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Ein stetig Zerrissener zwischen Konservativismus und Moderne

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Als Streiter für die österreichische Literatur, macht er bereits seit 1 M.mehr als dreieihnhalb Jahrzehnten von sich reden, als Romancier hat fer lange auf sich warten lassen. 1972, als Alfred Kolleritsch seinen ersten Roman „Die Pfirsichtöter" veröffentlichte, konnte er bereits auf zwei Dezennien zurückblicken, in denen er die österreichische Literaturgeschichte nachhaltig geprägt hatte. In seinen zwei Funktionen, einerseits als Leiter des Forum Stadtpark in Graz und andererseits als Herausgeber der Literaturzeitschrift „manuskripte" ließ der ehemalige Mittelschullehrer keine Möglichkeit ungeachtet, die österreichische Literatur zu fördern und besonders jene Literatur einer Öffentlichkeit näher zu bringen, die er für förderungswürdig befand. Daß sich Alfred Kolleritsch bei seiner Wahl kaum täuschte, beweisen Autoren und Autorinnen wie Wolfgang Bauer, Elfriede Jelinek und Peter Handke. Sie sind nur eine kleine Auswahl jener Schreibenden, denen die „manuskripte" ein wichtiges Forum für die Veröffentlichung ihrer ersten Texte waren und sind. In einem Gespräch teilte Alfred Kolleritsch mit, was das Forum Stadtpark und die „manuskripte" für ihn bedeuteten: „Ich nehme es als Beweis dafür, wie sehr die Möglichkeiten, die jemandem geboten werden, die Bedingung für seine Verwirklichung sind. Eine solche Möglichkeit ist das Forum dann für mich und andere gewesen!" 1995 hat Alfred Kolleritsch sein Amt als Leiter des Forum Stadtpark zurückgelegt, als Herausgeber der „manuskrpte" nimmt er, nach wie vor, eine der wichtigsten Positionen in der Vermittlung junger Literatur ein.

„Ästhetisch heißt die einzige Abgrenzung Qualität." Was für die Auswahl der Texte für seine Literaturzeitschrift seit deren erster Nummer im November 1960 gegolten hat, ist auch für sein Schreiben ein unumstößliches Gesetz, an dem Kolleritsch auch mit seinem jüngsten Roman „Der letzte Österreicher" eisern festhält.

Der Held, ein in seiner Kunst und in seinem Anpruch, das Österreichische zu definieren, gescheiterter Maler, ist „ein Österreicher, der litt, daß er aus Eigenschaften und aus keiner nennbaren Substanz lebte". Geboren im Wien der Jahrhundertwende, durchwandert der Maler die Geschichte Österreichs von der Monarchie bis zur Zweiten Republik und versucht, das Österreichische im Spiegel der Geschichte zu entdecken. „Er erlitt das Ende des Österreichischen, und er erlitt es als Ende der Kultur. Österreich, das war für ihn ein komplizierter Komplex."

Ausgehend von seinem Krankenbett blickt der Maler auf sein Leben zurück: „Hier vom Krankenbett aus krochen die Verhinderungen zurück in ihren Anfang. Die Querschläger in die Augenblicke des Lichts schwollen zur Verneinung der ganzen Welt an. Die schuldigen Augen schmerzten; sie suchten das verlorene Leben in Gestalten." Das einzige, woran er stets festgehalten hat, ist der Katholizismus, zwischen konservativ und aufgeschlossen, zwischen reaktionär und modern fühlt er sich als Zerrissener, ähnlich einer seiner Leitfiguren aus Nestroys Stück: „ Mein Gemüt is zerrissen, da ist alles zerstückt, Und ein z'rissenes Gemüt wird ein' nirgends geflickt." Auf seinem Kachelofen hatte er seine Lieblingsfiguren und seine Freunde festgehalten. Der Zerrissene war geblieben, doch die Freunde hatte er später wieder aus den Kacheln herausgemeißelt. Auf seinem Krankenlager rechnet er schließlich mit ihnen ab, denn sie waren „verblendet von Ideologie."

