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Bomben sollen fallen

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Der folgende Beitrag eines 1 jährigen Mädchens aus Belgrad erschien zuerst am 12./13. Oktober in der Belgrader Zeitung „Bor-ba". Ein dramatischer Appell, der leider immer noch unerhört ist.

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Der folgende Beitrag eines 1 jährigen Mädchens aus Belgrad erschien zuerst am 12./13. Oktober in der Belgrader Zeitung „Bor-ba". Ein dramatischer Appell, der leider immer noch unerhört ist.

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Ein Bus Nr. 37, der meistbelasteten Belgrader Buslinie, kriecht durch die Fürst Milos-Straße. Es ist Sommer. Plastik und Metall heizen den ganzen Bus auf.

„Siehst Du, was dort passiert?" „Das ist schrecklich! Ein echter Krieg!" „Hast Du die abgeschlachteten Serben gesehen? Das haben die Ustasi getan!" „Es geht ihnen nicht um einen eigenen Staat. Sie verlangen nach serbischem Blut."

Ich stehe in der Ecke des Busses, schweige und höre zu. Dieses „Dort" ist Slawonien, die Banija, Knin. Niemand aber erwähnt diese Namen. Alles „dort" ist weit weg. Einer der Fahrgäste glüht vor Empörung, droht mit erhobener Stimme und schießt Drohungen wie eine „Thompson" ihre Munition.

Oh, mein liebes Belgrad! Oh, mein Heimatland Serbien! Oh, mein lieber serbischer Bruder! Du der du die Serben so liebst, geh und nimm einen Bomber und flieg, flieg! Wenn Du über Osijek, Pakrac und Virovitica fliegen wirst, laß die Bomben los! Sie sollen wie Regen fallen! Von diesen Städten soll nichts übrig bleiben. Den Explosionsknall der Bomben sollen auch der Heilige Sava und der Herrgott hören, der, wie Du sagst, die Serben beschützt.

Es fällt Euch leicht, Leute, Euch auf Vojvoden" und Poglavniken2' zu berufen. Es ist leicht, nach dem Dolch zu greifen und von den Schlachten zu erzählen. Ihr wollt den Krieg! Aber die Leute, die dort kämpfen, tun es nicht aus Vergnügen, sondern um am Leben zu bleiben! Wäre nicht dieser Kampf gewesen, würden sie ernten, Handel treiben, studieren. Nicht nur sie sind Zerrissene, sondern auch Ihr, die Ihr zittert vor den Nachrichten und mit dem Krieg Eure eigenen Probleme rechtfertigt.

Wie ist es möglich, daß Ihr, kühle Köpfe, Euch dessen nicht schämt? Wie könnt Ihr Euch von allem distanzieren, wenn die Cetniks die kroatischen Dörfer angreifen? Warum bleibt Ihr so kalt, wenn die Ustasa-Leute Serben auslöschen? Am leichtesten ist es, sich mit der Masse zu verschmelzen. Die Masse verlangt kein Gewissen und keinen Verstand. Am leichtesten ist es, zusammen mit Tausenden anderen Leuten zu hassen und so sich vor sich selbst zu verstecken. Es ist leichter, einen Kampf, ungeachtet dessen, wie sinnlos er ist, anzunehmen, als zu versuchen, seine Ursache aus der Welt zu schaffen.

Die Krisenherde sind in Euch selbst. Ihr verneint verzweifelt Eure Unzufriedenheit. Ihr fürchtet, Ihr habt eine irrsinnige Angst, daß Eure Umgebung Euch nicht annehmen wird. Ihr habt keine Angst vor dem Krieg. Ihr habt Angst, Euch von den anderen zu unterscheiden. Alle um Euch drohen und benehmen sich ja wie wilde Tiere. So werdet Ihr es auch tun. Ihr seid selbst Eure größten Feinde. In Euch, Leute, gibt es weder den Stolz noch den Mut, von denen Ihr so viel erzählt. Es wäre mutig, anzuerkennen, daß Eure Unzufriedenheit Euch von innen verzehrt und daß Euch Euer Leben entglitten ist. Doch das ist für Euch zu schrecklich. Es ist ja viel weniger schmerzhaft, über das Unglück anderer zu jammern und für seine eigene Unzufriedenheit denen die Schuld zuzuschreiben.

Autonomie eigener Meinung Wenn Ihr, meine serbischen und kroatischen Brüder, mutig seid, dann geht an die Front Eures Verstandes und brecht die Barrikaden Eures Herzens. Versenkt Euch in Euch selbst und versucht einen Funken Verstand zu finden. Geht und kämpft in den Wüsten Eurer Einsamkeit und auf dem Karst Eurer Unzufriedenheit. Erkämpft zuerst die Autonomie Eurer Meinung.

Sucht nicht so kopflos die Freiheit Eurer Nation. Sucht Eure eigene Freiheit, rechnet mit Eurer eigenen Vergangenheit ab, und nicht mit der Geschichte Eurer Nation. Führt Offensiven durch und entwickelt Strategien, nicht um die Krajina oder Slawonien, sondern um Euch selbst zu erobern. Erst wenn Ihr in diesem Krieg siegt, geht und kämpft in einem anderen. Redaktionell gekürzt, übersetzt von Vladislav und Edith Marjanovic.

1) Serbische königstreue Partisanen im 2. Weltkrieg 2) Poglavnik war Führer des kroatischen faschistischen Staates im 2. Weltkrieg

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