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Digital In Arbeit

Nur ein Journalist

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Der souveräne Mensch hat die Macht, die Weh aus den Angeln zu heben, und obwohl er davon reichlich Gebrauch gemacht, iühll er sich schwach und klein, denn indem er die Welt aus der richtigen Lage bringt, gerät er selbst in eine schiele Situation. Allmacht und Ohnmacht sind in ihm vereinigt, und damit ist auch schon das Wesen des Journalisten definiert. Der Mann, der die Zeitung schreibt, hat die Macht, alles zu sagen, und daher nichts zu sagen. Er gestaltet die öffentliche Meinung, die ihm zum Dank daiür mißtraut. Sein Reich ist der Tag, und darum ist er am Abend schon vergessen. Sein Feld ist die Welt, und darum ist er nirgendwo zu Hause. Die Politik schiebt ihn an die Intelligenz ab, aus dem geistigen Bereich wird er ins Gewerbe vertrieben, die geschäftlichen Mächte stempeln ihn zum Künstler, während die Kunst ihn wieder in die Politik abdrängt.

Aber laßt ihn gewähren, denn er ist trotzdem ein glücklicher Mensch, Seine Wonnen sind doppelter Art, er wirkt als Künstler und Täter zugleich, die Ereignisse, die er gestaltet, werden erst durch ihn lebendig. Er hat die Passion, die mehr ist als der Trieb, dabei zu sein und eine Meinung zu haben. Sein Leben ist ein berauschender Wettlaui zwischen den Geschehnissen und seiner Stellungnahme. Herzschlag und Stundenschlag ergeben die ungeduldige Harmonie seines Wirkens. „Was jeder Morgen brachte, was jeder Tag beschien, was jede Nacht bedeckte, das zu besprechen hatte ich Lus-t und Mut“, mit Ludwig Börne aus. Lust und Mut zu haben in einer unlustigen und mutlosen Welt, ist die Gabe, die dem Journalisten zuteil wird, denn Iür ihn verliert das Leben erst sein Licht, wenn das Herz zu schlagen aulhört. Hart am Ereignis zu sein, der Zeit im Nacken zu sitzen, aul Strömen zu treiben und sie gleichzeitig zu lenken, ins kleinste Wort die größte Wellweite zu drängen und zu wissen, daß es nie einen siebenten Tag Iür ihn geben wird, das macht die Einzigartigkeit dieses Berufes aus, der jeden Beruf ausschließt und doch alle in sich vereinigt. Gebl ihm, dem Magier, ein weißes Blatt und einen schwarzen Stilt, und sogleich wird das Schwarzweiß der Welt so kräftig vor euch stehen, daß es von Farben leuchtet. Aber gebt ihm keine Atempause, denn er atmet nur durch euren unaufhörlichen und nie rastenden Anspruch.

„Ein Zeitungsschreiber ist ein Mensch, der seinen Beruf verfehlt hat“, sagt Bismarck. Dies Wort des Staatsmannes kann uns nicht schrecken, denn wie sollte der seinen Beruf nicht verfehlt haben, der alle Berufe umfaßt und eine Berufung hat! Journalismus läßt sich nicht lernen, und Presseschulen sind ein Unding, soweit ihr Programm über die technischen Gegebenheiten hinausgeht. Wer Iür den Tag schreibt, hat die Leidenschaft des Künstlers und schöpit aus einer Lebenserlahrung, die sich aul keinen Berit! beschränken darf Je mehr Berufe er verfehlt hat, um so sicherer verfällt er seiner Passion, und es ist vielleicht nicht übertrieben, zu sagen, daß der beste Journalist derjenige ist, der einen anderen Beruf aufgegeben hat, sei es den des Juristen, des Historikers oder sonst einen, der ihm zu eng erschien. Denn es ist nicht seine Auigabe, alles zu wissen, sondern alles zu erleben, alles in seinen Nerven zu spüren, alles mit Inbrunst zu erfahren und die Erfahrung schnell und mit der Wärme des schnellen Erlebens auszusprechen. Ein guter Steuerspezialist wird niemals lernen, einen zugänglichen Artikel über sein Gebiet zu schreiben, wenn er kein publizistisches Temperament hat. Aber ein guter Pressemann kann sich zw Not in jedes Spezialgebiet einarbeiten. Seine Gewissenhaftigkeit ist jederzeit nachzuprüfen, denn was er schreibt, liegt vor aller Augen. Sich täglich vor der erbarmungslosen Oeffentlichkeit bewähren zu müssen, in ständiger Unruhe und dem qualvollen Wunsch, es noch besser machen zu wollen, leben zu müssen, ist eine Aniorderung an die menschliche Leistungsfähigkeit, von der die Leser sich keine Vorstellung machen. Das Glück, im Maschinensaal zu leben, die gelassene Intelligenz der Typographen neben sich zu iühlen, den Geruch der Druckerschwärze einzuziehen, noch im Blei zu streichen oder zu ändern, aul die unerbittliche Uhr zu schauen, stets am Rande der Katastrophe zu wandern, die jeder kleinste Irrtum hervorruien würde, sein eigenes Wort erst in der Fahne und dann im fertigen Umbruch zu finden und mit ihm das herrlichste aller Wiedersehen zu feiern, dann die fertigen Seiten sich fallen zu sehen und jubeln „endlich!“, weil man es nicht besser hätte machen können, und zu beben „zu spät!“, weil man es gerne noch besser gemacht hätte — alles das ist atemberaubend und schön und schrecklich, es ist ein Hundeleben und ist das schönste Abenteuer aul der Welt. Ahnen die Jünglinge, die sich zu diesem Berul drängen, was ihnen bevorsteht? Wissen sie, daß der erste Aultrag, einen selbständigen Bericht zu schreiben, nicht minder schwindelerregend ist als die Aussicht, eine moderne Kampfmaschine fliegen zu müssen, ohne es gelernt zu haben?

Trotzdem wird der Journalismus stets die schwachen und starken Naturen mit gleicher Heftigkeit anziehen. Die schwachen, weif sie Eile und Hast und Allgemeinverständlichkeit mit Oberflächlichkeit verwechseln, weil sie glauben, wer zu allem etwas sagen müsse, brauchte keine Ueberzeugungen zu haben. Die starken, weil sie die unmittelbare Wirkung suchen, weil sie die Trunkenheit der schnellen Arbeit lieben und weil sie kein besseres Mittel kennen, mit dem Ansturm des Lebens zu kämpfen. Der Starke kennt seine Grenzen, denn er weiß, daß sein Wort nur lebt, wenn es gedruckt wird, daß seinem Werk keine autonome Existenz beschieden ist. Ein großes Gedicht lebt und tut seine Wirkung, auch wenn es niemand liest. Ein Leitartikel ist nicht existent, solange er nicht gedruckt ist, und er hat seine Rolle ausgespielt, wenn er gelesen ist. So stirbt der Journalist tausend Tode und leiert tausend Aulerstehungen. Immer wieder von vorne anfangen, das Gewebe am Morgen auflösen, das bei Nacht gesponnen wurde, heute unbebautes Land finden, wo er gestern gepflügt hat, mit einem Wort in der Ewigkeit eines kurzen Tages leben und doch immer an die Zukunft denken, die er gestalten hilft, das ist das Leben des Journalisten.

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