"Wo es brennt in der Gesellschaft"

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Heute beginnt der steirische herbst. Die neue Intendantin Veronica-Kaup-Hasler nennt im FURCHE-Gespräch die Grundlinien ihres Programms. Sie glaubt an eine Kunst, die Erfahrung und Denken erweitert und Grenzen überschreitet. Der steirische herbst ist kein Gastspiel-Reigen, sondern ein Festival, das eigene Produktionen und Prozesse ermöglicht.

Die Furche: Frau Kaup-Hasler, am 21. September beginnt der steirische herbst 2006. Es ist das erste Festival Ihrer Intendanz, was machen Sie neu?

Veronica Kaup-Hasler: Ich sehe mich nicht als Neuerfinderin, die behauptet: Jetzt wird alles ganz neu. Mir ist ein Denken fremd, das alles, was davor war, für obsolet erklärt. Mir ist der Blick in die Vergangenheit wichtig, weil er mir gezeigt hat, wo der steirische herbst stark war. Da gab es viele Phasen, wo er besonders relevant war unter den verschiedenen Intendanzen, mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten. Bei Peter Oswald, meinem Vorgänger, lag die stärkste Setzung bestimmt im Musiktheaterbereich, bei Christine Frisinghelli bei der klugen Vernetzung von Kunst und Theorie. In der Geschichte des herbstes hat jeder seine Farbe, seine Handschrift hinterlassen. Für mich stellt sich die Frage: Was ist jetzt interessant, wo kann man heute an die Geschichte anknüpfen und was ist zu verstärken?

Die Furche: Schwerpunkte ergeben sich nicht aus der Vorliebe der Intendanten alleine, sondern auch aus der Situation der Kunst. Was ist da gegenwärtig angesagt? Es gelang dem herbst in der Vergangenheit immer wieder, den Blick auf Zukünftiges zu richten.

Kaup-Hasler: Die gesicherte erhöhte Position, von der aus man eine Übersicht über Entwicklungen und Tendenzen hätte, gibt es nicht, um die ringt man ein Leben lang. Die Kunstlandschaft ist ja heute extrem unübersichtlich. Trotzdem kann man immer Verdichtungsmomente erkennen. Vor ein paar Jahren war das ganz sicher die Beschäftigung mit dem Dokumentarischen oder die Betonung des Privaten als Werkfeld. Im Moment gibt es eine Tendenz zu performativeren Formen, die ein aktionistischeres Moment wieder stärker betonen. Das kann von bewegten Objekten bis hin zum Einbeziehen von Publikum gehen.

Die Furche: Wie kann ein Festival in einer so übereventisierten Gesellschaft überhaupt positioniert werden?

Kaup-Hasler: Da befinden wir uns heute in einer völlig anderen Situation als noch vor wenigen Jahren. Das Nachdenken über das Besondere, Eigene, der Druck, Neues zu erfinden, sind sehr viel größer geworden. Und da ragt der herbst auch international heraus als ein Festival der Produktion, das dezidiert dem Initiieren, dem Ermöglichen von neuen Arbeiten gewidmet und auch deshalb einzigartig, weil es multidisziplinär ist. Obwohl man ganz ohne Gastspiele nicht auskommt, muss das Produzieren und die Ermöglichung von Prozessen die Identität des herbstes ausmachen. Natürlich gibt es da Unsicherheitsmomente, weil vieles erst hier entsteht, und es wird auch da und dort eine Diskrepanz zwischen Realität und Intention geben. Natürlich habe ich Träume, die sich mit dem Programm verbinden.

Die Furche: Wenn man das Programmheft durchblättert, hat man das Gefühl, man kann in kein reines Konzert, in keine reine Ausstellung gehen, weil alles von allem etwas hat.

Kaup-Hasler: Ja und weil nichts rein ist in der Kunst. Das ist ja keine Erfindung von uns, sondern das ist so, weil halt so gearbeitet wird. Wir reagieren auf eine Realität im zeitgenössischen Kunstschaffen. Weil viele Dinge sich nicht mehr so eindeutig benennen lassen, sind die Grenzen fließend. Es wird immer wieder versucht, das Eigene genauer zu fassen und abzugrenzen, aber im Großen und Ganzen ist das Vermischte der zeitgenössische Ausdruck der Kunst. Mir ist auch nicht daran gelegen, den herbst in ein Theaterfestival zu verwandeln, nur weil ich einen Theater-Hintergrund habe. Es geht darum, in den verschiedensten Künsten Themen, die beispielsweise in der Wissenschaft relevant sind, zu bespiegeln.

Die Furche: An welche Themen denken Sie da?

