Krieg und Massenmord im ehemaligen Jugoslawien zweifeln. Deren Zahl war freilich auch ohne ihn schon sehr groß, nicht zuletzt dank einem Teil der von ihm als Fern-fuchtler, Bildkaufleute, Auslandsreporterhorde und so weiter apostrophierten Journalisten - die negative Apostrophierung erfolgt ohne erkennbare Einschränkung.

Handke stellt ein paar gute Fragen, eine wichtige bleibt er schuldig: Muß die Einseitigkeit, mit der eine Konfliktpartei für allein- oder hauptverantwortlich gehalten wird, stets falsch sein? Im Zweiten Weltkrieg wurde Hitler, im spanischen Bürgerkrieg Franco von den Medien aller demokratischen Staaten als alleinschuldig hingestellt.

Es bleibt uns also nicht erspart, zu fragen und zu differenzieren. Serbien als Alleinverantwortlicher - diese Version ist, auch ohne Handke, längst vom Tisch, die Bolle Kroatiens wird kritisch und immer kritischer gesehen. Auch dieser Wahrheitsfindungsund Meinungsbildungsprozeß spielte sich hauptsächlich in den Medien ab.

Es zeugt von einer geringen Denkschärfe, wenn sich Handke über den „nackten, geilen, marktbestimmten Fakten- und Scheinfakten-Verkauf" beklagt und schreibt: „Denn was weiß man, wo eine Beteiligung beinah immer nur eine (Fern-)Sehbeteiligung ist? Was weiß man, wo man vor lauter Vernetzung und Online nur Wissensbesitz hat, ohne jenes tatsächliche Wissen, welches allein durch Lernen, Schauen und Lernen, entstehen kann?" Ohne die geilen, marktbestimmten Nachrichtenkanäle hätten wir vom Krieg auf dem Balkan nur gerüchtweise gehört.

Peter Handke fuhr nicht nach Serbien, um uns besser zu informieren, sondern wusch seine Hände im eisigen Wasser der Drina und fuhr wieder heim. Wir erfahren von ihm wenig mehr, als daß in Serbien viele sympathische Menschen leben.

Uber einiges wäre in Ruhe zu reden gewesen. Doch Handke kam ins Wiener Akademietheater, las vor, wollte dann eigentlich mit nichts etwas zu tun haben, beschimpfte aber jeden, der anderer Ansicht war als er. Einen (durchaus zivilisiert argumentierenden) Mann im Publikum nannte er (das Wort ist in der FURCHE unüblich, aber es muß zitiert werden): „Arschloch". Einen anderen wollte er hinauswerfen. Er gebärdete sich als Mimose im Nehmen und Trampeltier im Geben und lieferte die blamable Selbstdarstellung eines Gesprächsunfähigen, der keinerlei Widerspruch und keine Einwände gegen das duldet, was er ex cathedra vorträgt. Sein Selbstimage muß ein gottähnliches sein.

Solches Verhalten läßt die Glaubwürdigkeit eines Menschen nicht unberührt. Handkes rüdes, aggressives, unbeherrschtes Auftreten läßt Zweifel an der Echtheit der Sensibilität und an der Sorgfalt aufkommen, mit der er sich in Serbien bemühte, zu schauen und zu lernen. Der Verdacht, auch er könnte „alles schon im voraus gewußt" und sein Schauen und Lernen selektiv eingegrenzt haben, ist nach diesem Auftritt nicht mehr von der Hand zu weisen. Situationen, in denen vorgefaßte Meinungen hätten in Gefahr kommen können, setzte er sich ohnehin nicht aus. Glücklicherweise geht die Suche nach historischer Gerechtigkeit auch ohne ihn weiter.

EINE WINTERUCHE REISE ZU DEN EM FLÜSSEN DONAU, SAVE, MORAWA UND DRINA oder GERECHTIGKEIT FÜR SERBIEN

Von Peter Handke.

Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1996. 1)6 Seiten, Pb, öS 184,-

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