6587545-1952_04_07.jpg
Digital In Arbeit

Kaiserin Maria Theresia schreibt an ihre Tochter

Werbung
Werbung
Werbung

Meine Hebe Tochter Maria Christinei

Ihr möchtet gern von mir für Euren neuen Lebensabschnitt ein Rat haben. Es gibt mancherlei Bücher, die von diesen Dingen handeln, ich kann es mir ersparen, sie zu wiederholen. Ihr wißt, daß die Frau dem Manne untertan ist, daß wir unserem Mann Gehorsam schulden und daß er in allem unsere Erfüllung ist, daß wir ihm dienen, helfen und in ihm unseren väterlichen Freund und besten Gefährten sehen sollen. Wenn auch viele Beispiele heute das Gegenteil zeigen — ich könnte Euch niemals von diesen Pflichten entbinden. Ihr habt Euren Gemahl aus Neigung gewählt, Ihr kennt ihn und habt allen Grund zu der Hoffnung, so glücklich zu werden, wie man es in dieser Welt nur sein kann.

Trachtet danach, Gottes Gnade durch ein christliches Leben zu verdienen. Seid anderen ein Vorbild durch Eure Mildtätigkeit, Eure Frömmigkeit, durch einen rechtschaffenen Lebenswandel und eine edle Bescheidenheit. Ihr habt für Eure Umgebung den Ton anzugeben, und ich bin überzeugt, daß Ihr Euch dazu eignen werdet.

In der heutigen Zeit schätzt man keinerlei Zwang. Darum, je mehr Freiheit Ihr Eurem Gemahl lasset, je weniger Zwang und Pünktlichkeit Ihr von seinen Besuchen erwartet, um so liebenswerter mächt Ihr Euch und um so verlangender wird er Eure Nähe suchen.

Das Wichtigste ist, daß er Euch stets bei gleichem Sinn, bei gleicher Freundlichkeit und Aufmerksamkeit für ihn findet. Seht zu, es ihm in Eurem Hause recht zu machen, damit ėr sich nicht anderswo wohler fühlt. Wenn Ihr sein Vertrauen besitzen wollt, beweist ihm, daß Euer Verhalten und Eure Verschwiegenheit es verdienen. Nie soll eifersüchtiger Argwohn in Euer Herz dringen. Je mehr Freiheit Ihr Eurem Gemahl lasset, je mehr Ihr ihm darin Eure Gefühle und Euer Vertrauen zeigt, um so begehrenswerter werdet Ihr für ihn sein. Denn alles Glück der Ehe besteht im gegenseitigen Vertrauen und in gegenseitiger Zuvorkommenheit. Die tolle Liebe ist bald dahin — man muß einander achten und eines muß dem andern dienen, man muß wahre Freundschaft füreinander empfinden, um in einer Ehe glücklich zu leben. Nur so wird man die Widerwärtigkeiten dieser Welt ertragen können. In dieser Hinsicht fürchte ich bei Euch höchstens das Zuviel, das Euer gemeinsames Glück trüben könnte. Ich habe Euch auf Eure Freundinnen eifersüchtig gesehen. Hütet Euch, es auf Euren Gemahl zu sein, das wäre der erste Schritt, ihn fern zu halten. Neckt ihn nicht in diesem Punkt, vom Scherzen gerät man leicht in Vorwürfe, ein bitterer Tropfen mischt sich darein, die Achtung voreinander muß darunter leiden und plötzlich spürt man das Gift der Abneigung. Je größer das Vertrauen ist, das Ihr Eurem Gemahl entgegenbringt, je weniger Zwang Ihr ihm auferlegt, um so sicherer werdet Ihr seiner Liebe und Treue sein.

Es stünde besser um viele Ehen, wenn man sich also verhalten würde. Alles hängt hierin’ von der Frau ab, sie muß die rechte Mitte halten, die Achtung und das Vertrauen des Mannes gewinnen, nie Mißbrauch damit treiben oder gar damit prahlen wollen oder — das schlimmste haben, ihn zu beherrschen. Eure Lage ist in dieser Hinsicht ebenso heikel wie die meine. Lasset ihn nie Eure Überlegenheit fühlen — nichts fällt schwer, wenn man vernünftig liebt. Was mich betrifft, so kann ich jedenfalls über diesen Punkt ruhig sein.

Meine liebe Tochter, heute nach Tisch war ich ganz dumm und kindisch, als ich um drei Uhr Eure Schwestern in meiner Kammer hörte, glaubte ich einen Augenblick, einen Augenblick, daß meine liebste Mimi käme. Adi, sie ist jedoch weit fort und hält Hof bei sich und genießt die Nähe ihres Geliebten — ja, das habe ich nun von meinen Sorgen, die ich all die Jahre um sie hatte. Doch ich kann Gott nicht genug danken, sie nun zu einem neuen Glück geführt zu haben, und erflehe seine Gnade, daß er Euch dieses Glück erhalte und alle Tage größer mache. Aber ich will nicht vor Euch jammern und brummen, sondern halte Euch von ganzem Herzen lieb.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung