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Goethe und der geistige Wandel

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Vorliegendes Buch mit dem warnenden Untertitel „Fast ein Roman" ist viel mehr, als ein Roman je zu bieten vermag. Sein Thema, Johann Wolfgang von Goethes Sommer- und Rerbstreise 1790 nach Schlesien, weitet sich allmählich von den Landschaftsimpressionen zu einer Epochengeschichte, da Schlesien damals wegweisend für die industrielle Revolution nicht nur Eu-

ropas, sondern der ganzen Welt geworden war.

In der rasch aufflammenden und unerfüllbar gebliebenen Liebe Goethes zu einer 21jährigen, sehr begüterten schlesischen Aristokratin glost auch bereits unterschwellig der Konflikt zwischen der nach politischem Einfluß strebenden Bürgerlichkeit und dem Ancien regime, der sich dann kurz nachher zum Europabrand ausweiten sollte.

Und wir müßten es nicht mit Goethe als Hauptgestalt des an faszinierenden Porträts reichen Buches zu tun haben, wenn nicht, dank der medialen Kraft des Dichters und des großartigen Vermittlers Heinz Piontek, in dieser einzigen Reise Goethes in den europäischen Osten zugleich auch der geistige Wandel spürbar würde: die westeuropäische Aufklärung versiegt in den weiten Räumen Schlesiens und Polens. Die Gegenströmung der Irrationalität gewinnt hier in Romantik und Chassidismus allmählich Kontur.

Exakte Dokumentation, tiefschürfender Essay und lyrisch beflügelte Eindringlichkeit der Landschafts- und Lebensstimmung, also anscheinend sehr heterogene Elemente, ergeben hier ein ebenso logisches wie organisch lebendiges Ganzes.

Der vorliegende Band ist damit aber auch noch etwas anderes: auf der modernen Mediensintflut ein Prototyp der Arche Noah. Denn das Buch ist das einzige „Medium", wo Vielfalt und Zielstrebigkeit zusammenfinden und das Uberleben des Geistes gewährleisten.

GOETHE UNTERWEGS IN SCHLESIEN. Fast ein Roman. Von Heinz Piontek Bergstadt Verlag, Würzburg 1993. 380 Seiten, öS 310,-.

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