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Vorhöfe der Weihnacht

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Das Geheimnis der Heiligen Nacht, das Mysterium der Zeit- und Schicksalswende der Menschheit, ist einem erhabenen Heiligtum vergleichbar, etwa dem gewaltigen Tempel Salomons in seiner ganzen Herrlichkeit. Auch in seinen vielen Vorhöfen drängt sich das Volk aus aller Heften Ländern zum Feiern, und es ist insgesamt ein auserwähltes Volk samt seinen Freunden und Anhängern. Viele treiben freilich auch da in den prächtigen Hallen, in der Weite des heiligen Bezirkes nur ihre einträglichen Geschäfte, und wer fände wieder den Mut, sie ihnen mit der Geißel in der Hand zu verleiden? Viel leibliches Behagen gibt es auch hier und, da die Opfer in Fülle geschlachtet werden, mag in solchen Tagen auch einmal ein Armer wieder zu einem Stück Braten und einem Schluck Wein kommen. Andere wieder bieten in den Säulengängen selbstgefällig ihre eigene Weisheit feil und überschlagen sich selbst vor der neugierigen und beifallsfreudigen Zuhörerschaft. Man mag es auch hier beklagen, daß dann so wenige den Weg näher zum eigentlichen Heiligtum und Allerheiligsten suchen und finden — vom eigentlichen Anlaß des Festes so wenig berührt und bewegt werden Man mag sich aber ebenso darüber freuen, daß doch noch so viele in den Bann des Tempels gezogen werden und in ihrer Weise dem Heiligen ihren Tribut zollen. Vielleicht ■wird jemand sagen, sie hätten wohl alle die Pflicht, ganz ernst und ganz heilig diesen Tempelgang zu tun; aber vielleicht ebenso: In dieser Verfassung hätten viele gar nicht das Recht, über den Vorhof der Heiden hinauszuschreiten — es sei dies schon des Entgegenkommens genug!

Allein dies wäre die Sprache der Antike und des Alten Testaments, und es ist gerade christliche Botschaft, daß wir alle berufen wurden zu einem königlichen Priestertum! Priesterrecht aber ist es, ins Heiligtum selbst einzutreten und zu opfern. Christus hat überdies noch den Vorhang zerrissen, der Heiligtum und Allerheiligstes trennte, so daß auch diese Unterscheidung fiel. Er tat es in der Annahme von Fleisch und Blut, der Voraussetzung ihrer Hingabe und der besonderen Gemeinschaft zwischen Ihm und uns — wahrhaftig auch ein Grund zum Freuen! (Vgl. Hb 10, 19 f.) So liegt an sich der Weg zum Allerheiligsten, zum Herzen des Festes allen offen, und drinnen thront nicht ein Götzenbild, steht nicht mehr die Bundeslade als Thron des Unsichtbaren, sondern erschienen ist leibhaftig die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes — in der Gestalt eines holdseligen Kindes, gewartet von der heiligsten Mutter.

Diese Tat ist das letzte Wort, die letzte Botschaft Gottes an uns, nachdem er schon vorher in vielerlei Weisen und viele Male zu den Vätern durch die Propheten gesprochen. Eine unerschöpfliche Botschaft ist es — wer wollte sie ergrübein und darüber die Anbetung vergessen? Aber eines wird doch jedermann, der guten Willens kommt und schaut, offenbar: Das Kommen des Herrn in dieser Weise bedeutet eine Entthronung des Reichtums, der Ehre und der Macht, ein ausgesuchtes, im Leben bewiesenes und schließlich im Leiden bewährtes Bekenntnis zu den Ungesicherten, Unansehnlichen und ohnmächtig- Hilflosen.