Kaup-Hasler: Wir haben kein Motto für das Festival sondern vier Begriffe: "Kontrolle", "Kollaboration", "Teilhabe" und "Open Source". Diese Leitmotive resultieren aus Gesprächen mit Künstlern und Intellektuellen und sind Momente, die etwas verorten und aufzeigen, was zur Zeit auf vielen Ebenen in der Gesellschaft und in der Kunst im Fokus der Auseinandersetzung steht.

Die Furche: Sie haben einmal gesagt, Sie wollen dahin schauen "wo es brennt in der Gesellschaft". Was kann denn Kunst in dem Zusammenhang Besonderes leisten? Gibt es da etwas, was Kunst besser, anders oder auch ausschließlich vermag?

Kaup-Hasler: Wenn es da eine Vision von Kunst gibt, dann die, dass sie zu einem differenzierteren Denken beitragen kann. Gerade in einem Moment, wo auf der politischen Ebene die einfachen Antworten die Szene beherrschen, weil sehr schlecht damit umgegangen werden kann, auf bestimmte Probleme gar keine Antwort oder vielleicht nur Fragen zu haben. Da kann Kunst zu einem nochmaligen Hinschauen verleiten und so vielleicht zu einem veränderten Blick beitragen. Zudem kann sie den Blick auf das Randständige, das aus dem Blick gedrängte, auf das Vergessene lenken und schärfen.

Die Furche: Ist es aber nicht so, dass Kunst dort, wo es wirklich brennt, gar nicht hinkommt? Die Ausländer, die Opfer der Hetze sind, erreicht sie genauso wenig wie die Parteien, die diese Hetze betreiben, und die Arbeitslosen erreicht sie nicht ...

Kaup-Hasler: ... Ja, das ist natürlich trist und trotzdem, soll man aufhören? Nein, das ist die Position des deprimierten Zynikers, die letztendlich immer Recht zu haben scheint. Ich glaube aber, dass es den Funken der Hoffnung gibt, dass Kunst verführen kann, Menschen dazu bringen kann, differenzierter über die uns umgebende Wirklichkeit zu denken und den Erfahrungs-und Denkraum zu erweitern. In diesem Sinn ist Kunst absolut existenziell und gesellschaftlich notwendig.

Und in einer Zeit, wo alles nur unter einem ökonomischen Gesichtspunkt gesehen wird und wo es scheinbar gar keine anderen Werte gibt als die des Erfolges oder des Mithaltenkönnens, ist es meines Erachtens wichtig, dass es andere Institutionen gibt, die Werte bilden. Hier ist die Kunst ein wichtiger Faktor, indem sie dazu beiträgt, ein anderes Denken vom Menschen zu vermitteln und indem sie andere Gesellschaftsmodelle entwickelt, die sich abheben von der Vorstellung, dass Menschen vollkommen nach dem Vorbild der Ökonomie modellierbar sind.

Das Gespräch führten Patric Blaser und Cornelius Hell.

Das Festival als sozialer und utopischer Ort

Zu den vielen Talenten der neuen Intendantin des steirischen herbstes, Veronica Kaup-Hasler, gehört es, Menschen zusammenzuführen. Das zeigt sich einerseits in den vielen Partnerschaften des herbstes mit den lokalen Kunstinstitutionen und der Off-Szene, andererseits findet es seinen Ausdruck auch in der multidisziplinären Ausrichtung sowie schließlich in den Leitmotiven der ersten Ausgabe des Festivals: Offene Quellen, Teilhabe, Kollaboration, Kontrolle. Dementsprechend erhofft sich die Intendantin für ihr erstes Programm ein neugieriges, offenes Publikum, eines, das sich dem Neuen, dem Anderen, vielleicht Ungewohnten nicht verschließt, nicht voreingenommen ist, sondern sich zunächst einfach dem aussetzt und, wie sie sagt, "teilen möchte".

Veronica Kaup-Hasler versteht ihr Festival als sozialen und utopischen Ort, das auch Menschen erreichen möchte, die sonst nur zögerlich mit Kunst in Berührung kommen. Damit das gelingen kann, hat sie eigens ein Festivalzentrum errichten lassen, wo Menschen sehr unterschiedlicher Herkunft und Interessen sich begegnen, sich austauschen oder auch nicht. Im Festivalzentrum mischen sich Veranstaltungen der "hohen" Kunst mit Formaten, die eher den Unterhaltungswert im Vordergrund haben. Mit diesem Zusammenführen von Bereichen der Kunst und Nicht-Kunst verbindet sie die Hoffnung, dass dort vielleicht Kontamination stattfindet.

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