Eine Kachel war ihm gleichsam sein „größtes Fenster, das zugleich das blindeste ist, ist der Blick durch den Doppeladler hinaus in den Zustand seiner Heimat".

Daß dies bei Kolleritsch naturgemäß ein philosophischer Blick ist, macht diesen Roman umso lesenswerter. Denn Kolleritsch lauert nicht mit einem philosophischen Hammer jeder Geschichte auf, die, mit Thomas Bernhard gesprochen, sich hinter einem Prosahügel hervorwagt, sondern läßt drei springende Punkte aufhüpfen, an denen sein Held die Logik der Kunst erklären wollte.

Rückblenden zeigen den Protagonisten als sehnsüchtig Gläubigen in Venedig, als Maler in Paris, der auf seiner letzten Reise sein Bild nicht mehr malen kann, als glühenden Verfechter seines Österreichs, als Sohn, der am Protest gegen seinen Vater scheiterte. Denn die erste unüberwindliche Hürde sah er in der „hohen Schwelle" in der Gestalt seines Vaters. „Es wird bald soweit sein, dann hast du etwas für dein ganzes Leben, dein Bild", sagt der Vater zu seinem Sohn Gottfried in Kolleritschs Roman „Die grüne Seite". Die „Urangst, daß das Leben im Bild endet", ist in der Tat ein schlechter Ausgangspunkt für eine erfolgreiche Künstlerlaufbahn ... „Als Positivist, der er trotz seiner Gläubigkeit sei, habe er den Schein als ein Durchleuchten geliebt ... Die Nazis hätten den Schein zerstört und an seine Stelle die Diktatur des Wahren, Guten und Schönen gesetzt, das Endgültige. Deshalb habe er solange an diesen Wörtern gelitten und was sie meinten, in der Welt gesucht." Nach 1945 hatte er geglaubt, in Österreich einen Umschwung mit seiner Kunst hervorrufen zu können. „Als Missionar" wollte er „die Moderne und Österreich aufeinanderprallen lassen". Er wollte seinen Glauben „mit der Kunst zum Leuchten bringen", er wollte die Traditionen mit neuen Inhalten füllen. „Aber mehr, als daß man für den Geist leben soll, brachte er nicht heraus, in stundenlangen Reden und Schreien nicht". Seine „Mitösterreicher" betrieben indessen den Ausverkauf von Österreich: die Tradition wurde den Reaktionären überlassen. „Für sie war das Neue die Erneuerung des Falsch verstandenen Alten, die Erneuerung nur Anpassung an den Zeitgeist. "Daran konnte er auch nichts ändern, indem er für ein österreichisches Selbstbewußtsein eintrat, denn, „daß sich die Deutschen und die Österreicher ähnlich seien, hielt er für die Urlüge, an der sein Land zugrundegegangen sei."

Gehör findet der Maler einzig bei seinem geheimen Freund, der als ständiger Begleiter das Leben des Malers dokumentiert hat. Dessen Aufzeichnungen und die protokollarische Mitschrift der Nachtschwester am Sterbebett des Malers zwingen den Leser gleichsam, alles Gesagte noch einmal zu überdenken, wie es auch im Roman einmal heißt: „Mit dem Pinsel protestierte er gegen den schreibenden Vater, der der Erstarrung seiner Gedanken in der Schrift ausgeliefert war, protestierte er gegen die das Gespäch versteinernde Schrift, die zwang nachzudenken, worauf sie sich beziehe".

Alfred Kolleritsch, der vor kurzem seinen 65. Geburtstag feierte, zwingt auch mit diesem Roman, über das Österreichische wieder einmal nachzudenken.

DER LETZTE ÖSTERREICHER

Von Affred Kolleritsch

Residenz Verlag, Salzburger und Wien

1995, 96 Seiten, geb., öS 228,-

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