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Kinderlos und kalt

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Dauer in eine emotional verflachende, ja, kalte und sinnentleerte Atmosphäre?

Am Weihnachtsfest ohne Kinder kann das besonders sichtbar werden. Was läßt sich mit diesen Festtagen in einer Welt ohne Kinder tun? Da setzt ein Boom auf die Reisebüros ein, in dem unbewußten Bedürfnis nach Ersatzbefriedigung für die „stille heilige Nacht", in deren Zentrum die Geburt eines Kindes steht. Und nur hart verdrängt weinen die Seelen der vielen Frauen, deren Kinder das Licht der Welt nicht erblicken durften... Aber ein paar Sonnenbäder am Strand von Florida schließen in Wirklichkeit die heimlich schwärenden seelischen Wunden nicht...

Kinder an der Krippe, Kinder unter dem Tannenbaum hingegen lassen auf die Erwachsenen so etwas wie einen hellen Glanz fallen, ein An-gerührtwerden von ihrer Freude, von ihrem Verzaubertsein. Und das macht uns sichtbar, daß Kinder nicht nur lästig sind, sondern daß sie uns auch beschenken, daß also eine Welt ohne Kinder nicht nur physisch, sondern auch psychisch eine verarmende Welt ist — eine Welt, in der uns all das verlorengeht, was wir von den Kindern lernen können.

Kinder machen schließlich nicht nur Unruhe, sondern sie geben uns Kostbarstes: Sie geben unserem Leben Sinn, sie fordern uns durch ihre Hilflosigkeit zu hingebender Liebe heraus, sie wärmen unsere Seelen durch ihr Vertrauen, durch ihre Offenheit und ihre staunende Lernbereitschaft. Eine Welt ohne Kinder läßt uns durchgängig verarmen. Eine Welt mit Kindern macht denjenigen Menschen seelisch reich, der sich ihnen mit Intensität öffnet.

Hier liegt deshalb auch eines der großen Geheimnisse des Weihnachtsfestes: Der Ruf: „... denn ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; man nennt ihn: wunderbarer Ratgeber, starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens. Seine Herrschaft ist groß, und der Friede hat kein Ende ..." (Jesaja 9,5f), ist eine emotional tiefgreifende Verheißung, weil das Prinzip Hoffnung auf Zukunft in ihr kulminiert. Es lohnt sich für jeden von uns, spätestens angesichts dieser Botschaft die Reifen einer kinderfeindlichen emotionalen Verhärtung, die unsere Herzen verengen, aufzusprengen und sie bereit machen, sich den Kindern wieder zuzuwenden, um von ihnen Kostbares zu lernen: Offenheit, Vorbehaltlosigkeit und schenkbereite Fühlfähigkeit.

Es lohnt sich also, für Kinder Zeit zu haben, um uns mit ihrem Wesen anzufüllen. „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder", hat Christus gesagt, „könnt ihr nicht ins Himmelreich kommen." (Mt 18,3) Wir selbst, die Erwachsenen, können also Tiefe gewinnen, wenn wir uns mit Kindern beschäftigen. Und gerade dieses ist es, was beide so nötig brauchen: daß es doch einmal (nicht immerzu, aber doch immer öfter) so etwas gibt die ganz ungeteilte, die von niemandem gleichzeitig beanspruchte Hingabe des Erwachsenen an das Kind, das Ab-solutum der Exklusivität; denn nur in dieser Totalität kann sich eine tiefe Beziehung entfalten.

Die Beobachtung des Kindes, der die Achtung vor dem zu „Lehen" anvertrauten Wesen vorausgeht, kann eine Hellhörigkeit des Erwachsenen zur Folge haben, die dem Kind in seiner Unverwechselbarkeit, in seiner Wesentlichkeit gerecht wird. Ein schönes altes Zitat des großen Pädagogen Salzmann, bereits von 1799, kann diese Wahrheit bestätigen:

„Du mußt daher auch Unterhaltungen suchen, an denen die Kinder tätigen Anteil nehmen können. Zu diesem rechne ich zuerst das Spiel, nämlich ein solches, das einen nützlichen Zweck hat, entweder dem Leibe eine freie Bewegung und Behendigkeit zu verschaffen oder die geistigen Kräfte zu üben. Diese Spiele kannst du von den Kindern selbst lernen...

Bei der Wahl derselben hast du auf zweierlei Rücksicht zu nehmen: daß sie einen wirklich nützlichen Zweck haben und daß sie deinen Kleinen Vergnügen machen. Oh, ihr alle, die ihr euch der Erziehung weihet, ich bitte euch, lernet mit den Kindern spielen! Ihr werdet durch diese

Übung drei wichtige Zwecke erreichen; die Kinder an euch ziehen und ihre Liebe und ihr Zutrauen erwerben, die Gabe mit ihnen zu sprechen und sie zu behandeln, euch mehr eigen machen und Gelegenheit finden, in das Innerste eurer Kleinen zu sehen, da sie bei dem Spiele weit offener und freier handeln als in anderen Lagen und sich mit allen ihren Fehlern, Schwachheiten, Einfälle, Anlagen, Neigungen zeigen, wie sie wirklich sind."

Eine Haltung dieser Art beschenkt mit Reichtum der Seele. Christus sagt: „Gebt, dann wird auch euch gegeben werden. In reichem, vollem, gehäuftem, überfließendem Maß wird man euch beschenken; denn nach dem Maß, nach dem ihr meßt und zuteilt, wird auch euch zugeteilt werden." (Lk 6,38)

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