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Abschied Meine lieben Buben!

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Ihr werdet Euch vielleicht wundern, daß ich Euch schreibe. Daß im nächsten Schuljahr ein anderer vor Euch stehen wird. Und während ich das denke und schreibe, sitze ich auf der Kante der ersten Bank, wie immer. Und Ihr seid alle da, obwohl es 21 Uhr ist und ein anderer alle Bänke leer finden würde.

Es war gar nicht leicht, um diese Zeit noch in die Schule zu kommen. Ich habe dem Schulwart schon ein wenig zureden müssen, aber er hat sich dann bereit erklärt, im Keller einmal die Wasserleitung nachzusehen, was er schon immer machen wollte, und da bleibt mir just so viel Zeit, als ich noch bei Euch sein-möchte.

Ihr werdet es schon herausgehört haben: es geht ans Abschiednehmen. Und seid mir nicht böse, daß ich es zu so später Stunde tue. Nehmt es mir nicht übel, vielleicht war es auch ein wenig Egoismus von meiner Seite. Denn es wäre nicht nur Euch schwer gefallen. Die letzten Tage haben für mich so viel an innerer und äußerer Belastung gebracht, daß dieser Abschied von Euch — es wird ja wohl ein Abschied für immer sein — das Maß übervoll gemacht hätte.

Aber ich habe es Euch ja schon gesagt: Ihr seid alle da, ich sehe Euch ganz deutlich vor mir, so wie in jeder der Stunden, die wir miteinander verbringen durften. Ihr habt schon richtig gehört: ich sagte „durften“, denn wir haben einander viel gegeben in dieser Zeit. Ihr mir und ich — hoffentlich — auch Euch. Wenn beides so war, dann ist es schon recht zwischen uns, nicht?

Und da ziehen an mir all die vielen Stunden inner- und außerhalb der Schule vorbei. Erinnert Ihr Euch noch? Schön war's! Auch die Stunden, wo ich manchmal nicht so sein konnte, wie ich gerne zu Euch gewesen wäre. Auch das war notwendig so; und vielleicht würden wir gar nicht so aneinander hängen, wenn nicht auch diese Stunden gewesen wären. Wo Ihr jungen Bäume ein wenig fester nach oben gerichtet worden seid!

Nun aber habe ich eine große Bitte an Euch, die mir wahrhaftig nicht leicht fällt: vergeßt mich. Vergeßt den Menschen, aber vergeßt nicht das, was er versucht hat, Euch an Bleibendem zu geben. Nicht so sehr das, was das Fach eben mit sich bringt. Sondern das, was bleibt, was zählt, was wiegt, was trägt. Ihr wißt schon. Vergeßt das nicht, behaltet es, baut weiter darauf und damit. Damit und mit dem, was Euer „Neuer“ und alle anderen Lehrer und Menschen Euch in Eurem Leben noch an Bleibendem geben und sagen werden. Das sollt, das dürft Ihr nicht vergessen. Nie! Denn das wird Euch tragen, ein ganzes Leben lang.

Und wenn Ihr das nicht ganz fertigbringt — ich meine: das Mich-vergessen —, dann ist es mir lieber, Ihr vergeßt meine Fehler nicht und freut Euch, wenn der Neue es besser macht. Macht mir keine Schande bei ihm. bei niemand sonst. Wenn Euch das gelingt, dann freue ich mich mit Euch.

Lind grüßt mir Eure Eltern. Thr wart fa all die Zeit ihre und meine Buben, und ich habe um jeden von Euch genau so gebangt, wie wenn es mein eigener gewesen wäre; nein: Ihr wäret ja meine Buben, Ihr seid es immer noch - jetzt erst recht! — und Ihr werdet es wohl immer sein Denn jeder von Euch hat sich in mir einen Platz erobert, auf den er immer zählen kann. Grüßt mir also auch Eure Eltern und dankt ihnen in meinem Namen für alles Liebe und allen inneren Gewinn aus dieser Zeit.

Ich hätte Euch noch eine ganze Menge zu sagen, zu schreiben. Vielleicht ist es ganz gut, daß gerade in diesem Augenblick schon der Schulwart mit fragendem Gesichtsausdruck den Kopf zur Tür hereinsteckt. Es ist wohl besser so. Da ist sie also noch einmal, die Klasse, da seid Ihr, alle. Und es ist ein neuer Abschnitt, in den wir tapfer hineinwandern wollen, Ihr und ich. i Lebt wohl, haltet Eure Stirn klar und macht mir keine Schande! Und habt Dank für alles!

Euer Lehrer

Erzbischof Jachym — Koadjutor

Wie die Apostolische Nuntiatur in Oesterreich bekanntgibt, hat der Hi. Vater den bisherigen Kapitelvikar, Erzbischof Dr. Franz Jachym, zum Koadjutor sedi datus von Wien •mannt:

Mit dieser Ernennung hat der Hl. Vater nicht nur eine Bitte von Erzbischof König erfüllt, sondern auch den Wünschen des katholischen Volkes von Wien entsprochen. Erzbischof König hat gleich bei seiner Ernennung und seither wiederholt erklärt, daft er alles versuchen werde, um Erzbischof Jachym in führender Position der Wiener Erzdiözese zu erhalten. Besonders aufgefallen sind die überaus herzlichen Worte, die Erzbischof König bei seiner Inthronisation für die Arbeit und die Persönlichkeit des bisherigen Kapitelvikars gefunden hat, wobei er vor allem die menschliche Gräfte unterstrich, die Erzbischof Jachym gerade in den letzten Wochen gezeigt hat. (Die „Furche“ konnte diese Ansprache in vollem Wortlaut wiedergeben.) Das katholische Volk von Stadt und Erzdiözese Wien hat besondere Ursache, sich über die Entscheidung des Hl. Vaters zu freuen. Es hat Erzbischof Jachym während seiner Tätigkeit als Koadjutor des greisen Kardinals und später als Kapitelvikar als einen Bischof kennengelernt, aufgeschlossen den Problemen der Zeit gegenüber und voll sozialem Empfinden für die Nöte des Volkes. Das katholische Volk von Wien hat durch seinen begeisterten Empfang bewiesen, wie rasch es Erzbischof König gelungen ist, Zugang zu den Herzen der Wiener zu finden. Es sieht in der Zusammenarbeit der beiden Bischöfe, wie sie durch die Entscheidung des Hl. Vaters gegeben ist, die Gewähr für eine glückliche Entwicklung des religiösen Lebens in der Erzdiözese Wien.

Das Kirchenrecht kennt die Einrichtung von Koadjutoren in zweierlei Fällen:

1. Der Koadjutor personae datus: Er wird vor allem jenen Diözesanbischöfen beigegeben, die infolge von Alter und Krankheit nicht mehr in der Lage sind, den Verpflichtungen ihres Amtes allein und ohne Unterstützung nachzukommen. Die Rechte eines Ko-adjulors personae datus richten sich nach dem Inhalt des päpstlichen Ernennungsdekretes.

2. Der Koadjutor sedi datus: Ein solcher wird in der Regel dann ernannt, wenn die Gräfte und die Vielfalt der zu erfüllenden Aufgaben die Kräfte eines einzelnen Menschen übersteigen können.

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