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Aufzeichnungen aus einer Traumzwischenwelt und die Auseinandersetzung mit Sprache und Heimat der Kärntner Slowenen: Gleich mit zwei neuen Büchern lässt Peter Handke aufhorchen.

Angewehtes und Zugefallenes

In "Ein Jahr aus der Nacht gesprochen" versammelt Handke Angewehtes, Zugefallenes, zufällig Entstandenes, indem er das, was im Gleiten vom Traum in den Tag generiert wird, also das in den Tag Gerettete, in einer Art Traumsprache kartografiert. Einzelne Sätze, Fragen, Bruchstücke, Wortneuschöpfungen, inspirierende übereinander geschobene Vorstellungsbereiche - dies alles fügt sich zu einem originellen Fundus, den er so kommentiert: "Was ich da unwillkürlich gedacht habe, hat eine seltsame Form, ohne dass ich auch nur den Willen oder eine Formulierungsvorstellung hätte. Das notiere ich mir, und das tut mir gut."

Handke holt aus den Nischen der Traumwelt überraschende Sprachäußerungen, Ungewöhnliches und zugleich Frappierendes: "Wie oft bin ich ausgerutscht im Leben - und erst im Traum." Was Handke da plündert, zeigt sich als vielfältiger, oft kurioser Imaginationsraum mit der bunten Matrix der Traumstruktur.

Handkes jüngstes Prosawerk, "Immer noch Sturm", gewissermaßen ein Hybridtext, was die Gattung anbelangt, soll im Rahmen der Salzburger Festspiele 2011 uraufgeführt werden. Am Beginn dieser kunstvoll angelegten Zeitreise weist Handke explizit die Figuren aus: ein Ich, eine Mutter, Großeltern, drei Brüder und eine Schwester der Mutter. Alles deutet darauf hin, dass er hier auch biografisches Material anzapft, zumal der Schauplatz in Kärnten angesiedelt ist, auf einer heimeligen "Heidesteppe" im Jaunfeld: "Ich habe sie vorzeiten, in einer anderen Zeit, gesehen, und sehe sie jetzt wieder, samt der Sitzbank, auf der ich einst mit meiner Mutter gesessen bin, ? fern vom Dorf, und zugleich in der Heimatgegend."

Herrühren und Herstammen

Das Thema ist seines: der "Heimathorizont" der Kärntner Slowenen im Kontext von Identität und Sprache, das Zurechtkommen der am Rande Stehenden mit dem Gefühl des ewig Verlorenen. Es geht also auch um das "Herrühren" und "Herstammen". Das alles bettet Handke ein in die Geschichte der Vorund Kriegszeit und verwebt sie mit dem Partisanenkampf, in den die slowenische Minderheit in besonderer Weise involviert war.

Das Ich auf der Sitzbank nimmt im Zurückrollen der Zeit tagtraumartig das sukzessive Näherkommen seiner Vorfahren wahr. Schwarzweiß und jung präsentieren sie sich dem Nachzügler, wie sie ihn nennen, dem, der nie "zur Familie, zur Sippe gehören wird, dem "Vaterlosen, der ? Ersatz, Halt und Licht bei [den] Vorfahren" und seine Wurzeln sucht. Er ist der Einzige, der an sie denkt, an sie, die bloß als Sprachmarginalien in der Kärntner Landschaft blühen. Manchmal erscheinen nur ein paar von ihnen und erzählen. Vom Einrücken und Daheimbleiben, vom Krieg, in dem zwei Brüder fallen, und vom Untertauchen im Widerstand. Gregor ist neben seiner Schwester in Deutschland und den Großeltern der einzige Überlebende. Wie die anderen träumt auch er den Traum vom "großen, freien Europa", in dem sich keiner mehr dem anderen unterordnen muss und an Sprachgrenzen stößt.

Verschwinden und Verstummen

Handke versucht, die Geschichte seiner Vorfahren zwischen Verschwinden und Verstummen in ihrer Heimat neu zu verorten. Er selbst hat als Sohn eines Deutschen und einer Kärntner Slowenin die ersten Kindheitsjahre in Berlin fernab der Heimat seiner Mutter verbracht und keinen Anteil an der Heimatsprache seiner Vorfahren. Leitmotivartig zieht sich die berührende Spurensuche durch diesen sprachmagischen, poetisch aufgeladenen Text, bis sie als Zeitdiagnose in das Bekenntnis einer zerstörten Hoffnung mündet: "Einmal die Heimat verloren - für immer die Heimat verloren. Es herrscht weiterhin Sturm. Andauernder Sturm. Immer noch Sturm."

Immer noch Sturm Von Peter Handke. Suhrkamp 2010. 166 S., kart., ? 16,40

Ein Jahr aus der Nacht gesprochen Von Peter Handke. Jung und Jung 2010. 216 S., geb., ? 20,00

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