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Vom wahren Kern eines Märchens

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In Deutschland und in der Schweiz hört man allenthalben Leute einander ein Märchen erzählen. Es geht ungefähr so:

„Irgendwo in Österreich, da gibt es ein Land, das heißt die Steiermark. Und irgendwo in der Steiermark, da gibt es eine Hauptstadt, die heißt Graz. Und irgendwo in dieser Hauptstadt gibt es einen Park, der heißt Stadtpark. Und irgendwo in diesem Stadtpark gibt es ein altes Kaffeehaus, das junge Künstler zu einem Zentrum der Gegenwartskunst ausgebaut haben.”

Und dann schauen die, die dieses Märchen erzählen, und die, die dieses Märchen hören, versonnen ins Leere. Und vor ihnen ersteht eine Traumlandschaft, in der Peter Handke, in der einen rosenumrankten Laube, und Wolfgang Bauer in einer anderen sitzen, sinnen und dichten, bis Alfred Kolleritsch kommt und ihnen mit bewunderndem Blick das, was sie geschrieben haben, abnimmt und zu einem neuen „manuskripte”-Band vereinigt.

Doch die, die dieses Märchen erzählen, vergessen auf das, womit jedes Märchen eigentlich beginnt, auf die wehmütig stimmende, melancholische Formel, „Es war einmal”. Und tatsächlich sind die, deretwegen man sich dieses Märchen immer noch erzählt, längst schon ausgeschwärmt und kehren nur noch selten als staunend bewunderte Gäste zurück in die Starthalle ihres späteren Erfolges.

Ebenso wie die, welche vor nun schon bald zwanzig Jahren in den heroischen Gründungszeiten des Forum Stadtpark dem schwanken Kahn der Gegenwartskunst in den bedrohlichen Wogen des öffentlichen Mißtrauens als Gailionsfiguren dienten, selbständig zu anderen Ufern gelangt sind.

Emil Breisach, der sich als organisatorisch brillanter erster Vorsitzender des Forum Stadtpark zweifellos für seine Karriere als Intendant des steirischen ORF-Studios und rühriger Direktor des „Steirischen Herbstes”, über den noch zu sprechen sein wird, die einschlägigen Erfahrungen- und die nötige Prominenz erworben hat, hat seine Regentschaft niedergelegt.

Grete Scheuer, die Romanautorin, Lyrikerin und Journalistin, der das Forum Stadtpark ebenso wie dem Maler Günther Waldorf, der nach Emil Breisach für einige Jahre den Vorsitz übernommen hatte, die ersten aufopferungsvollen Vorarbeiten dankt, wurde zwar zur Ehrenpräsidentin ernannt, ihre künstlerische Tätigkeit entfaltet sie jedoch außerhalb des von ihr mitbegründeten Musentempels.

Und Alfred Kolleritsch, der das Forum Stadtpark gegenwärtig regiert, tut dies, fürsorglich und engagiert zwar, mit einer Hand, weil er die andere zur Redaktion seiner „manuskri- pite” braucht, jener Literaturzeitschrift, der Graz und sein Forum eigentlich seinen Ruf als Literatennest oder - wie mein auch hören kann und es vor allem in Graz gerne hört - Hauptstadt der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur dankt.

Alois Hergouth schließlich, der sensible Lyriker, dessen Name mit der Gründung des Forum Stadtpark sowie mit der Konzeption der ersten „manuskripte”-Nummem untrennbar verbunden bleibt, führt eingesponnen in sein fern aller aufflammenden und wieder abkommenden literarischen Stildebatten als wissenschaftlicher Oberrat am Institut für Volkskunde an der Grazer Universität und lieber noch auf seinem Weingut in Slowenien seine monolithische Eigenexistenz.

Wie, so wird man nun mit Fug fragen, ist es gekommen, daß sich gerade in Graz ein solcher Schub an Neuem ereignen konnte, und wie, so wird man weiter fragen, ist es möglich, daß ein solcher Schub die internationale Meinung sowie das lokale Schaffen und das lokale kulturpolitische Bewußtsein so anhaltend beeinflussen konnte?

Die zweite Frage beantwortet Thomas Mann schon in seinen „Buddenbrooks”, wenn er von Sternen spricht, deren Licht wir noch sehen, obwohl sie längst schon verloschen sind.

Die erste Frage beantwortet möglicherweise eine historische Überlegung.

