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Faule Gärungsblasen aus dem Wohlstandspfuhl

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Elfriede Jelinek gehört zu jenen Individuen, welche sehr früh von Urkon-flikten des Daseins in solchem Maße erfaßt worden sind, daß ihnen ihre Kindheit - wie sie selber sagt - dämo-nisiert erscheint. Es ist eben nicht zu leugnen, daß Menschen in ihrem staat-1 ichen Prokrustesbett - dem Garanten ihrer Geborgenheit - oft um Hand, Kopf und Fuß gebracht werden. In der Praxis der Geschichte wird die Freiheit der einen oft mit der Gewalt an den anderen bezahlt.

Zu einer ganz eigenartigen Mischkulanz von unerläßlicher Notwendigkeit und mutwilliger Gewalt ist die Ökonomie geworden. In Anbetracht der vielen Quadratmeter reizvoller Hautoberfläche, die in der Werbung überall eingesetzt wird, hat Elfriede Jelinek recht, wenn sie diesen üblen Komplex von Intimität und geschäftsgeiler Entfremdung analysiert. Analysiert sie bloß?

Sie ist diejenige, die es auf sich nimmt, die Widersprüche der Gesellschaft an ihrem Körper selber auszutragen. Soweit ihr Selbstkommentar. Dieses substitutionelle heroische Opfer machte sie schon innerhalb der kommunistischen Partei und ihren entmythologisierenden Bestrebungen zum schwarzledemen Mythos.

So nebenbei erfahren wir auch, was zu dieser„Selbstauslöschung" alles notwendig ist: japanische Modedesigner, sehr gute Stoffe, die mit ganz billigen Secondhandsachen kombiniert werden können. Hat man es in dem bißchen Luxus so weit gebracht, interessiert einen an dem Hegeischen, Herrn-Knecht-Verhältnis nur noch, wie es sich in der Sprache ausdrückt, mögen auch primitive Gewerkschafter weiterhin auf die Lohntabelle und die Steuersätze starren.

Man kann ein solches Sammelwerk, das einen mit dem gesamten Schaffen cier Autorin zügig vertraut macht, nicht genug empfehlen. Vielleicht gehen dann dem einen oder dem anderen doch die Augen auf, welche faulen Gärungsblasen im Wohlstandspfuhl aufsteigen: „... mit der Kolonialisie-rung der DDR und anderer sozialistischer Länder ist ein riesiges Potential verloren gegangen. Auch wenn es sich für den einzelnen unmenschlich ausgewirkt hat" (Seite 16).

ELFRIEDE JELINEK. Herausgegeben von Kurt Bartsch und Günter Höfler. Droschl Verlas:, Graz 1991. 313 Seiten, öS 200,-.

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