
"Wohin ich immer gehe" von Nadine Schneider: Die Rückkehr ins Herzhaus
Dass man die Familie nicht so einfach loswerden kann, auch wenn man sich räumlich entfernt, zeigt die deutsche Autorin Nadine Schneider behutsam in ihrem neuen Migrationsroman „Wohin ich immer gehe“.
Dass man die Familie nicht so einfach loswerden kann, auch wenn man sich räumlich entfernt, zeigt die deutsche Autorin Nadine Schneider behutsam in ihrem neuen Migrationsroman „Wohin ich immer gehe“.
Was bedeutet es, heimlich aus einem diktatorisch regierten Land zu fliehen? Welche Ängste, ambivalenten Gefühle und welche Zweifel gehen dieser schwerwiegenden Entscheidung voraus? Wie geht man mit gekappten Wurzeln um, mit dem Schmerz und der Sehnsucht nach Familie und Heimat? Die in Nürnberg geborene Autorin Nadine Schneider sieht die Beschäftigung mit dem Konflikt zwischen Flucht und Dableiben bereits als zentrales Movens für ihr 2019 erschienenes Debüt „Drei Kilometer“. Ihre Eltern kommen aus dem rumänischen Banat und haben zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihr Land verlassen. Dennoch beschreibt Schneider, wie sie selbst betont, hier nicht unbedingt Autobiografisches, sondern entwickelt für ihre Figuren eine eigene Welt, die sich aber auch aus verschiedensten Erfahrungen und Erzählungen ihrer Familie aus der Zeit der Ceaușescu-Diktatur speist.
Dass Schneider im Juni auf Einladung von FURCHE-Feuilleton-Chefin Brigitte Schwens-Harrant beim Bachmann-Wettbewerb gelesen hat, hat ihrem Bekanntheitsgrad mit Sicherheit gutgetan. Der dort vorgestellte Text „Quarz“ greift – wenn auch aus anderer Perspektive – erneut das Thema Migration auf und erzählt vom Bemühen einer Familie, im neuen Land zwischen Erinnerungen, Anpassung und Anfeindungen heimisch zu werden. Der Weinstock mit den schwarzen sauren Trauben aus der alten Heimat verbindet die Großeltern symbolisch mit der Vergangenheit, während die Enkelin auf ihre Art und Weise bereits im neuen Land angekommen ist.
Die Last der Vergangenheit
Der nun Mitte Juli erschienene zweite Roman „Wohin ich immer gehe“, den sie ebenfalls bei Jung und Jung publiziert hat, knüpft thematisch gewissermaßen an ihr Debüt an und entfaltet die Geschichte eines jungen Mannes, der in einer Zeit des Spitzelwesens und der Diktatur aus seiner Heimat flieht und in Deutschland noch einmal ganz von vorne beginnt. In einem lockeren Geflecht aus zahlreichen Rückblenden fügt Schneider behutsam die Puzzleteile einer Vergangenheit zusammen, die durch Erinnerungen und Begegnungen angestoßen werden.
Lange hat sich der Protagonist Johannes gemeinsam mit seinem Freund David auf die gefährliche Überquerung der Donau beim „Eisernen Tor“ vorbereitet. Geflohen ist er letztendlich alleine, weil David einige Zeit zuvor plötzlich auf unerklärliche Weise verschwunden ist. Der Traum, dass man ihn selbst beim Schwimmen im Wasser erschossen habe, kehrt später noch oft wieder – ähnlich dem eindringlichen „Rauschen des Wassers im Ohr“.
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