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Digital In Arbeit

Die Frau Jes Redakteurs plädiert

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Nur wenn äußerste moralische Reserven aufgeboten werden, kann dieser Artikel — aber was sage ich: kann dieses Bekenntnis, dieser Notruf, diese Anklage schwarz auf weiß gedruckt ins Bewußtsein der Gegenwart Vordringen. Nein, ich leugne, daß es Redakteure geben wird, die den Mut haben… Wer würde sich schon überwinden, ins eigene Fleisch zu schneiden, sich der Empörung des Publikums und dem bitteren Urteil des richtenden Gewissens auszuliefern? Oh, es ist ja nicht so, daß ich nicht Gelegenheit gehabt hätte, sie zu durchschauen: schweigen Sie — ich bin mit einem Zeitungsmann verheiratet seit zehn Jahren I Ich mit ihm. Aber er nicht mit mir. Das ist es. Er wird es abstreiten, aber seine Frau ist die Zeitung, was immer im standes- und pfarramtlichen Register stehen magi Seine Familie — das sind die Kollegen, die Setzer, die Metteure, Tintenkuli, Schere, Leimtopf, Papierkorb und Archiv.

„Zu unserem Bedauern sind wir gezwungen, Ihnen Ihr Manuskript in der Anlage zurückzusenden, da es sich nicht in unsere Dispositionen für die nächsten Ausgaben fügt. Hochachtungsvoll.“ Das wird das Schicksal dieser Blätter sein. Ich kenne das. Und wenn ich mich selbst in die Redaktion bemühe? „Sie müssen verstehen, gnädige Frau, wir würden geradezu gegen ein Gesetz des Taktes verstoßen, wenn wir unsere Leser mit dergleichen berufsständischen Problemen belästigen wollten. Für den Redakteur ist Anonymität Pflicht. Die Fragen der Zeit gehen durch ihn hindurch, er filtert, er ordnet sie, unpersönlich, sachlich, ohne Sentiment und Ressentiment. Er spielt keine Rolle, ei- ist der legitime Erbe jener ungenannten Arbeiter an den Kathedralen des Mittelalters; er ist der anonyme Steinmetz am Bauwerk des Zeitgeistes.“

Ein bißchen pathetisch, sollte man denken. Aber es kommt ja nicht darauf an. Sie haben mit schönen Worten umgehen gelernt wie unsereins mit Fewa und Gütermanns Nähseide. Und das ganze atemraubende Vokabular wird dafür gut sein, die Veröffentlichung dieser Zeilen zu verhindern.

Aber ich klage an! Ihr Zeitungskonsumenten, die ihr die Schlagzeilen und den Leitartikel des Morgenblattes mit behaglicher Neugier zu euch nehmt, während ihr das Frühstückskipfel in den Kaffee taucht, die ihr euch bei der Straßenbahnfahrt zum Büro gelassen mit dem Gang der Weltgeschichte vertraut macht, die ihr euch den Genuß eures Seelenfriedens vor dem Einschlafen an Buchrezensionen freudig bildet — ihr könnt es ruhig wissen, ihr sollt es wissen, daß eure Neugier, euer Behagen, eure Leselust bitter bezahlt sind. Ich bezahle mit meinem Glück — ich und die tausend Genossinnen meines Schicksals.

Ich bin die Frau des Redakteurs, der euch täglich das Weltgeschehen ins Haus liefert. Ihr habt meinen Mann. In jeder Sportnotiz schenkt er sich euch, den Lesern. Ich habe ihn nicht. Oder doch höchstens vierzehn Tage im Jahr, wenn wir in Urlaub fahren. Ach, Urlaub — was wir dann so darunter verstehen … Drei Stunden weit über Berg und Tal hastet er zum nächsten Marktflecken, am Kiosk sein Blättchen zu erstehen. Und für den Rest des Tages ein saures Gesicht und ein Gemurre, daß ihm die Kerle natürlich seine Seite(n) versaut hätten, daß man eben nicht weg könne und daß wir schon drei Tage früher zurückfuhren. Urlaub …

Es ‘st mein Unglück, daß ich einen Mann geheiratet habe, der sein Geld nicht mit einem anständigen Beruf verdient, sondern mit einem Laster. Denn genau das ist der Journalismus. Zuerst fühlte ich mich betrogen. Dann gestand ich mir ein, daß hier der strafwürdige Tatbestand der Bigamie vorliege. Bis ich auch dies als Irrtum erkannte: ich hatte meine Bedeutung noch immer überschätzt. Ich braue ihm einen Absud vom Frühstückskaffee, ich stopfe seine Strümpfe, bewache eine Zweieinhalbzimmerwohnung — im übrigen ist er mit der Zeitung verheiratet.

