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Digital In Arbeit

Erlösung durch Arbeit und Form

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Peter Handkes neues Buch „Über die Dörfer“ zeigt den Autor bei der Suche nach einem neuen Standort weitab vom Geist christlicher Botschaft: zwischen Goethes Pantheismus und Nietzsches Ideal eines Übermenschen, der sich selbst zu erlösen vermag.

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Peter Handkes neues Buch „Über die Dörfer“ zeigt den Autor bei der Suche nach einem neuen Standort weitab vom Geist christlicher Botschaft: zwischen Goethes Pantheismus und Nietzsches Ideal eines Übermenschen, der sich selbst zu erlösen vermag.

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Handkes Drama „Uber die Dörfer“ beginnt im Privaten: zwei Brüder und eine Schwester streiten um das väterliche Erbe, das die Schwester veräußern will, um mit dem Erlös ein Geschäft zu gründen. Sicherlich ist Selbsterlebtes der Hintergrund hiefür, dennoch greift das Geschehen, besonders iri der Gestalt der Nova, ins allgemein Menschliche hinaus. Hier erfolgt Handkes Zeitkritik, hier erträumt er sich sein Utopia einer zukünftigen Menschheit und Verwandlung der Welt durch menschliche Kraft. Hier werden die Dörfer der beschränkten Gegenwart überschritten:

„Geht hinaus in den unbekannten Erdteil mit menschlicher Langsamkeit. (Nicht im Tempo der technischen Zivilisation, mit ihren Riesenschritten!) Ich sehe

vor uns ein großes Reich, das noch leer ist. Laßt die Illusionslosen böse grinsen: die Illusion ist die Kraft der Vision, und die Vision ist wahr.“ Und später: „Unsere Geborgenheit ist das Nirgendwo.“

Ist dies der Traum vom irdischen Paradies? Vielleicht, abge-, sehen davon, daß eine wahre Vision eben keine Illusion ist.

Zweifellos hat Handke eine1 Entwicklung durchgemacht: aus dem aufs Sprachspiel Versessenen, dem polternden Kritiker der bürgerlichen Zeit, dem wütenden Publikumsbeschimpfer ist ein besinnlich Aufbauender geworden. Die Quellen seiner Kraft sind zwei Beispiele: Goethe, von dessen Lektüre er erfüllt ist und der mit Handkes Augen in unsere Zeit sieht, und dann (nicht von ungefähr steht ein Nietzsche-Zitat dem dramatischen Gedicht voran) der „Übermensch“ Nietzsches, sich selbst erlösend, sich zum immerwährenden Frieden aufschwingend. Er ist Handkes Hoffnung für die Zukunft.

Es wäre falsch, Handkes Rückkehr zu einer positiven Weltschau im Umgang mit und im Hinhören auf die Dinge (was er zweifellos Goethe verdankt) mit einer Rückkehr zum Christentum zu verwechseln. Von diesem ist er, wie Goethe, entfernt. Denn das Christentum steht und fällt mit seiner Ubernatur, und von dieser wollen Handke wie Goethe nichts wissen. Was zählt, ist die unverfälschte Natur und ein reines aus eigenen Kräften lebendes Humanum:

„Das Übernatürliche ist nicht zu erwarten. Aber seid ihr bei Trost nicht auch schon, wenn ihr im fließenden Wasser langsam das Blatt treiben seht?“ Und: „Die Natur ist das einzige, was ich euch versprechen kann — das einzige stichhal- • tige Versprechen.“

Mit Nietzsche hat Handke sein Ja zur Erde gesprochen. Gegen Nietzsche tritt er für die Nächstenliebe ein und stellt sich gegen die Macht: „Das Haus der Kraft, das ist das Gesicht des andern.“ „Nur du, Geliebter, giltst. Dich liebend, erwache ich zu mir.“ Handke spricht vom Himmelsschrei und von den Göttern. Aber welcher Himmel ist es und welche Götter sind es? „Ja, in den wahrhaften Momenten entsteht ganz natürlich das Gebet zu den Göttern: der Himmelsschrei ist die Form, und die Form zeigt im Raum die Arkade: unsere Kunst muß aus sein auf den Himmelsschrei!“

Doch der Himmelsschrei trifft nur das irdische Firmament mit seinen Sternbildern, und die Götter sind nur Menschen, die sich selbst zu Göttern gemacht haben: „Leute von jetzt: entdeckt, entgegengehend, einander als Götter—.“ Vielleicht ungewollt drängt sich Handke das Zeugnis menschlicher Hybris auf, der Turm von Babel: „Menschen, götterflüchtige Götter: Schafft den großen Satz. Wollet den Sprung. Seid Götter der Wende… Die Freude ist die einzige rechtmäßige Macht. Sie baut den durchsichtigen Turm in die Landschaft - alltäglich, verläßlich: er wül nur erobert sein.“ Weiß Handke nicht, daß es Freudeverderber gibt, allen voran den „Allesverschlinger“ Tod? Er weiß es, denn er fährt fort: „Die Hoffnung ist der falsche Flügelschlag. Das wüste Seufzen im Vorbeigehen, links und rechts, ist nicht überhörbar. Die Freudeverderber sind überall, und der ärgste von ihnen ist durch das geglückteste Leben nicht wegzudenken: Mit dem Schmerz aller

