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FRANCOIS MALRIAC

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Francois, Sohn des begüterten Weingutsbesitzers Mau-riac, unterwarf sich nicht den im Süden Frankreichs durch Besitz vorgeschriebenen Regeln. In seinem Roman über die „Aristokratie des Pfropfens“ („In diesen Kreisen“) läßt er seinen die Geschehnisse reflektierenden Helden folgende Erkenntnis vortragen: „Die Rangfolge bestimmte unseren Standort, ihre Scheuklappen bewahrten uns vor dem Schwindel, ihre Karten legten uns eine glückselige Passivität auf, das Etikett, das man uns auf den Rücken klebt, erspart die mühsame Suche nach einer eigenen Formel.“ Mauriac hat die Geldgier und den Geiz jener reichen Familien seiner Heimat, die Heiraten als Mittel zur Besitzausdehnung betrachten, in vielen Romanen dargestellt und die dabei geopferten Gefühle und Ideale beklagt, wie in „Therese Desqueyroux“ oder in „Das Geheimnis Frontenac“.

Mauriacs psychologisch überlegt komponierten Romane sind etwas leichtfertig als pessimistisch eingestuft worden. In Wirklichkeit sind seine Seelenanalysen lediglich von der melancholischen Erkenntnis über die Abgründe des menschlichen Herzens bestimmt. Von einem unabänderlichen Pessimismus kann eigentlich kaum die Rede sein. Und in der fragwürdigen Gattung des optimistischen Romans sieht Mauriac wohl mit Recht das Werken von Leuten, denen der Anblick des wirklichen Menschen unerträglich ist. („Ich bin ein Metaphysiker, der mit konkretem Material arbeitet. Ich erschaffe in Fleisch und Blut den Sünder, von dem uns die Theolögen eine abstrakte Idee vermitteln.“) Mauriac zeigt als Katholik immer den Ausweg, der alle Verfehlungen löst, und das gilt auch dort, wo die Tragik eine Handlung beendet: „Denn du kannst weinen“, die Geschichte eines Jungen, der vergeblich Zuflucht bei seinem Vater sucht und mit ihm gemeinsam den Tod im Wasser findet; „Galigai“, eine Liebesgeschichte, die zwischen Gier und Ekel endet, sind ebenso Beispiele hierfür wie „Das Natterngezücht“. Hier gibt der Dichter die Lebensbeichte eines von Gier und Haß gepeinigten Mannes wieder, der bei anderen Unrecht sucht und seine eigene Schuld entdeckt. Ähnliche Motive finden sich auch in Romanen wie „Das Ende der Nacht“, „Fleisch und Blut“, „Einöde der Liebe“, „Die Pharisäerin“.

Eine zentrale Bedeutung im Schaffen Mauriacs nehmen die Journale ein, Beispiele einer geistigen Autobiographie. Im „Bild meines Ichs“ klingt noch einmal die Einsamkeit nach, der große Feind seiner Jugend, und im Alter bleibt dann die große Frage unbeantwortet: „Warum habe gerade ich das Leben durchquert, ohne Schiffbruch zu erleiden?“ Alle Zerstreuung sieht Mauriac als Täuschungsmanöver an vor der ständigen Bedrohung des Todes. Die Freiheit der Kinder Gottes findet er am deutlichsten bei Pascal. .Über Gide, den „trotzigen Sünder“, und Bernanos, der das Böse seiner Meinung nach am stärksten erkannte, finden sich — wie überhaupt zur französischen Literatur — zahllose Anmerkungen im Journal. Auch im Band „Von Tag und Ewigkeit“ stößt Mauriac immer wieder zu zentralen Problemen vor, mag der Anlaß zur Niederschrift auch recht zufällig anmuten. Voller Sar-kasmus wendet sich Mauriac gegen jene Selbstgefälligen, die glauben, Gott belohnt seine Diener mit materiellen Vorteilen auf Erden: „Wir sollten uns ersparen, einen Gott auftreten zu lassen, der mit drei Nägeln an das Hochgerüst geheftet wurde.“

Als Meister des psychologischen Romans lag es für Mauriac nahe, sich auch als Biograph zu versuchen. Neben Pascal und Racine beschrieb er das Leben Jesu, wobei er vermied, das Menschliche an Christus zu verkleinern und das Verständnis ohne das historische Wissen des Nachgeborenen zu wecken vermochte. Der am 11. Oktober 1885 in Bordeaux geborene Francois Mauriac erhielt 1926 für „Die Einöde der Liebe“ den großen Romanpreis der Academie Frangaise. Neben zahlreichen Romanen trat Mauriac auch als Dramatiker und Lyriker hervor, vor allem aber auch als ständiger politischer Publizist. Unter Pseudonym erschienen während des Krieges Arbeiten im Verlag der Widerstandsbewegung, und zu seinen letzten Veröffentlichungen gehört eine Biographie de Gauiles, die zeigt, daß der Nobelpreisträger des Jahres 1952 seine Rolle als Nestor der französischen Literatur so vielseitig wie nur irgend möglich auffaßt.

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