Denn nicht wahr: zu einer Ehe gehört wrohl, daß man ein wenig Zeit füreinander hätte, des Abends unter der Lampe über die Verlobung von Meiermanns Töchter- chen und über den letzten Roman ein paar passende Worte verlöre, daß man miteinander von Zeit zu Zeit ins Kino ginge, am Sonntagnachmittag in den Wald liefe, ein bißchen Krach bekäme: ob nun ein kleines Radio oder eine elektrische Nähmaschine die dringendere Anschaffung sei, wenn der Chef die Fünfzig plus genehmigte und so weiter. Aber nein.

„Nimm dir geschwind das Lateinheft von Wölfehen vor — er hat wieder eine schamlose Klassenarbeit geliefert. Du solltest dich um deinen Sohn wirklich etwas mehr kümmern…“ Es kommt mit tödlicher Sicherheit: „Herzchen, du weißt doch, drüben auf dem Schreibtisch liegt eine dicke Mappe mit Manuskripten. Und ich muß für morgen noch einen Leitartikel schreiben. Am Samstag dann, bestimmt!“ Ein flüchtiger Kuß auf die Wange. Er ist schon weg, drüben am Schreibtisch. Und am Samstag ist Redaktionskonferenz — so gewiß ich einen Redakteur zum Mann habe! Wenn ich ihn hätte.

Es gibt zwei Möglichkeiten: entweder er ist Redakteur einer Morgen- oder einer Abendzeitung. Die Morgenzeitung — das bedeutet, daß er gegen elf Uhr das Haus verläßt (nachdem er sich um zehn aus den Federn gewälzt hat), daß er günstigenfalls gegen neun, schlimmstenfalls gegen zwei Uhr früh heimkommt — es braucht den Herren in Bonn nur eingefallen zu sein, sich mit dem Schicksal Europas in einer Nachtsitzung zu befassen. Die Abendzeitung: er schleicht bei Nacht und Nebel fort, kaum, daß der erste Tagesschimmer überm Horizont dämmert; er verstößt damit gegen ein Grundgesetz seiner Konstitution, die ihn zum Nachtarbeiter bestimmt hat (er wäre andernfalls nicht Journalist geworden) — und kehrt gegen vier Uhr mittags zurück, vergrämt, müde, unlustig, nur durch einen Kognak oder ein halbes Liter Mokka zu retten, und das auch nur mit der Aussicht, daß er die wiedergewonnenen Kräfte an einer Glosse für die morgige Ausgabe verschwenden wird.

Ich plädiere — und bitte im Namen von Tausenden um Gehör: daß Redakteure von Tages- und Wochenzeitungen (ausgenommen Monatszeitschriften) durch Volksentscheid das Zölibat auferlegt wird, da sie erwiesenermaßen des ihrem Berufsstand eigenen chronischen Zeitmangels wegen eheuntauglich sind; daß Vergehen gegen dieses Gesetz als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ geahndet werden; daß durch anhaltende Aufklärungsarbeit heiratsfähige Personen weiblichen Geschlechts vor Einlassungen mit den Obengenannten nachdrücklichst gewarnt werden.

Lasse sich keine meiner Schwestern durch die lässige Geübtheit in charmanter Konversation, durch die literarische Beflissenheit, durch das bezaubernde Vermögen, die Weistümer der Menschheit von Laotse bis Albert Einstein in zehn Minuten auszubreiten, durch die intime Kenntnis führender Persönlichkeiten aus Weltpolitik und Film, durch schwelgende Erzählungen Weitgereister — laßt euch nicht, ihr Schwestern, durch jene zynisch gebrauchten Fähigkeiten verlocken! Auch wenn er vom Feuilleton sein sollte. Droht euch die Versuchung, so gedenket meiner!

Eine, die ungenannt bleiben will.

Für die Prüfung des Manuskripts zeichnet: -pp-

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