Immer wieder bewahrheitet es sich, daß kein Verbot des tausendjährigen

Reiches von der Mehrzahl der Betroffenen so bereitwillig eingehalten wurde, wie jenes, das sich gegen die angeblich destruktiv wirkende, „verjudete Gegenwartskunst”-von damals gerichtet hat. Und die Tränen, die um die damals verbrannten Bücher vergossen wurden, waren die am wenigsten heißen. Kam dieses Verbot doch, seien wir nur ehrlich, jener latenten Trägheit des Publikums, sich Neuem zu stellen, sehr entgegen, lieferte sozusagen für diese Trägheit noch den ideelen Überbau. So war es auch nicht weiter verwunderlich, daß dieses Verbot, auch dann noch, als die tausend Jahre des Nazi-Reiches längst schon zu Ende gegangen waren, immer noch in einer Art von Gewöhnungseffekt stillschweigend eingehalten wurde.

Dies führte zu einer verhehrenden Verlängerung des bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges in der Steiermark ebenso wie anderswo unterbundenen Informationsflusses über die aktuellen Entwicklungen auf allen Gebieten der Gegenwartskunst.

Sowohl die zweite Hälfte der vierziger Jahre, in der dieser Informationsfluß anderswo wieder klaglos zu funktionieren begann, ja, seitens der Öffentlichkeit bewußt belebt wurde, wie auch die erste Hälfte der fünfziger Jahre brachte für Graz und für die Steiermark ein in der Hauptsache historisch orientiertes, fast ausschließlich sich an Bewährtes und Bekanntes haltendes Kulturleben, in das hinein punktuelle Anschlußversuche an die Gegenwart wie Bombeneinschläge erfolgten und seitens des Publikums auch empört als solche empfunden wurden.

In den sechziger Jahren noch zog die Aufführung von Bert Brechts „Drei- groschenoper” hitzige Debatten nach sich und B rendan Behans „Die Geisel” schließlich hatte einen Theaterskandal mit protrahierter Wirkungsdauer zur Folge. Heinz Gerstinger, gegenwärtig Dramaturg am Volkstheater, damals Chefdramaturg der Vereinigten Büh- pęn Graz, stand im Kugelregen der nicht enden wollenden empörten Wortmeldungen in zahllosen Diskussionen und Pressekommentaren.

Der kleine Kreis der Modernen von damals, unter ihnen auch der Gra- phik-Biennale-Macher und Akademielehrer Mario Decleva, traf sich informell und schwang sich nur hin und wieder im kargen Rahmen des Grazer Heimatsaales zu von drückender Geldnot gezeichneten und vom Publikum so gut wie gar nicht zur Kenntnis genommenen literarisch-musikalischen Mischveranstaltungen auf.

Kein Wunder, daß ein solcher durch Trägheitsmomente verschiedenster Ursache bewirkter geistiger Belagerungszustand auf der Seite der Bedrängten Energien staute und provozierte, die sich schließlich in jener nur unter größten Schwierigkeiten und aufopferungsvoller - auch manueller- Arbeit möglichen Gründung des Forum Stadtpark entluden.

Synchron mit dieser die breite Öffentlichkeit ebenso wie etablierte Kunstauguren vor den Kopf stoßenden Neugründung erfolgte dann auch der schlagartige Auftritt jener erfolgsträchtigen Gestalten und Leitbilder, wie sie das Forum in Peter Handke, Wolfgang Bauer und auch Alfred Kolleritsch gefunden hat.

Warum dieser Aufbruch vorwiegend nur auf literarischen, nicht aber auch auf musikalischem Gebiet und nur bedingt und lange nicht mit diesem internationalen Echo auf dem Sektor der bildenden Kunst erfolgte, ist schwer zu begründen. Möglich, daß einer der Gründe im nicht vorhandenen finanziellen Aufwand zu suchen ist, der für die Aufrechterhaltung oder gar Installierung einer ersprießlichen Arbeit auf dem Gebiet der Gegenwartsmusik nötig wäre und der schließlich auch dem Bildhauer ebenso wie dem Maler seine Arbeit erst ermöglicht.

Literatur bleibt in Produktion und Reproduktion, sieht man vom Theater ab, immer noch die billigste Kunstgattung. Möglich aber auch, daß sich gerade in der Windstille der Novitäten, wie sie in den fünfziger Jahren in Graz geherrscht hat und aufrecht erhalten wurde, jene spontane und radikale stilistische Überzeugungskraft ausbilden konnte, mit der die frühen Werke von Peter Handke und Wolfgang Bauer zu ihren explosionsartigen Erfolgen kamen.

Und wie in allen Gruppierungen, so vollzog sich auch innerhalb des Forums der schlüssige Entwicklungsprozeß von spontaner Präsenz zu überlegter und fundierter Organisation.

Das Forum Stadtpark ist im Laufe der Jahre eine Institution geworden, eine Leuchtboje des öffentlichen Kunstbewußtseins, über die hinwegzusehen sich’ dank der immer noch vorhandenen Aktivitäten keiner leisten kann, der ernsthaft über steirische Gegenwartskunst reden will, und die in seinem Subventionsplan zu übergehen und zu übersehen sich ebenfalls kein Kulturpolitiker mehr leisten könnte und auch leistet. Wie jede künstlerische Gruppierung bekommt das Forum Stadtpark zwar weiterhin zu wenig, doch verglichen mit den Summen zur Zeit der Anfänge wohl schon ungleich mehr.

