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Nicht mit Protesten allein

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Die Frage, die sich heute stellt, lautet: Kommen wir heute mit einem solchen Protest weiter? Kann die Reaktion der Jugend sich darin erschöpfen, daß sie gelegentlich einen Wirbel macht, um mit eigenem Spaß die anderen zu ärgern? Genügt es, wie man so sagt, sich auf den Boden der Tatsachen zu stellen, zu suchen, möglichst rasch zu Verdienst und Karriere zu kommen, um wenigstens für sich die Vorteile dieser Welt einzuheimsen. Oder kann schließlich die

Jugend wirklich der Meinung sein, daß die schlechte Welt der Eltern mit diesen stirbt und daß sie selbst eine neue, schöne und bessere bauen wird? Ist nicht vielleicht gerade dieser Jugend in einem anderen Maße und stärker als der Jugend früherer Generationen die Aufgabe gestellt, den raschen Wandel der Welt als eine Herausforderung zu empfinden, der man nicht bloß mit Protesten, mit Wunschträumen und egoistischen Karrieregedanken begegnen kann — eine Herausforderung, die man annehmen, durchdenken, aber auch durchleben muß. Mit Ablehnung allein kann einer Welt, die der Vernichtung zustrebt, nicht geholfen, mit Protesten allein der Verfallsprozeß nicht aufgehalten werden.

In wenigen Jahren, spätestens in zehn bis 15 Jahren, wird auf Ihren

Schultern die ganze Last der Verantwortung für unser Volk und für unser Land liegen. Von Ihrer Arbeit werden wir leben, die Generationen der heute über Vierzig- bis Fünfzigjährigen. Und wieder wird Ihnen dann eine Jugend gegenüberstehen, die Sie fragen wird, ob Sie selber eine bessere, eine gerechtere, eine schönere Welt geschaffen haben. Daß es aber dazu überhaupt kommen kann, daß die Welt noch vorhanden ist, die man besser und schöner ein-

richten kann, daß es noch Menschen gibt, die fragen und gefragt werden können, die denken, planen und arbeiten, die der Hunger nicht stumpf gemacht hat, dafür müssen wir alle zusammenarbeiten.

Das scheint unendlich groß und schwierig zu sein, wo soll man da anpacken. „Willst du das Unendliche erreichen, schreit' nur im Bndlichen nach allen Seiten“ meinte Goethe. Und so als Schritt in der Endlichkeit, in der Realität der österreichischen Möglichkeit, sehe ich die Themen Ihrer Arbeitskreise: In Frieden leben, Gespräch um die Zukunft, Österreichs Aufgabe in der Welt.

Die Herausforderung des Friedens

1. In Frieden leben. Wer möchte das nicht, in Frieden leben? Wer aber in Frieden leben will, darf sich nicht damit begnügen, ein friedlicher Mensch zu sein. Er muß ein friedfertiger Mensch sein, einer, der etwas für den Frieden tut, ein Friedensmacher, ein Friedenstifter. In Frieden leben, heißt nicht „laßt mich in Ruh'“, sondern es kann nur heißen, was muß ich tun, was müssen wir alle tun, damit wir alle miteinander in Frieden leben können. In Frieden leben, darf nicht ein bloßer passiver Wunsch sein. In Frieden leben, ist eine Herausforderung gerade an die Jugend, für diesen Frieden etwas zu tun.

Was kann Österreich tun? Nach den Maßstäben der Macht und des Einflusses ist es fast nichts. Macht kann Österreich nicht in die Wagschale werfen, keine eigene Rüstung wird es schützen. Aber wenn es auch kein Machtfaktor des Friedens sein kann, so kann es doch ein Spurenelement des Friedens sein. Es kann Frieden halten, Spannungen abbauen, Wogen glätten — auch hier ohne Rücksicht auf eigenes Prestige. Festigkeit braucht nicht mit Starrsinn, Elastizität, nicht mit Kapitulation verwechselt werden. Ein kleines Land kann immer als erstes die Hand reichen, kann dort, wo ein Weg verrammelt ist, einen anderen suchen. Aber dieses Österreich kann nur das tun, was seine Bürger tun. Wenn se.ine Bürger sich einigen, die

Sehnsucht nach dem Frieden mit einem egoistischen „a Ruah will i habn“, verwechseln, wenn sie glauben, ihrem Interesse an der Welt mit der Nachrichtenschau im Fernsehen Genüge zu tun, wenn sie weiterhin aus schmalen Fenstern scheu in die Welt hinaussehen, dann kann das Land, der Staat, die Regierung ihre Friedensaufgabe nicht erfüllen. Man kann aber auch nicht — und das betrifft jeden einzelnen von uns — in der Welt für den Frieden sein, bei sich zu Hause aber, für den Hausgebrauch sozusagen, die kleinen Bestien des Hasses, der Verleumdung, des Neides und der Mißgunst, der Herzenskälte und der Gleichgültigkeit züchten. Man kann nicht nach außen hin vom Frieden reden, wenn man ihn nach innen verleugnet.

Ich habe einmal der österreichischen Jugend ein Wort gesagt, das ich hier wiederholen möchte: Hütet euch vor den Kämpfen der Väter, habt Achtung, habt Verständnis für ihre Auseinandersetzungen, aber wehrt euch, wenn sie euch in ihre

Kämpfe hineinziehen wollen. Es sind nicht eure Kämpfe. Ihr habt mit den Gespenstern der Vergangenheit nichts zu tun, ihr seid nicht schuld an den Zusammenbrüchen der österreichischen Geschichte. Versucht sie zu verstehen, aber nur um sie zu vermeiden, nicht um sie zu wiederholen.

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