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Annäherung an eine Region

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Für den PEN-Präsidenten und Weltbürger Alexander Giese, bekannt geworden als Autor historischer Romane, ist das Innviertel zur (zweiten) Heimat geworden.

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Für den PEN-Präsidenten und Weltbürger Alexander Giese, bekannt geworden als Autor historischer Romane, ist das Innviertel zur (zweiten) Heimat geworden.

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Für einen Autor großer historischer Romane wie den Alexander Giese kann der eigene Schicksalsweg für sein Schaffen kaum stoffliches Material, sondern hauptsächlich geistige Anregung ein-bringen. Wenn auch im Marc Aurel - und im Severin-Roman sowie in dem Roman „Licht der Freiheit“ (1993) Wien beziehungsweise Niederösterreich Schauplatz der Handlung ist, so handelt es sich doch in allen drei Büchern um Ideen, welche die ganze damalige Welt umspannten: Der Untergang der pax romana und die Krise der Aufklärung in Europa, wie sie durch die Siege Napoleons vorangetrieben worden ist.

Nun erstmals ein dem Umfang nach kleineres Buch, gewidmet Alexander Gieses psychischem und topographischem Intimbereich: Der Wiener und Großstädter Giese, der sich zum Innviertler, also zum „Ober“- Osterreicher entwickelt, womit schon auf die „Ober“-Hand hingewiesen wird, welche das Innviertel allmählich in diesem Lebenslauf gewinnt, eine charmante Huldigung an Burgi Giese, die gebürtige Innviertlerin.

„Ich brauche nichts zu erfinden“, kommentiert Giese seine Geschichten. Und so ist es: Er muß sich weder selber erst finden noch erfinden, was ja derzeit zu den verbreiteten Literaturpraktiken zählt. Alexander Giese gibt in fünf von den sieben Piecen authentisches Dasein, was bei ihm aber immer ein Miteinandersein einschließt, ein Ineinandersein von Lebenden und Toten, eine Verflochtenheit diesseits und jenseits der Grenze zwischen dem behaglichen Wohngeist des Behaustseins und der unbehausten Angst, mit der die Gezeichneten des Jahrhunderts wo immer auch weiter leben müssen.

In zwei Geschichten („Eine Oster - geschichte“ und „Ein Mann, eher klein“) spiegelt es sich, wie in unserer Epoche Land und Stadt, bürgerliche Traditionen und großstädtische Libertinage ineinander bereits übergehen. In der Mitte dieser siebentei- ligep Annäherung an eine Region steht eine Meditation über den Begriff „Heimat“. Schon der Titel „Die Mitten der Welt“ signalisiert die Alexander Giese eigene Synthese von Skepsis und Herzlichkeit, von Di stanz und Unmittelbarkeit, mit welcher der Historiker eines der wichtigsten Gegenwartsprobleme angeht: die unabwendbare Globalisierung und die gegenläufige Regionalisierung. Nur wenn sich beide in einem systolisch-diastolischen Prozeß ergänzen, ist Harmonie möglich. Dann wird Heimat nicht zum Fetisch, sondern zur Mitte der jeweils subjektiven Welt, wobei immer mitbewußt bleibt, daß es deren viele gibt und also auch die Zahl der Mittelpunkte praktisch unbeschränkt ist.

Viel mehr als ein bloßer Buchschmuck sind die Illustrationen von Catherina Sattleder. Sie stellen ein Gleichgewicht her zwischen den Landschaftsbildern des etwas behäbigen Innviertels und den dramatischen Figurenkompositionen. Daß sich auch in der Abstraktion des Gesichts physiognomische Individuation überzeugend und zwingend entwickelt, zeigt den hohen Rang der Künstlerin.

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