Schmerzen biegen wir ab vom aus der Vorzeit in die Vorzeit fließenden schönen Wasser und erwarten mit fassungslosem Grausen den affenartig geschwinden Raumsturz des Todes.“

Und doch versucht er einen Trost zu bieten gegen den Tod, für den auch ihm kein Kraut gewachsen ist, zunächst einmal im Hinblicken auf die sich ewig fortzeugende Natur und dann im schöpferischen. Werk des Menschen. Und dann ist die Form da: ,,… diese ist der Gott, der für alle gilt. Das Gewahrwerden und Prägen der Form heilt den Stoff.“ Und weiters heißt es: „Die Form ist das Gesetz, und das Gesetz ist groß, und es richtet euch auf.“ Vom Trost jener geschichtlichen Stunde, da Gott Mensch ward, um uns vom ewigen Tode zum ewigen Leben zu erlösen, weiß Handke nichts. Er weiß auch nichts von einem jenseitigen Gott. Wie Goethe findet er im rein Irdischen sein Auskommen.

„Der Erdenkreis ist mir genug bekannt,

nach drüben ist die Aussicht uns verrannt;

Tor, wer dorthin die Augen blinzelnd richtet, sich über Wolken seines- • gleichen dichtet!

Er stehe fest und sehe hier sich um!“

So spricht der Meister im „Faust“, und der Schüler spricht es ihm nach in seinem Werk „Uber die Dörfer“:

„Jetzt ist der heilige Tag. Wirkend, arbeitend seht ihr ihn und könnt ihn fühlen. Jetzt: das sind die Farben. Ihr seid jetzt, und ihr seid die Gültigen. Daß ihr seid, ist ein Datum. Handelt danach. Und laßt ab von dem Gegrübel, ob Gott oder Nicht-Gott…“

Etwas später heißt es: „Das Übernatürliche ist nicht zu erwarten …!“ Es gibt keinen vernünftigen Glauben außer dem an den göttlichen Schauder. „Es gibt den göttlichen Eingriff, und ihr alle kennt ihn: Es ist der Augenblick,

mit dem das Drohschwarz zur Liebesf arbe wird, und mit dem ihr sagen könnt und weiter sagen wollt: Ich bin es. Ihr weint, und es weint — ihr lacht, und es lacht.“ Die Parallelen zu Goethe laufen noch weiter. Wie dieser neigt Handke zum Pantheismus. In Goethes „Prooemion“ heißt es: „Was war’ ein Gott, der nur von außen stieße,

im Kreis das All am Finger laufen ließe!

Ihm ziemt’s, die Welt im Innern zu bewegen,

Natur in sich, sich in Natur zu hegen…“

Handke läßt den Arbeiter Hans sagen: „Großer Geist des Weltalls, komm heute einmal herab auf uns, entfalte dich im weiten Luftraum, laß uns ein wenig überm Boden schweben und lüpf als Spitze des Fallschirms das Innere unsrer Brust. Anderes Dasein enthülle uns doch immer wieder und nicht gar so selten über den starrenden Antennen, hinter den schwankenden Bäumwipfeln, inmitten der grünenden Gebüsche, im gläsernen Augengrund der Vorbeigehenden, zwischen den Rissen der hoch oben ziehenden Wolken dein farbenprächtiges Gesicht.“

Also standen Goethe und Nietzsche ihm Pate, als Handke sein letztes Werk aus der Taufe hob: Goethesche Naturmystik, sein schöpferisches Tun, das strengem Gesetz unterworfen ist; daneben der Übermensch Nietzsches, der sich selbst zu Gott macht und eine

heile Welt schafft. Aus Nova, der Stimme des Dichters, spricht der Geist des neuen Zeitalters:

„… und die kreisenden Raben sind keine Unglücksvögel, sondern bringen euch Heroen die Speise. Ja, überliefert form-sehn- suchts-durchdrungen die heile Welt… Ihr Leute von hier. Ihr seid die Zuständigen. Ihr seid weder unheimlich noch ungeheuer, sondern unfaßbar und unerschöpflich …“

Diese Welt atmet nicht den Geist christlicher Erlösungshoffnung und gnadenhafter Verklärung — trotz manchem christlichen Zierat. Die menschliche Arbeitsstätte ist an die Stelle des Gotteshauses getreten. Die Welt Handkes ist Baustelle menschlichen Tuns. Hier betreibt der Mensch seine Selbstvergottung durch Arbeit.

Peter Handke: „Uber die Dörfer", Suhr- kamp-Verlag, Frankfurt/Main 1981.

Der Autor unterrichtet Deutsch an einer allgemeinbildenden höheren Schule in Salzburg.

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