Porträt - © Illustration: Rainer Messerklinger

Die Bühne als Kopie des Lebens: „Der Silberfuchs meiner Mutter“ von Alois Hotschnig

19451960198020002020

In seinem neuen Roman „Der Silberfuchs meiner Mutter“ geht Alois Hotschnig mit der Suche nach den Wurzeln eines Lebensbornkindes dunklen Kapiteln der österreichischen Geschichte nach.

19451960198020002020

In seinem neuen Roman „Der Silberfuchs meiner Mutter“ geht Alois Hotschnig mit der Suche nach den Wurzeln eines Lebensbornkindes dunklen Kapiteln der österreichischen Geschichte nach.

Werbung
Werbung
Werbung

Fast 80 Jahre nach der grausamen Ermordung des katholischen und bereits selig gesprochenen Priesters Otto Neururer im KZ Buchenwald rückt im preisgekrönten Film „Hoffnungsvolle Finsternis“ (2019) dessen Widerstand gegen die Nazis in den Fokus. Darin verkörpert der Schauspieler Heinz Fitz nicht nur eine der Hauptrollen, sondern gewährt auch tiefe Einblicke in sein eigenes Leben, weil dunkle Kapitel der österreichischen Vergangenheit indirekt mit seiner Biografie verflochten sind: „Du spielst dich selbst“, habe der Regisseur zu ihm gesagt, „du spielst deine eigene Geschichte.

Navigator

Liebe Leserin, lieber Leser,

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

diesen Text stellen wir Ihnen kostenlos zur Verfügung. Im FURCHE‐Navigator finden Sie tausende Artikel zu mehreren Jahrzehnten Zeitgeschichte. Neugierig? Am schnellsten kommen Sie hier zu Ihrem Abo – gratis oder gerne auch bezahlt.
Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)

Jetzt hat auch der österreichische Autor Alois Hotschnig dessen Leben in seinem jüngsten Roman „Der Silberfuchs meiner Mutter“ zum Thema gemacht und sich in einer sehr sensiblen Spurensuche behutsam einzelnen biografischen Stationen angenähert. Dass sich diese Prosa auf ein gut recherchiertes historisches Fundament und breit gefächerte Quellen stützt, geht auch aus der Danksagung am Schluss hervor. Hier erwähnt Hotschnig die „Begegnung mit Heinz Fitz“ als Impuls für dieses Werk und zahlreiche Personen, die ihm für Auskünfte zur Verfügung gestanden sind. Entlang eines individuellen Schicksals trägt er Schicht für Schicht ab und legt die Sedimente der nationalsozialistischen Vergangenheit im Raum Hohenems frei.

Der Protagonist Heinz kommt als Sohn einer Norwegerin und eines Wehrmachtssoldaten in Vorarlberg zur Welt. Seine schwangere Mutter ist in ihrer Heimat Kirkenes aufgrund dieser Liaison in Lebensgefahr. Doch für solche Fälle hat man im Nationalsozialismus im eigenen Interesse vorgesorgt. „Der Lebensborn hat sie heruntergeholt“ nach Vorarlberg. Dieser zur „Zwangsgermanisierung“ und Blutauff rischung“ gegründete Verein ermöglichte ausgewählten ledigen Müttern eine anonyme Geburt. Die Kinder wurden in Heimen ihres kulturellen Herkunftsumfelds und ihrer Wurzeln beraubt, indoktriniert und von „arischen Familien“ adoptiert.

Die Norwegerin Gerd Hörvold erhält vom „Lebensborn“ die Papiere, die den gefährlichen Weg sichern sollen. In Berlin wird sie „verschüttet“, als Folge eines Schocks bricht Epilepsie bei ihr aus. Deshalb muss sie Heinz nach seiner Geburt weggeben. Der Vater verleugnet ihn, eine Begegnung mit ihm gelingt erst sehr spät. Zunächst landet Heinz als Lebensborn-Kind in einem Heim, dann kommt er zu Bauersleuten, wo er misshandelt wird, bis die Mutter wieder in sein Leben tritt. Fremdheit liegt zwischen ihnen, weil sie fürchtet, dass er damals vertauscht worden ist. Schließlich heiratet sie. Von seinem Stiefvater lernt er in erster Linie das Töten von Tieren – „rund um die Uhr.“ Dieses äußerst brutale Umfeld führt inmitten der epileptischen Anfälle seiner Mutter zu einem Blutrausch, zu Aggressionen und schließlich bereits in früher Jugend zu einem missglückten Selbstmordversuch. Mit 15 Jahren muss er schon seinen Beitrag zum Einkommen der Familie leisten und in einer Stickerei arbeiten. Erst langsam gelingt es ihm mit Hilfe väterlicher Wegbegleiter, aus dem tristen Leben auszubrechen und ein anderer zu werden. Ohne sie wäre er, wie er offen bekennt, „wahrscheinlich zum Mörder geworden“: „Hätte es nicht solche Momente gegeben, wäre ich explodiert, denke ich, ohne Menschen wie diesen Kaplan oder den Kapuzinerpater, der einfach da war, wie ein Baum am Weg zum Alten Rhein, in dessen Schatten man sich ausruhen kann.“