Doch spricht man heute in Österreich und gar in der Steiermark von Gegenwartskunst, so fallt nicht mehr allein der Name Forum Stadtpark, sondern auch der Begriff „Steirischer Herbst”, jene Veranstaltungsreihe also, die nun auch schon zehn Jahre alt wird, und in der eine Spiegelung der internationalen Kunsttendenzen und deren Konfrontation mit dem heimischen Schaffen versucht wird. Man rät richtig, wenn man annimmt, daß das Forum Stadtpark und der „Steirische Herbst” in gewissem Zusammenhang stehen.

Das Forum Stadtpark fungierte sozusagen als Keimzelle des Steirischen Herbstes, in der sich jenes Vorfeld an öffentlichem und privatem Interesse bilden konnte, ohne die eine Gründung einer so anspruchsvollen Kunstveranstaltung, als die der „Steirische Herbst” sich versteht und mancherorts auch verstanden wird, ganz unmöglich gewesen wäre.

Was den „Steirischen Herbst” und seine Gründung von den heroischen Zeiten des „Forum Stadtpark” unterscheidet, ist das Ausbleiben jener Flut von schöpferischen Leistungen, wie sie seinerzeit die Dämme der Ressentiments durchbrochen hat.

Vielleicht, weil man sich von Anfang an doch zu sehr auf schön Arriviertes festlegte, vielleicht einfach auch deshalb, weil der „Steirische Herbst” nicht wie Forum Stadtpark von produzierenden Künstlern, sondern von Fachleuten und Organisatoren gemacht wurde, ist diese Veranstaltungsreihe, mißt man nach internationaler Skala, folgenlos geblieben. Sieht man von Gerhard Roth - übrigens auch Forum-Stadtpark-Mitglied - ab, dessen Stück „Lichtenberg” vor drei Jahren beim „Steirischen Herbst” ur- aufgeführt wurde und der zwei weitere Stücke dem „Steirischen Herbst” zur Uraufführung überlassen hat, wäre schwer einer zu nennen, der über die Steiermark hinaus auch nur einigermaßen nachhaltig bekannt geworden wäre.

Der Voitsberger Eisenplastiker Gerhard Moswitzer, der heuer im „Steirischen Herbst” zu einer Personalausstellung eingeladen wurde, hat sich durch auswärtige und nicht durch in der Steiermark verbuchte Erfolge zu jener splendid isolation hochgearbeitet, in der er sich gegenwärtig fühlt.

Nicht wesentlich anders präsentiert sich die musikalische Szene, auf der, was neuere Kompositionstechniken anlangt, der nun auch schon fünfzigjährige aus Niederösterreich stammende Karl Haidmayer lange Jahre Alleinherrscher war. Neuerdings ist durch die Rückkehr von Gösta Neu- wirth in seine Heimatstadt Graz die Szene vielfältiger geworden. Vertritt Haidmayer eher den Typ des vitalen, musikantischen Allrounders, so schreibt Gösta Neuwirth stark introvertierte Werke, in denen intellektuelle Formanten den prägenden Ausschlag geben. Der Exil-Ungar Ivän Eröd schließlich bekennt sich ohne Zögern zu den Stilidealen, die auch in weiteren Kreisen als beim Fachpublikum kaum Erfolgschancen haben, und läßt sich für diese Erfolge gerne nachsagen, das, was er schreibt, sei zu wenig gegenwartsorientiert.

Doch bei allem regionalen Rang der Genannten und auch mancher Ungenannter, jene Raketenstarts von einst wurden vom „Steirischen Herbst” bisher nicht wiederholt. Vielleicht sind sie unwiederholbar. Vielleicht lassen sich Erfolge doch nicht programmieren.

Ganz sicher aber ist die Funktion des „Steirischen Herbstes” primär nicht in der Bewirkung solcher Erfolge zu suchen, sondern in der Vermittlung von Informationen. Und über diesen Umweg könnte es vielleicht auch wieder zu spektakulären künstlerischen Heimsiegen der steirischen Gegenwartskunst kommen. Sie hätten ihre Ursache nicht wie einst, in den Anfängen des- Forums, in einem besser un- wiederholt bleibenden Staueffekt unfreiwilliger Isolierung, sondern in einem durch harte Konfrontationen mit der internationalen Moderne gestähltem Wissen um die Gegenwart. Und diese Grundlage ist ohne Zweifel die aussichtsreichere. Für die Mündigkeit des Künstlers und des Publikums.

Und nur durch diese permanente Information könnte das Märchen von der Steiermark als Paradies der Gegenwartskunst Wirklichkeit werden.

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