Das aber müßte uns alle ins Herz treffen, denn in diesem Spiegel erkennen wir jäh die Irrlichter, die unsere Generation weithin narren oder, besser, die Dämonen, die sie hetzen. Gesichertheit und der in ihr ermöglichte Genuß, Macht in allen ihren abgewandelten Formen, steigender Lebensstandard, Erfolg und äußerer Glanz, gesellschaftlicher Rang ohne besondere innere Verpflichtung: bedeuten sie nicht unserer Zeit Höchstes und letzt Erstrebenswertes, wofür sie jeden Preis zu zahlen bereit ist? Die ganze Mechanik und Technik dieser außer- und untermenschlichen Werte fällt damit über den Menschen her und versklavt ihn zu harter Fron. Die Besitzenden plagt die ruhelose Angst, zu verlieren, und die Habenichtse die Gier, endlich doch etwas zu erraffen.

Doch wer die Vorhöfe der Weihnacht durchschritten, dem müßte sich diese Welt des Geldes, des Prestiges, der Aemter und Würden, der künstlich erzeugten Bedürfnisse als eine seelenlose Scheinwelt enthüllen. Was bedeutet in dieser organisationstollen Welt noch Menschentum und Menschlichkeit, Geist, Persönlichkeit, Charakter? Rougemont hat uns in Wien einmal vorgeworfen, daß in Europa noch viel von Freiheit geredet, aber darunter nur mehr Sekurität verstanden wird. Dieser Tage hat sich nicht unwidersprochen der Ruf erhoben, der Jugend wieder Ideale zu geben. Nun, in der Multiplikation jener Massenwerte sind sie nicht zu finden.

Fiat nicht echte Kultur sodann nur immer im Ueberwinden und in der Dienstbarkeit dieser Werte gedeihen können, nie unter ihrer tyrannischen Herrschaft?

Es ist das letzte Wort Gottes aus dem innersten Heiligtum dieser Tage. Durchbrechen wir jeder in seinem Leben den Zauberbann dieser Mächte, lassen wir ihre Ernsthaftigkeit wenigstens bei uns nicht gelten. Der Sog dieser Dinge soll kein allmächtiger sein. Die Krippe steht hier gegen diese Faszinierung und Fixierung, gegen alle Wolfstheorien, wonach man zuerst die anderen niedergebissen haben muß, um Recht und Führung zu erlangen. Die Krippe tritt ein für den inneren Wert und die innere Würde des Menschen und für seine Freiheit gemäß dem Willen und Einsatz Gottes.

Erst recht im Leben und Zusammenleben der Völker! Spielen sie dort nicht in tausendfacher Vergrößerung ihre angemaßte Unheilsrolle: die Schätze der Erde, die Macht und die Ehre? Mußte uns gerade ein General aus der Neuen Welt hier auf dem Boden der Alten sagen: Militärische Macht allein ist eine zu schmale Basis — es braucht eine seelische Wiedergeburt! Was für ein hellstrahlender Stern würde erst über dieser Erde aufgehen, wenn die Mächtigen und Großen ihre Gaben huldigend vor dem göttlichen Kind niederlegten! Wäre es nicht die Wende zum wahren Frieden auch für die Kleinen, die ratlos zwischen den Blöcken stehen?

Gott ist Mensch geworden, daß auch wir es werden können in aller Wahrheit und Würde. Er will uns Mut machen zu diesen neuen Wegen, zum Verlassen der alten Geleise, denn sonst könnte doch einmal die Bremsstrecke vor dem lockenden Abgrund nicht mehr reichen. Schon der alte Heide Seneca wußte es: Der Mensch, der nicht über den Menschen hinaus sein Trachten hat, wird es nicht einmal zum Menschen bringen!

So möge sich erfüllen, was uns schlicht und doch aus tiefster Weisheit und Erfahrung die Kirche mit dem Apostel schon im Advent gewünscht, hat: „Gott erfülle uns mit aller Freude und allem Frieden — aus der Betätigung unseres Glaubens“ (Rö 15/13). Dann wird auch das festliche Tun und Treiben in den Vorhöfen nur Ausdruck, echter Ausdruck sein, nicht aber letzter Inhalt und Sinn. Und die Feiertage werden uns alle dann bescheren mit neuer und überreicher Zuversicht und Kraft für den anschließenden Alltag.

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