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Leider nicht vermeidbar

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Der Petrarca-Preis hat so etwas wie ein exotisches Flair unter den deutschen Literaturpreisen. Ein „sinnlicher“ Nobelpreis, der mit einem Poetenausflug nach Italien verbunden ist, der Heimat des flammenden italienischen Lyrikers Petrarca (heuer war es die toscanische Stadt Siena), mit sogenanntem gemütlichen Beisammensein der Göttlichen.

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Der Petrarca-Preis hat so etwas wie ein exotisches Flair unter den deutschen Literaturpreisen. Ein „sinnlicher“ Nobelpreis, der mit einem Poetenausflug nach Italien verbunden ist, der Heimat des flammenden italienischen Lyrikers Petrarca (heuer war es die toscanische Stadt Siena), mit sogenanntem gemütlichen Beisammensein der Göttlichen.

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Da halten Innerlichkeitsapostel wie Peter Handke lange Lobreden, in denen sie allerdings mehr über sich und ihr eigenes Gewicht sprechen als über das Glück und die Qualität des zu Lobenden (vielleicht ist ihnen dies bei Kolleritsch auch allzu schwer gefallen), da quält sich der immer fröhliche Urs Widmer seine dünnen Witze von den dichterischen Lippen, da singen

und trinken deutsche Uber-Poeten das lange Lied der Poesie. Und Kolleritsch durfte kassieren, den gut dotierten Petrarca-Preis. Doch solch schnöde materielle Werte laufen anscheinend nur ganz nebenbei.

Heuer war also Alfred Kolleritsch, Chef der „Manuskripte“ und des Forum Stadtpark, wichtiges Mitglied der Grazer Gruppe, Grazer Kulturtau-

sendsassa, von Beruf eigentlich Lehrer und dann auch noch Romancier und Lyriker, der Auserkorene. Vielleicht wollte man ihm auch nur für seine unermüdliche Organisationsarbeit während des Steirisches Herbstes danken, für seine zahlreichen Veranstaltungen, für seine Bemühungen, die „Manuskripte“ zu einer Zeitschrift europäischen Ranges auszubauen. Das sind sicherlich Verdienste, die gar nicht genug gewürdigt werden können.

Den Preis bekommen hat er offiziell für seinen Gedichtband „Einübung in das Vermeidbare“. Für den Rezensenten bedeutet das Werk eher eine Einübung in das Unvermeidbare, einen Petrarca-Preisträger muß man halt einfach besprechen, will man dem literarischen Informationsanspruch einer Zeitung genügen. So macht man sich halt an die Aufgabe, Kolleritschens Gedichte zu besprechen und stößt schon beim zweiten auf den äußerst gewichtigen Satz: „Seither ist alles anders. Ich ging einen Schritt über mich hinaus“. Das hat Kolleritsch zweifellos getan, es fragt sich nur, ob dieser Schritt hinaus nicht ein Schritt ins Leere war.

Innerlichkeitsfetischisten haben so die Angewohnheit, ihren gespielten Narzißmus und damit sich selbst zu einem Kunstwerk hochzustilisieren, selbst zur Inkarnation ihres papierenen Weltschmerzes zu werden. Die Brüche der eigenen Spiegelvergangenheit sublimieren sie in neuen Spiegeln des eigenen Selbst. Darunter leidet die Sprache, die zu einer unkritischen, ungeformten Entäußerung der armen verwirrten Seele des Herrn Kolleritsch vorkommt. Da gibt es dann eine „Todessprache“, eine „Angstsprache“, eine „Todesanzeigensprache“, eine Sprache des Erzitterns, des Erschreckens. Werden klischierte Begriffe verfremdet, um dann wieder in Klischees zu erstarren, weil die Verfremdung schon von anderen, genialeren Poeten kassiert worden sind.

Da macht jemand den Eindruck, mit entwaffnender Ehrlichkeit seine Geschichte aufarbeiten zu wollen, sich in Frage zu stellen, sich als Spiegel der gesellschaftlichen Wirklichkeit einem Publikum präsentieren zu wollen und kaschiert dabei nur seine eigene lyrische Impotenz. Da bemitleidet sich einer mit Plattitüden wie „Ich habe ein Haus und bin eingemauert, ich habe ein Bild an der Wand und einen Schnitt durch das Stammhirn“ und glaubt noch, damit einen originären lyrischen Stil gefunden zu haben. Scheinkritik und Scheinsprachkritik, wohin man liest. Ein Poet will Sprache werden und stilisiert sich zur lieblichen Kitschfigur. Zu einem Innerlichkeitsgartenzwerg. Es fehlt nur noch der Fliegenpilz als Illustration der Gedichte.

Es ist doch ein interessantes Phänomen, wie hier ein Verlag seit Jahren schon einen Modernismus in schicke Buchdeckel preßt, einen Starkult aufbaut, der nur mehr sich selbst rezipieren kann. Leerformeln für die Leseschickeria.

„Ohne Ankunft bin ich angekommen“ heißt es einmal und das klingt auf den ersten Blick ungeheuer traurig, tiefschürfend, genial paradox. Nur, die bewußte Verwendung von Paradoxa gibt es schon lange in der Literatur. Alte Hüte geschickt aufzuwärmen, genügt einfach nicht. Zumindest nicht für den Petrarca-Preis. Vorgetäuschter Tiefgang zur Kaschierung einer Aussagearmut mag ganz reizvoll sein. Zeichen von Qualität ist es nicht.

„Wenn wir eine Wahrheit für eine andere verlieren“, heißt es einmal, und es müßte eigentlich heißen: Wenn wir eine Lüge gegen eine andere austauschen. Denn die Wahrheit des Alfred Kolleritsch ist die eines sich hoffnungslos in sich verliebt habenden Narzißten, der nicht bemerkt, daß sein Narzißmus nur ein verdrängter ist, dem Zwang entspringt, sich verlieben zu müssen. Da wird Kolleritsch zum Opfer einer Ideologie, deren Geburtshelfer er als potentes Mitglied der Grazer Autoren ist. In Kolleritsch wird die Tragik der Mediokrität, die sich permanent belügt, noch einmal klar. Die Armut der Sprache, die Armut einer Sinnlichkeit, die keinen Ausweg mehr weiß.

Wenn Kolleritsch immer wieder das Ende, den Tod, die Ausweglosigkeit in seinen Gedichten formulieren will, wenn er sich an einer gespielten Morbidität erfreut und an der Selbstzerstörung, die nichts anderes ist als mit sich ringende Eitelkeit.

Hier wird Lyrik zur Klischeefabrik, zum Niedergang von Sinnlichkeit und

Sprachkritik. Hier wird Lyrik zu einer schlechten Selbstbeweihräucherung.

EINÜBUNG IN DAS VERMEIDBARE, Gedichte von Alfred Kolleritsch, Residenz-Verlag, Salzburg 1978, 156 Seiten, öS 115,-.

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