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Wahlzettel oder Kugel

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Amerikas Neger haben dem neuen Präsidenten Nixon nur eine Atempause gestattet: das Rassenproblem bleibt Amerikas innenpolitisches Thema Nr. 1. Nach dem Tod des gemäßigten Martin Luther King haben sich die radikalen Negerführer in den Vordergrund gespielt. Ihr Symbol: der gleichfalls ermordete Malcolm X, dessen Reden zum schwarzen Evangelium wurden. Seine Ansichten über die Lösung der Integration legte er in einer Rede vor Negern in Cleveland dar:

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Amerikas Neger haben dem neuen Präsidenten Nixon nur eine Atempause gestattet: das Rassenproblem bleibt Amerikas innenpolitisches Thema Nr. 1. Nach dem Tod des gemäßigten Martin Luther King haben sich die radikalen Negerführer in den Vordergrund gespielt. Ihr Symbol: der gleichfalls ermordete Malcolm X, dessen Reden zum schwarzen Evangelium wurden. Seine Ansichten über die Lösung der Integration legte er in einer Rede vor Negern in Cleveland dar:

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„Ich bin kein Politiker, nicht einmal Student der Politik. Tatsächlich bin ich überhaupt nicht Student von irgend etwas. Ich bin kein Demokrat, ich bin kein Republikaner, und ich betrachte mich noch nicht einmal als Amerikaner. Wenn ihr und ich Amerikaner wären, gäbe es kein Problem. Diese Kerle, die gerade landen, die sind schon Amerikaner. Polacken sind schon Amerikaner; die italienischen Flüchtlinge sind schon Amerikaner. Alles, was aus Europa kam, jedes blauäugige Etwas, ist schon ein Amerikaner.

Und wie lange ihr und ich auch hier gewesen sind, wir sind noch keine Amerikaner.

Schön. Ich bin einer, der nicht davon hält, sich selbst zu betrügen. Am Tisch sitzen macht aus dir noch keinen Esser, solange du nicht von dem ißt, was auf dem Teller ist. Hier in Amerika sein, macht euch nicht zum Amerikaner. Hier in Amerika geboren sein, macht euch nicht zum Amerikaner. Denn wenn die Geburt euch zum Amerikaner machte, brauchtet ihr keine Gesetzgebung, brauchtet ihr keine Ergänzung der Verfassung, würdet ihr euch jetzt nicht den Bürgerrechts-Filibustern in Washington gegenüber sehen. Sie brauchen keine Bürgerrechts-Gesetzgebung, um einen Polacken zum Amerikaner zu machen.

Nein, ich bin kein Amerikaner. Ich bin einer von den 22 Millionen schwarzen Menschen, die Opfer des Amerikanismus sind. Einer von 22 Millionen schwarzer Menschen, die Opfer der Demokratie sind, die nichts als verkleidete Heuchelei ist. Ich stehe hier also nicht, um zu euch als Amerikaner oder als Patriot oder als Fahnengrüßer oder als Fahnenschwinger zu sprechen — nein, ich nicht. Ich spreche als Opfer des amerikanischen Systems. Und ich sehe Amerika mit den Augen des Opfers. loh sehe gar keinen amerikanischen Traum; ich sehe einen amerikanischen Alptraum. Diese 22 Millionen Opfer erwachen. Ihre Augen gehen auf. Sie beginnen zu sehen, was sie bisher nur angeschaut haben. Sie werden politisch reif. Sie erkennen die neuen politischen Trends von einer Küste zur andern.

Und nun seht ihr euch einer Situation gegenüber, wo die jungen Neger aktiv werden. Sie wollen dieses Zeug nicht hören: „Haltet die andere Backe hin!“ Nein. In Jacksonville waren es Teenager, die Molotow-Cocktails geworfen haben. Niemals zuvor haben Neger so etwas getan. Aber es zeigt euch, daß ein neuer Trend kommt. Neues Denken kommt auf, eine neue Strategie. In diesem Monat werden es Molotow-Cocktails sein, im nächsten Handgranaten und wieder etwas anderes im nächsten Monat. Es werden Wahlzettel sein, oder es werden Kugeln sein.

Wenn immer ihr gegen Rassentrennung demonstriert, sei es die in der Erziehung, sei es die im Wohnungswesen oder sonstwo, ist das Gesetz auf eurer Seite, und jeder, der euch dabei im Weg steht, ist nicht länger mehr auf der Seite des Gesetzes. Sie brechen das Gesetz, sie sind keine Vertreter des Gesetzes. Jedesmal, wenn ihr gegen Rassentrennung demonstriert und ein Mann die Kühnheit hat, einen Polizeihund auf euch zu hetzen, tötet den Hund, tötet ihn, ich sage euch, tötet ihn. Ich sage es, und wenn sie mich morgen ins Gefängnis werfen: — tötet jenen — Hund! Dann werdet ihr die Sache stoppen. Schließlich muß ich noch etwas zur großen Kontroverse über Gewehre und Schußwaffen sagen. Das einzige, was ich je gesagt habe, ist dies: daß in Gegenden, wo sich die Regierung entweder als unwillig oder unfähig erwiesen hat, das Leben und Eigentum von Negern zu verteidigen, es für die Neger an der Zeit ist, sich selbst zu verteidigen. Artikel 2 der Verfassungsergänzung gewährt euch und mir das Recht, ein Gewehr oder eine Schußwaffe zu besitzen. Es ist verfassungsmäßig legal, ein Gewehr oder eine Schußwaffe zu besitzen. Das heißt nicht, daß ihr ein Gewehr nehmen, Bataillone bilden und nach Weißen Ausschau halten sollt, obgleich das euer Recht wäre. Ich meine, daß das gerechtfertigt wäre. Aber es wäre illegal, und wir tun nichts Illegales. Wenn der weiße Mann nicht will, daß der schwarze Mann Gewehre und Schußwaffen kauft, dann soll die Regierung diese Arbeit übernehmen. Das ist alles.“.

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