Einblicke, Durchblicke, Augenblicke, Anblicke

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Der steirische Lyriker Alfred Kolleritsch sondiert im neuen Gedichtband Täler des Lebens.

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Der steirische Lyriker Alfred Kolleritsch sondiert im neuen Gedichtband Täler des Lebens.

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Große Themen schlägt Alfred Kolleritsch in seinem neuen Gedichtband an. Die Tälerseiner lyrischen Welt, in denen es sich jedenfalls nicht von Gänseblümchenromantik und saftigen Wiesen samt bemoosten Heustadln träumen läßt, säumen existentielle Grundstimmungen. Hier geht es um atmosphärische Annäherungen an Liebe, Trauer, Tod, um den Topos der Vergänglichkeit; Erfahrungen, die kunstvoll zu poetischen Reliefs gemeißelt werden. Geglücktes Reifen ruft das Erzählen des Todes auf den Plan, die Grenzwanderung des Herbstes, der "die Fülle ist", Reifes zeigen und verschwinden läßt: "Überall Überschwang, was sich ins Ende / bewegt, trägt den Widerglanz der Maske." "Eichenmordend, blutverloren" wetzt die Zeit am Bewußtsein, "hellblaue Adern / verkriechen sich im Schläfenschweiß". Nichts vermag die untrügliche Ahnung aufzuhalten - im Bild des Verlassenseins -, wenn der Nachtwind den Tod begleitet. Natürlich bewegt sich Kolleritsch, was sprachliche Fügungen betrifft, auf poetischem Neuland, auch trägt es einen dezent philosophischen Anstrich. Ihre Kraft beziehen diese Gedichte aus dem feinsinnigen Zusammenspiel von lyrischer Intensität und einem klaren Blick auf das Dasein.

Tief eingesenkt in diesen poetischen Kosmos sind Eindrücke aus dem persönlichen Lebensumfeld: Landschaft, Natur, Wein, Begegnungen, Reisesouvenirs. Dazu gesellen sich Einblicke, Durchblicke, Augenblicke, Anblicke. Das Schreiben zeigt sich als Ineinandergleiten von Erinnerung und Reflexion, als metaphorischer Kommentar zu einzelnen Lebenskontexten. Und nebenbei gewinnt auch das Unscheinbare Raum: "Stachelblumen / zerreißen den Sonnenstrahl, / sind wie Lippen / ein wenig aufgeworfen, / kußbereit für den nächsten / lösen sie das Rätsel, das Grab." Lakonisch hingesetzte Sätze, wie "Vergessen befreit das Erinnern", klingen fundamental einfach, besitzen aber fast aphoristische Qualität.

In einigen Gedichten fallen bekannte Namen auf; neben Widmungen für Peter Horst Neumann oder Hartmut Urban würdigt der Autor in einer "Geheimsprache" den "Lehrmeister" H.C. Artmann: "Wie immer, du warst die Nähe / der Poesie, der Flug / der Wörter ins Weite. / Gewahrend und sanft ist der Meister der Formen / für die Jüngeren der Jüngere." Dem jung verstorbenen Autor Werner Schwab, dessen "aufgereckte Größe zu früh in Fäulnis umschlug", ist gemäß seinem Leben ein Fragment zugedacht; es spinnt einen Faden von Schwabs Arbeitsthemen zum vorzeitigen Tod.

Im Schlußgedicht leuchtet Kolleritsch Erinnerungen aus, die sich an Vergangenheitsbewältigung und Schuld knüpfen. Auf dem Prüfstand steht der universitäre Sumpf der Nachkriegszeit. Damals fährt man mit der Tagesordnung fort, tut, als ob nichts gewesen wäre. "Selbstkritik" zeigt sich als unumstrittenes Tabu, während hinter der Strenge der "sich selbst Bewahrenden" Beliebigkeit und Willkür herrschen. Keiner reißt Löcher in das Schweigen: "Schamlose / Täter der Kriegsjahre, / Vorbereiter seit langem, Bodenboten / erdrosselten das Ungefragte, besetzten / die Gegenwart, gleichgeblieben / auf dem Bewahrungsgalgen." Kolleritsch konstatiert "Jahre entzogener Zukunft", in denen man als "Zimmerknechte der Geschichte" fungierte, zum "Erinnerungsspender" degradiert, bloß "Wiederholer voll Scham", Bedeutungsverkrüppler. Die Analyse setzt aber auch an, kritisch nachzubohren und nach Eigenverantwortlichkeit zu fragen. Kolleritsch, der Herausgeber der Literaturzeitschrift "manuskripte", prägte Österreichs Avantgardeliteratur entscheidend mit. Schon immer ging er als Autor konsequent seinen Weg. In seiner Lyrik vitalisiert er situative Befindlichkeiten, in denen man einer Weite des Blicks begegnet. Das Weiterdenken der Schleife des Alltäglichen treibt neue Blüten hervor. So wie hier, in den wenigen Zeilen seines Gedichtes "Bis ans Ende", wo es heißt: "Würde einer / die Melodie dazu / erfinden, / dem Gesagten / eine Wunde schneiden, / klingend / das Schöne tief ins Ohr / der Freunde schnitzen, / wie fremd ließe / es sich / genießen."

In den Tälern der Welt. Gedichte von Alfred Kolleritsch. Residenz Verlag, Salzburg 1999. 96 Seiten, geb., öS 278,-/e 20,20

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