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Die Lerchen des Nachbarn

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In der Anthologie „Der Lerchenturm” ist der Schichtwechsel innerhalb der tschechischen Literatur weitgehend vollzogen. An die Stelle der bisher, etwa durch das Lyrikertreffen in Münster 1984, als führend bezeichneten Lyriker (Florian, Pilar, Skala, Bousek und Sajner) sind andere getreten. Nur eine „eiserne Garde” bleibt, die noch im Prager Poetismus Wurzeln schlagen konnte und welcher die Rolle einer klassischen Moderne zukommt: Viteslav Nezval, Jaroslav Seifert und Vilem Zävada. Dabei kann es Nezval nichts mehr anhaben, daß er nicht nur Aufbauverse, sondern auch eine Ode auf Stalin fabriziert hat. Wer in Europa ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein...

Durch diesen Schichtwechsel kommen die Autoren ans Licht, die inmitten der gesellschaftsverändern-den Hektik und unbeeindruckt von den Illusionen des sozialistischen Realismus versuchen, einer Wirklichkeit ohne jeglichem soziologischen Gütesiegel stand zu halten. Dabei haben es die Autoren kleiner Völker an und für sich schon schwerer, den Versuchungen der Öffentlichkeit zu widerstehen. Unter welchem Titel auch immer, ob als „nationale Wiedergeburt” oder „sozialistischen Aufbau” verspricht man den Autoren literarische und materielle Effektivität. Die Werbekraft der kleinen Staaten auf den Kreis der Intellekutellen ist mächtiger als in Großstaaten, wo man es sich leistet, geistige Potenzen links oder rechts liegen zu lassen.

Die sorgfältig biographischen Notizen über die 23 hier vereinigten tschechischen Autoren beweisen es. Sie bilden, wie Zdenelc Kozmin in seinem Nachwort analysiert, eine Widerstandsgruppe der Innerlichkeit, denn sie versuchen das Vermächtnis der Intimität, des Geschichts- und My-thosbewußtseins zu bewahren, indem sie es einer veränderten Welt anzupassen versuchen.

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