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DAS CHRISTLICHE BEWUSSTSEIN

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Die großen Geschichtsepochen lehnte Georges Bernanos als Motive der Dichtung ab. Für ihn war nur die alltägliche, scheinbar unwichtige Gegenwart von Bedeutung, weil allein der einzelne Mensch vor Gott ewige Aktualität besitzt. Darin ähnelt er Dostojewski, mit dem der französische Romancier und Polemiker oft verglichen worden ist. Was ihn neben den großen Russen stellt, ist die Begegnung des Menschen mit Gott und dem Widersacher als Leitmotiv, der schonungslose Konflikt zwischen Wahrheit und Wahn, Liebe und Haß, Kraft und Schwäche des Gewissens und schließlich als Ausweg das Mysterium der Gnade. Doch während Dostojewski den Darstellungsmitteln seiner Zeit folgte, gelang es Berhanos, die Form des Romans zu sprengen: Die Handlung wird häufig unterbrochen. In „Die Sonne Satans“ bricht er unvermittelt die Geschichte des Mädchens an eifern äußeren Höhepunkt ab, in'jenem Moment nämlich, afe sie” ihren Geliebten erschossen’ hat. Scheinbar unmotiviert beginnt nun ein neuer Handlungsablauf mit dem Schicksal des Priesters, bis das Mädchen dem Priester gegenübersteht, der Zeugnis von Gott in einer Welt ablegt, die Gott haßt.

Die Romane von Georges Bernanos sind christliche Romane. Nicht weil Pfarrer als Hauptfiguren auftreten — das wäre auch in dürftigen Unterhaltungsromanen denkbar —, auch nicht, weil in den langen Dialogen theologische Probleme behandelt werden, sondern weil seine Romane vom christlichen Bewußtsein geprägt sind: „Seit Dante gibt es eine Hölle, seit Bernanos den Teufel.“ Aber das bedeutet nicht, daß Bernanos erfreuliche oder gar erbauliche Bücher geschrieben hat. Im Gegenteil. 1926 erschien „Die Sonne Satans“, ein Roman, der ein starkes Echo in der Öffentlichkeit fand. Bis kurz vor Ausbruch des Krieges folgten „Der Betrug“, jenes „Antlitz aus Stein, das wirkliche Tränen weint“ und in dem der Dichter als Schlüsselfigur jenen Professor Cėnabre beschreibt, dessen Denken gegen die Gnade gerichtet ist, der den Glauben verliert und schließlich die Empfindung des eigenen Ich. Ihm gegenüber steht der Beichtvater Abbe Chevance, der in armseliger Umgebung seine Pflicht erfüllt.

Im „Tagebuch eines Landpfarrers“ erkennt der Geistliche, daß die meisten Menschen nie ihr wirkliches Leben einsetzen und damit sich der Natur des menschlichen Schicksals nicht ebenbürtig erweisen. Der Roman kann ohne Übertreibung eine Untersuchung des Satanischen Reiches genannt werden, zu dessen Angehörigen auch jene Tochter der Gräfin zählt, die aus verstoßener Liebe revoltiert. In „Die tote Gemeinde“ ist das Finstere bereits so mächtig geworden, daß alle Unterschiede zwischen Gut und Böse verwischt worden sind. Eine besondere Bedeutung kommt dem erst posthum veröffentlichten Bühnenstück „Dialoge der Karmelitinnen“' zu. Es entstand nach der Novelle Gertrud von Le Forts „Die Letzte am Schafott“'. Vielleicht können wir es als eine Art von Vermächtnis des Dichters ansehen, der selbst jene Angst erlebte, die als Grundton durch seine Werke zieht. Die in der Novelle fehlende Todėsszene der Priorin ist bei Bernanos von entscheidender Bedeutung. Die junge Blanche erkennt: Jeder stirbt für den anderen, und ihr eigener Tod ist voller Zuversicht und Freude, weil eine andere in der Folterqual der Angst für sie starb.

Wer jedoch nur die Romane von Bernanos gelesen hat, kennt nur die Hälfte seines Werkes, denn der Polemiker Bernanos steht ebenbürtig neben dem Dichter. Subtile Wahrheiten stehen bei ihm neben schockierenden, anklägerisch vorgebrachten Tatsachen, hymnische Sätze neben kraftvollen Zornausbrüchen. Es sind Polemiken eines Visionärs, der die Geschichte mit Begriffen wie Gerechtigkeit, Ehre und Treue mißt und zu niederschmetternden Resultaten kommt, während die gleichen Worte für viele „Ahnungslose“ nur „hohle Wolkengebilde“ sind. Der revolutionäre Monarchist und spätere Demokrat Bernanos focht für verlorene Tugenden. Doch nie träumt er von einer Wiederkehr der Vergangenheit, er war kein Anbeter der angeblich „guten, alten Zeiten“. Er bejahte ausdrücklich die Französische Revolution, bevor sie in den Terror des modernen Kollektivismus ausartete. Als Christ sah er im Jahre 1789 die Verkündung der Brüderlichkeit. Bernanos war nicht bereit, der bürgerlichen Gesellschaft mehr moralischen Kredit einzuräumen als den totalitären Systemen. Im totalen Krieg sah er den stärksten Ausdruck der modernen Gesellschaft, die er als unchristlich brandmarkte, und immer wieder warnte er davor, zu Stützen einer Gesellschaft zu werden, die ihre Pflichten nicht erfüllen kann und sich daher nur mit Gewalt zu behaupten vermag. So ist es auch zu verstehen, daß seine schonungslose Anklage über die Greuel der Franco-Truppen im spanischen Bürgerkrieg „Die großen Friedhöfe unter dem Mond“ zur Abrechnung eines Moralisten mit der Geschichte wurde.

Wie sehr dieser auf eine neue Christenheit hoffende Pamphletist mit den Eigenschaften eines Propheten um die Probleme rang, zeigt sein Lebensweg. Aufgewachsen im Nordwesten Frankreichs — dem Schauplatz seiner Romane .—„studierte der 1888 in Paris geborene Georges Bernanos Jus und Literatur. Im ersten Weltkrieg erlebte er die furchtbaren Materialschlachten an der Somme und um Verdun. Jahrelang unterhielt er seine Familie als Versicherüngsinspizient. Nach dem Erscheinen seines ersten Romanes versuchte er sich als freier Schriftsteller in ständiger Nachbarschaft mit der Armut. 1937 bekam Bernanos für Sein „Tagebuch eines Landpfarrers“ den großen Romanpreis der Akademie. Der Dichter schien endgültig dem Zwang eines Verlegers entronnen, von dem er als Lieferant besserer Kriminalromane bevorschußt wurde. Doch 1938 wanderte Bernanos nach Südamerika aus, enttäuscht von der Erkenntnis, daß die westlichen Demokratien keine ebenbürtigen Gegner der Diktatoren sein konnten. 1945 rief ihn General de Gaulle zurück. Aber Bernanos lehnte ab, ebenso die Ehrenlegion und das Angebot der Academic Franęaise.Die vollkommene Unabhängigkeit des Schriftstellers blieb für ihn Voraussetzung der schriftstellerischen Freiheit. Besorgt um das neue Europa, eilte Bernanos von Vortrag zu Vortrag, um zur Jugend zu sprechen. Doch die Hoffnung auf eine wirkliche Neubesinnung gab er bald auf. Krank und enttäuscht zog sich Bernanos nach Tunis zurück. Am 5. Juli starb er in Neuilly. Das christliche Europa verlor nicht nur einen bedeutenden Romancier und Polemiker. Es verlor vielleicht einen der letzten Moralisten und Mahner.

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