Portrait - © Illustration: Rainer Messerklinger

Weh dem, der aus der Reihe tanzt: „Auto“ von Christina Walker

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Christina Walker erzählt von einem, der sich der Leistungsgesellschaft verweigert und dem Stillstand verpflichtet.

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Christina Walker erzählt von einem, der sich der Leistungsgesellschaft verweigert und dem Stillstand verpflichtet.

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Hermann hat nichts verstanden. Er ist Journalist, gewiss nicht beschäftigt in einem ernsthaften Medium. Er gratuliert Busch überschwänglich: „Was für eine politische Aktion“, schwärmt er. „Und dass sie das alle tun sollten: im Auto sitzen und nichts tun. Aus Protest gegen die Umweltverschmutzung und gegen die drohende Klimakatastrophe.“

Tatsächlich hat sich Busch vollkommen aus dem Spiel genommen, will nicht länger Teil einer leistungsorientierten Gesellschaft sein. Er sitzt in seinem fahruntüchtigen Auto, abgestellt im Innenhof einer Wohnanlage und schlägt die Zeit tot. Er kennt keine Verpfl ichtung mehr, hat sich zum Stillstand verpfl ichtet. Er unternimmt gerade die notwendigsten Schritte, um am Leben bleiben. Verantwortung für Frau und Kind hat er abgelegt, die Wohnung nutzt er gerade einmal, um zu duschen oder sich mit Nahrung zu versorgen. Sonst bleiben nur die wenigen Schritte zum Supermarkt und in die Kneipe.

Das Leben ist schon deshalb außergewöhnlich reduziert, weil an Busch kein aufregender Denker verloren gegangen ist. Er analysiert seine Lage nicht, er führt ein Selbstexperiment ohne kritische Refl exion durch. Ein paar Regeln hat er entworfen, die sich, zu Papier gebracht, recht bescheiden ausnehmen: „Regel 1: Jede Fremdbewegung (per Auto, Bus, Bahn etc.) vorerst vollständig vermeiden.“ Das ist eine Schwäche des Buches, dass wir es mit einem recht dumpfen Charakter zu tun bekommen, der auf der Stelle tritt und keine auff allenden Fortschritte in Richtung gereiftes Innenleben macht.

Das politische Motiv, das ihm der Journalist unterstellt, triff t Buschs Vorhaben nicht. Er erklärt nämlich bereitwillig, „dass er nicht wegen der großen Politik im Auto sitze, sondern wegen der kleinen, der privaten Lebenspolitik“. Ein Aussteiger mit dem Willen, mit sich selbst ins Reine zu kommen, vielleicht sogar einen existenziellen Entwicklungsschub zu erfahren. Das Ideal ist ein Leben, in dem nichts passiert, das in den Modus eines immerwährenden Stillstands getreten ist. Und wie ist daraus Literatur zu schlagen?

Dazu fallen der in Vorarlberg geborenen, heute in Augsburg lebenden Autorin Christina Walker zwei Möglichkeiten ein, nicht auch noch literarisch zu stagnieren. Zum einen bekommt Busch eine Vorgeschichte, die sein Verhalten erklärbar macht. Und dann setzt sie ihn in ein Umfeld, das mit seiner Art, sich von den Menschen zu absentieren, nicht zurande kommt. Er bietet sich als Feind der Spießer an, die immer schon wussten, wie jemand zu leben hat, und der bestraft wird, wenn er über die Stränge schlägt.

Als Verlagsvertreter bereiste Busch früher die Städte, um den Buchhändlern frische Lektüreware anzubieten. Gefangen in einem Räderwerk sah er, um sich vor der Selbstaufgabe zu retten, keine andere Chance, als auszusteigen. Mit dem vorsätzlichen Nichtstun muss einer aber erst einmal fertig werden. „Das liegt unter anderem an der vielen Zeit, die einfach da ist, Tag für Tag. Aufdringlich, undurchdringlich und unüberschaubar.“ Viel anzufangen weiß unser Held mit der gewonnenen Zeit nicht. Er zählt die Löcher in der Perforierung des Autodaches, schwer vorstellbar, dass so ein innerer Reifeprozess in Gang kommen soll. Meditativ wirkt Busch in keinem Augenblick, an dem uns die Erzählerin teilhaben lässt. Aber der Name Busch ist nicht zufällig gewählt, er ist Symbol. Er steht für Natur, die dem Mann in mittleren Jahren dann doch ans Herz wächst. Aus dem Autofenster beobachtet er Ameisen und bewundert sie. Was für die Nachbarn ein Ärgernis ist, das vernichtet werden muss, stellt für ihn ein Meisterwerk an Organisation und raffi niertem Überlebenswillen dar.

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