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Jetzt ist der Tag

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Nur ich bin das hier, Abkömmling aus einem anderen, nicht gar verschiedenen Dorf. Doch seid gewiß: aus mir spricht der Geist des neuen Zeitalters, und der sagt euch jetzt folgendes: Ja, es gibt die Gefahr, und nur da- ‘ durch kann ich reden, wie ich reden werde: im Widerstand. So hört jetzt mein Dramatisches Gedicht.

Es ist schon recht, nicht mehr dahinzuträumen, aber weckt einander doch nicht mit Hundegebell! Ihr seid nicht die Barbaren,

und keiner von euch ist der Schuldige, und gerade in euren Verzweiflungsausbrüchen habt ihr vielleicht bemerkt, daß ihr gar nicht verzweifelt seid.

Wer sagt, daß das Scheitern notwendig ist? Uberhört den Schluckauf der Sterbenden: sie lügen. Denkt nach: habt ihr euren Krieg nicht hinter euch? So verstärkt die friedliche Gegenwart und zeigt die Rufye von Überlebenden: das Ich ist ruhig. Und das Wissen, daß ihr Überlebende seid, macht zugleich heiß.

Blickt ins Land — so vergeht die böse Dummheit. Habt ihr nicht alle schon die Weite erlebt? Die Weite gilt — ohne Haus oder Zweithaus irgendwo. Laßt ab von dem Zweitgeschwätz und bietet euren Nachkömmlingen nicht das Teufelsprofil. Das Haus der Kraft, das ist das Gesicht des andern.

Die gute Kraft ist die des Ubersehens. Vernichtet — aber nur durch Licht! Bewegt euch — damit ihr langsam sein könnt: Die Langsamkeit ist das Geheimnis, und die Erde ist manchmal etwas sehr Leichtes: ein Schweben, ein Ziehen, ein gewichtloses Bild, ein Sinnreich, ein Eigenlicht — übernehmt dieses Bild für euer Weitergehen: es gibt den Weg an, und ohne das Bild eines Wegs gibt es kein Weiterdenken.

Klagt nicht darüber, daß ihr allein seid - seid noch mehr allein! Die Not gibt den Ort: da hinten im Stockschwarz schimmert ein Weiher; da hinten jenseits der Grabkreuze schimmern die Pyra-

miden; gleich nebendraußen rauscht der Baum vorbei als Omnibus.

Überliefert das Rauschen. Erzählt den Horizont. Ubt, übt die Kraft der schönen Überlieferung - damit das Schöne nicht jedes-

mal wieder nichts war. Erzählt einander die Lebensbilder. Was gut war, soll sein …

Ja, überliefert form-sehnsuchtsdurchdrungen die heile Welt - das Hohnlachen darüber ist ohne Bewußtsein. (Es hat den falschen Namen: es sind die Krepierlaute der Seelenkadaver.)

Mephisto ist hier nicht die Hauptfigur. Die Gegensprechanlage ist ohne Strom. Die Seelenfänger treten woanders auf; und wenn euch ein Tod Angst macht, dann habt ihr ihn falsch gelesen. Die Toten sind das zusätzliche Licht — sie verwandeln euch. Macht euch nichts aus eurer Unfähigkeit, sie anzureden: eine Silbe genügt.

Aber mehr noch gedenkt unsrer Ungeborenen, gekrümmt in den Bäuchen — verwandelt euch! Zeugt das Friedenskind! Ja, zieht auf die Friedenskinder — rettet eure Helden! Sie sollen bestimmend sagen: Krieg, laß’ uns in Ruhe! …

Leute von hier: Vergeßt die Sehnsucht nach den vergangenen heiligen Orten und-Jahren! Mit euch ist die heilige weite Welt. Jetzt ist der heilige Tag. Wirkend, arbeitend, seht ihr ihn und könnt ihn fühlen. Jetzt — das sind die Farben. Ihr seid jetzt, und ihr seid die Gültigen. Daß ihr seid, ist ein Datum. Handelt danach!

Und laßt ab von dem Gegrü- bel, ob Gott oder Nicht-Gott: das eine macht sterbensschwindlig, das andre tötet die Phantasie, und ohne Phantasie wird kein Material Form: diese ist der Gott, der für alle gilt. Das Gewahrwerden und Prägen der Form heilt den Stoff! Gottlos allein, schwanken wir…

Und die Stimme der Gottheit geht so: Du kannst dich liebhaben. (Wenn ihr euch selber nicht zugeneigt seid, ist es besser, ihr seid tot.) Leute von jetzt, entdeckt, entgegengehend, einander als Götter — als Raumaushalter, Raumerhalter. Wollt es, werdet es, seid es — und führt euch nicht auf als die Hunde, bei deren Anblick sofort die Phantasie erstirbt.

Menschen, götterflüchtige Götter: Schafft den großen Satz! Wollet den Sprung! Seid die Götter der Wende! Alles andere führt ja zu nichts — nichts sonst führt mehr zu etwas. Es ist der Freundesdienst, durch den die Freude möglich wird, und die Freundschaft umtanzt dann den Erdkreis.

Die Freude ist die einzige rechtmäßige Macht. Sie baut den durchsichtigen Turm in die Landschaft — alltäglich, verläßlich: er will nur erobert sein. Mit dem Atem der Freude taucht im regulierten Fluß die ehemalige Insel auf. Erst wenn ihr euch freut, geht es mit rechten Dingen zu …

Ein Mensch, der lebt, schaut, wo noch etwas lebt. Jedem noch so flüchtigen Kuß einen Segen. Und jetzt zurück auf eure Plätze,* jeder auf den seinen! Bewegt euch, in unauffälliger Langsamkeit. Folgt den Linien der Planken hier, die vor Fluchtlinien glänzen. Langsam »vorangehend, formt die Schleife der Unendlichkeit. Dä- monisiert den Raum, durch Wiederholung.

Ruhig vom Entschluß, wird die Welt. Nur das Volk der Schöpfer, jeder auf seinen} Platz, kann werden und sich freuen wie die Kinder. Euer Bett steht im Freien. Im Leeren ergeht euch den Weg. Legt euch die Laubmaske an und verstärkt das vollkommen-wirkliche Rauschen. In der Erschütterung erst seht ihr scharf.

Die Form ist das Gesetz, und das Gesetz ist groß, und es richtet euch auf. Der Himmel ist groß. Das Dorf ist groß. Der ewige Friede ist möglich.

Aus: UBER DIE DÖRFER. Von Peter Handke. Suhrkamp-Verlag, 106 Seiten, öS 182,-.

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