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Auftakt in Graz

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Es gibt in der heutigen Zeit auf diesem Planeten kaum eine Stadt, ein Dorf, oder sonst einen Flecken, von dem sich nicht vorstellen ließe, daß er Schauplatz irgendeines Festivals oder einer sonstigen Reihe kultureller Veranstaltungen sein könnte. Entfernungen spielen keine Rolle mehr, Rundfunk und Fernsehen machend möglich, daß auch der, der Tausende Kilometer weit weg

wohnt, das jeweilige Programm, so es ihn interessiert, miterleben kann. Und man braucht nicht unbedingt ein Jules Vernes zu sein, um vorherzusehen, daß es nicht mehr allzu lange dauern muß, bis ein findiger Kopf das erste Kunstfestival im Weltraum — Space Art — abhält.

Diese Sätze nun für ironisch zu halten, hieße sie mißverstehen. Meiner Ansicht nach kann nicht in genug Städten, Dörfern, Flek- ken unserer Erde oft genug Kunst präsentiert werden. Und besser Kunst wird am falschen Ort, zur falschen Zeit vor dem falschen Publikum präsentiert als gar nicht.

Wie sinnvoll oder wie sinnlos ein neues Kunstfestival ist, hängt immer vom speziellen Fall ab. Wie bei allem, was die Kunst betrifft, so läßt sich auch im Hinblick auf

deren Präsentationsweise in Form von Festspielen oder festspielähnlichen Veranstaltungsreihen nur ganz wenig verallgemeinern. Auf alle Fälle jedoch so viel, daß auch schon länger oder lange bestehende Festspiele keineswegs unbedroht sind. Sie nämlich laufen Gefahr, zu degenerieren. Entweder durch eigene Schuld, wenn die Programme inhaltlich oder strukturell zu verkrusten beginnen. Oder auch schuldlos, nämlich dann, wenn, um Wilhelm Dilthey zu zitieren, der Weltgeist andere Inhalte, andere Formen als die von dem einen oder anderen Festival gepflegten für wesentlich erachtet.

Nun, im fünfzehnten Jahr seines Bestehens hat der „steirische herbst“ noch immer alle Chancen des Newcomers, des Greenhorns, da er, als einziges österreichisches Festival ausschließlich der Gegenwartskunst verpflichtet, seine Position und seine inhaltlichen Absichten alljährlich von neuem definieren muß. Er hat kein Werk, keinen Stil, keine Kunstgattung, dessen bzw. deren Pflege er sich alljährlich aus irgendwelchen

konzeptiven Gründen ganz besonders oder ausschließlich zu widmen hätte. Auch seitens der Öffentlichkeit gibt es diesbezüglich keinerlei eindeutig bestimmte Erwartungen. Dies ist möglicherweise der Grund für den überwiegend unsklerotisch gebliebenen Zustand der einzelnen „herbst“-Programme.

Andererseits jedoch ist die alljährlich notwendige Neukonzeption der einzelnen Programmteile auch eine Auflage. Wollte man es überspitzt formulieren, ließe sich sagen, beim „steirischen herbst“ müßten sich dessen Gestalter die Aufgaben, an denen sie dann womöglich scheitern, selbst stellen. Der Intendant des „steirischen herbstes“ muß allerdings ein Programm gestalten, von dessen Realisierung er zum überwiegenden Teil ausgeschlossen ist. Er verfügt nämlich über keinerlei künstlerische Institutionen, deren Programm er unmittelbar projektieren und gestalten könnte. Dies hat zur Folge, daß er ohne eine durch enge und um Einvernehmen bemühte Zusammenarbeit mit den regionalen Veranstaltungsorga

nisationen kein Programm realisieren kann.

Was auf den ersten Blick als schwere Behinderung der inhaltlichen Gestaltung der „herbst“- Programme anmuten mag, erweist sich in gewisser Hinsicht auch als Vorteil. Denn diese Barriere wird ihn gleichzeitig auch daran hinderndem Programm zu entwerfen, das neben der heimischen Szene beziehungslos herläuft, das nicht zumindest im organisatorischen und zwingend wohl auch im inhaltlichen dem Werden und dem Wesen des „steirischen herbstes“ Rechnung trägt. Ein „herbst“-Programm, das nicht zumindest in einem wesentlichen Teil von der heimischen Szene getragen und mitgestaltet wird, bedeutet eine Verletzung von dessen ursprünglicher Widmung.

Der Vollständigkeit halber sei hier noch ein Wort zu den Regionen gesagt, aus denen jene internationalen Beiträge in das Programm des „steirischen herbstes“ eingebracht werden sollen. Selbstverständlich gibt es grundsätzlich kein künstlerisches „Fi

schereigewässer“, innerhalb dessen der „herbst“ sein internationales Programmkontingent aufzuspüren hat. Wo ein künstlerisches Phänomen, dessen Präsentation innerhalb des „steirischen herbstes“ wesentlich scheint, auftaucht, von dort wird man es ohne Zögern holen. Andererseits lehren gerade Veranstaltungen,’ die ganz frei von jeder regionalen Präferenz agieren, daß, sofern es sich um Präsentationen aktueller Kunst handelt, im Programm Nieten und Treffer meist in einem ungefähr gleichbleibenden Verhältnis abwechseln. Daher scheint es nicht abwegig, wenn der „steirische herbst“ in Rückbesinnung auf die kulturgeographische Situation der Stadt Graz als Metropole des alten Tnneröster- reich, in der Erstellung seiner Programme die Region des nördlichen Italien und Jugoslawien wenn schon nicht immer berücksichtigt — so doch beobachtet.

Dieses Bekenntnis zu einer regional begrenzten kulturellen Zusammengehörigkeit, kann für den „steirischen herbst“ eine weitere Möglichkeit bedeuten, einer Gefahr zu begegnen, der der Gegenwartskunst verpflichtete Veranstaltungen in zunehmendem Maß ausgesetzt scheinen, nämlich der der beliebigen Austauschbarkeit ihrer Programme.

Der Autor ist Intendant des „steirischen herbstes“, sein Beitrag ist - gekürzt - der Zeitschrift „artmanagement“ entnommen.

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