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Glück des Nicht-Verstehen-Müssens

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Die Lyrik des 72jährigen Innsbrucker Arztes Walter Schlorhaufer folgt dem zeitgemäßen Trend. In synästhetisch-semantischer Stell vertreung der Wirk-lichkeit erreicht die Sprache einen Schwebezustand zwischen Erinnern und Vergessen, zwischen vertraulicher Annäherung und verfremdender Abweisung, zwischen Aussage und deren Widerrufung. Wie die Erfolge Ingeborg Bachmanns und Paul Celans in dieser Stillage bewiesen haben, bedarf die technokratische Welt mit ihrer Verpflichtung, sich als verständlich und durchschaubar auszugeben auch einer Gegenwelt, welche die Freiheit und das Glück des „Nicht-Verstehen-Müssens" gewährt. Diesen Bedarf innerhalb einer intellektuell überanstrengten Gesellschaft deckt einerseits die Non-Sense-Literatur, andererseits eine das Absurde evozierende, zum Metaphysischen tendierende Lyrik.

Die Literaturwissenschaft bestätigt Walter Schlorhaufer, wie gründlich er Paul Celans Stil „gelernt" habe. Denn dieser assoziativ-begriffliche Seiltanz erfordert auch vom Avantgarde-Epigonen enorme Schulung, sollen sich Phantasie und Inspiration ungehemmt entfalten.

Ist also Walter Schlorhaufer der Sperling im Gefieder des Adlers oder der meisterliche Vollender einer Stillage? Wo die Schwebe zum wichtigsten ästhetischen Prinzip erhoben ist, sind eindeutige Antworten erschwert. Doch wird man darauf hinweisen können, daß der Arztberuf, die weitangelegte Lebenskadenz des Autors seinem Werk eine Vielfalt und zugleich Eindringlichkeit verbürgt, so daß es als Dokument einer Persönlichkeit bleibenden Anwert besitzt.

NARBENSAITEN. Von Walter Schlorhaufer. Haymon Verlag, Insbruck 1991. 91 Seiten, öS 148,-.

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