Gerettet haben ihn auch Bücher, die Literatur, das Lesen überhaupt, aber vor allem und in erster Linie das Theater, das Spielen von Rollen, mit denen er sich identifiziert.

Gerettet haben ihn auch Bücher, die Literatur, das Lesen überhaupt, aber vor allem und in erster Linie das Theater, das Spielen von Rollen, mit denen er sich identifiziert. Das Spiel bietet ihm einen geschützten Rahmen und macht ihn „unverwundbar“. Zugleich verbindet es ihn in besonderer Weise mit seiner Mutter: „Durch die Schauspielerei hat sie mir ein Ventil gelegt in die Seele hinein.“ Bücher, die er von einem Freund erhält, evozieren Wachträume: „Auf diese Weise habe ich mich ins Leben meiner Rollen geträumt und ins Leben überhaupt.“ Schließlich gelingt ihm der Ausbruch und er wendet sich vollends dem Theater zu. Erst viel später wird ihm bewusst, dass er alles, was er dann „auf der Bühne erlebt“ hat, „vorher schon erlebt“ hat.

Hotschnig schildert sehr eindringlich das brutale und bösartige Umfeld des Protagonisten, das in der unmittelbaren Nachkriegszeit noch immer von unverhohlenem Antisemitismus und off ener Aggression geprägt ist; Gewalt steht an der Tagesordnung. Die Vergangenheit ist belastet, niemand spricht über die Kriegsverbrechen, über Juden, die über den Alten Rhein in die Schweiz fl üchten wollten und dabei erschossen worden sind. Täter von einst leben weiter wie bisher, Deportationen aus Anstalten, Enteignungen, Zwangsumsiedlungen, Vertreibungen von Juden werden zugedeckt, verschwiegen. Man will vergessen in dieser neuen Wirtschaftswunderzeit.

Die Geschichte erzählt Hotschnig aus der Sicht der Hauptfigur Heinz. Die Zeitabschnitte fließen ineinander, manches wird aus der Retrospektive aufgerollt und mit reflexiven und erklärenden Passagen verschmolzen. In der Rekonstruktion wichtiger biografischer Knotenpunkte geht es vor allem auch um die Suche eines Sohnes nach der Person seiner Mutter, die, während viele aus Österreich zu fliehen versuchten, gewissermaßen umgekehrt „zu den Nazis geflohen“ ist – mit dem Silberfuchs als Geschenk des Vaters im Gepäck. Ihr Heimweh und ihre Sehnsucht nach der Familie, die sie verstoßen hat, erschließen sich Heinz erst, als er ihrem Leben nachgeht, sich mit alten Dokumenten auseinandersetzt und dabei immer wieder auf eine Mauer des Schweigens stößt. Mit seinen Recherchen zum Lebensborn gelingt es ihm aber auch, sich seiner eigenen Entwurzelung, seiner Heimatlosigkeit zu stellen und sein Leben besser zu verstehen.

In einer knappen, dichten und glasklaren Sprache entfaltet Hotschnig ein eindrucksvolles und zugleich bewegendes Zeitdokument, in dem sich sukzessive einzelne Puzzlesteine zu einem möglichen Mosaik zusammenfügen. Plötzlich aber treten ganz andere Schattierungen der Geschichte zutage und lassen vieles ähnlich einem Vexierbild aus neuer Perspektive betrachten.

Silberfuchs - © Foto: Kiepenheuer & Witsch
© Foto: Kiepenheuer & Witsch
Literatur

Der Silberfuchs meiner Mutter

Roman von Alois Hotschnig
Kiepenheuer & Witsch 2021
224 S., geb., € 20,95

Navigator

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen?

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf über 40.000 Artikel aus 20 Jahren Zeitgeschichte – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Mit einem Digital-Abo sichern Sie sich den Zugriff auf über 40.000 Artikel aus 20 Jahren Zeitgeschichte – und unterstützen gleichzeitig die FURCHE. Vielen Dank!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung