Wie befangen und passiv die Deutschen - und nicht nur sie - noch immer gegenüber dem Thema Antisemitismus reagieren, bewies kürzlich eine Ausstellung mit aktuellem Material in Worms. Gleichzeitig wurde die deutsche Ausgabe der „Geschichte des Antisemitismus” von Leon Poliakov (Paris) vorgestellt, der auch einen Vortrag hielt.In der Ausstellung waren wichtige Dokumente zu sehen, die keines Kommentars bedürfen: Alphons Silbermanns beunruhigende Antisemitismus-Studie, die Titelseite einer rechtsradikalen Gazętte mit der Schlagzeile „6 Millionen vergaste Juden- die Lüge des
ödön von Horväths erstes Stück erlebte die vierte Uraufführung. In der ersten Fassung unter dem Titel „Revolte auf Cote 3018” 1927 an den Hamburger Kammerspielen, 1929 in der endgültigen Fassung an der Volksbühne Berlin, dann - vor nicht sehr langer Zeit - die österreichische bei den Komödianten in Wien und jetzt als westdeutsche Erstaufführung am Na- tional-Theater in Mannheim. Das Stück kann noch nicht als typischer Horväth bezeichnet werden. Ihm fehlt das Doppelbödige und Zwiespältige, der Wechsel vom Sentimentalen zum Abgründigen, vom Gutmütigen zum Bösartigen.In der
Welch herzerfrischende Wohltat, einmal ein Nachwort zu einer Werksausgabe lesen zu können, in dem statt einer lauwarm dahinplätschernden Laudatio ein Skandal deutlich ausgesprochen wird, der darin bestand, daß ein bedeutender Schriftsteller von der Nachkriegsgesellschaft fast ganz vergessen worden ist. Es handelt sich um Otto Flake, den der damalige Lektor Rolf Hochhuth wiederentdeckte. Mit der jetzt bei S. Fischer erschienenen Werkauswahl präsentiert Rolf Hochhuth Otto Flake abermals. Und er verdammt jene oberflächlichen Kritiker - um genau zu sein, gemeint ist Hans Albert Walter -, die glauben, Flake herablassend abtun zu können, weil er angeblich unpolitisch gewesen ist.
In seinem neuen Buch beschreibt Hermann Gail die widersprüchliche Mischung aus handfestem Amüsierbetrieb und tristem Selbstbetrug am Beispiel des Wiener Praters, Zu-flucbts- und Aufenthaltsort gescheiterter Existenzen, kleiner Ganoven, Spieler, Trinker, Betrüger, Schnorrer, Prostituierter nebst Gefolge, die von der Naivität Neugieriger profitieren. Um sich nun nicht mit oberflächlichen Impressionen aufhalten zu müssen, schlüpft Gail als Erzähler in die Rolle eines Praterbruders, der gelegentlich als Fälscher gearbeitet hat, vorübergehend als Deutschlehrer für Ausländer tätig ist
Bislang war das Schriftstellerhandwerk eine friedliche Angelegenheit für Leute mit Tinte und viel Sitzfleisch. Das ist jetzt vorbei, denn aus Paris kommen beängstigende Nachrichten. Es begann mit Flugblättern und Wandinschriften gegen die „schurkische und korrupte“ Institution der Academie Goncourt. Den zehn Juroren war ein Schicksal zugedacht, ähnlich jenem der zehn kleinen Negerlein: „Versenkt euch, sonst werden wir euch versenken!“ Als Pointe explodierte dann neben der Gasleitung einer Jurorin ein Molo-tow-Cocktail. In den Wohnungen von zwei Literaturkritikern kam es zu
Die Festwochen zum 950. Todestag von Bischof Burchard, dem Erbauer des Doms, begannen mit der Ausstellung „Wormatia Sacra“ im Andreasstift. Wer in der Schule das frühe Mittelalter versäumt hat, sei daran erinnert, daß Burchard von Kaiser Otto III. das Bischofsamt im Jahre 1000 erhielt. Kaiser Heinrich II. war übrigens bei der Einweihung des Dom-Neubaus anwesend, von dessen damaligem Zustond noch immer erhalten gebliebene Teile zeugen. Als bedeutendstes Erbe hinterließ Burchard den Grundriß des heutigenDomes, der bei Dehio-Gall die folgende Charakterisierung findet: „Unter den
Als Leser sind alte Menschen Stiefkinder im heutigen Kulturbetrieb. Das wird in der Untersuchung „Plädoyer für die alten Leser“ deutlich. Verfasser ist Ludwig Muth, Leiter des Herder-Verlages, also ein Mann der Praxis. Er wertete neben bereits vorliegenden Statistiken eigene Umfragen aus. Sein Fazit: Das Lesebedürfnis alter Menschen ist noch gar nicht entdeckt worden, sieht man von Großdruckschriften ab. Hinzuzufügen wäre gleich, daß diese Großdruckschriften, Traktätchen, meist eine heile Welt vorgaukeln, die dem alten Menschen kaum weiterhilft.Zwar richtet sich die Untersuchung
Die Inflation fordert auch von den Museen ihren Tribut. Nicht nur, daß bei sprunghaft steigenden Versiche-rungs- und Transportkosten international bedeutsame Ausstellungen wohl nur noch in Landeshauptstädten möglich sein werden, viele Musentempel werden auf Sparflamme kochen müssen. Das gilt auch für die bislang oft noch recht üppigen Ausstellungskataloge, in denen sich neben einem wichtigen Bildteil die Herren Direktoren langatmig äußern. Sie verwechseln Einführungen für Besucher gern mit Bildnachweisen durch Akademiker. In Zukunft wird hier zwangsläufig die Würze in der Kürze
Nach vielem Hin und Her haben sich die Verantwortlichen in Kassel entschlossen, ihre Galgenfrist um ein Jahr zu verlängern: die nächste „documenta“, die sechste, findet erst 1976 statt. Zweifellos eine realistische Entscheidung, schließlich sind an diese Superschau in Sachen Kunst strenge Maßstäbe anzulegen, denn auf Grund des früheren Zuspruchs bleibt die „documenta 6“ zum Erfolg verdammt. Aber da wäre das Personalproblem.In den vergangenen Monaten sind viele, zu viele Exposes auf die Schreibtische geflattert und anschließend in den Papierkörben gelandet. Viele Köpfe, viele
Die goldene Zeit des Buchhändlers als Förderer der Literatur ist in der Bundesrepublik seit etwa einem Jahrzehnt aus und vorbei. Der literarisch engagierte Sortimenter hat es heute schwer, anspruchsvolle Neuerscheinungen zu verkaufen, denen er persönlich besondere Bedeutung zumißt. Diese Wirkung erzielen heute fundierte Rezensionen der Presse viel systematischer. Außerdem hat sich die Einstellung des lesenden Publikums gewandelt, vor allem in der jüngeren Generation. Es sucht nicht mehr in dem Maße wie die Älteren das Gespräch über Neuerscheinungen. Der Leser von heute kommt mit
Seine Tagebücher gehören zu den bleibenden Zeugnissen des geistigen Frankreichs um die Jahrhundertwende. Es sind religiöse Dokumente eines Verzweifelten und Zornigen, der außerhalb der oberflächlichen „Belle Epoque“ lebte. Mit seinen Warnungen behielt er leider Recht, Operettenklänge verwandelten sich zum Granatengeheul des ersten Weltkriegs, Bloys Prophezeiungen vom „Kanonendonner“ trafen edn. Lėon Bloy, Franzose, Jude, Katholik, srtand im Widerspruch zu einer Gesellschaft, und seine radikale Ablehnung aller damals gültigen Herrschaftssysteme und Wertvorstellungen machte auch
Wenn wir Hilaire Belloc Glauben schenken, dann sprach ihn einmal ein steinerner Engel der Kathedrale von Chartres an, um ein Motto für eine Sonnenuhr zu bekommen. Doch leider kam es zu keiner Übereinkunft. Die allzu irdische Eitelkeit des Engels erwies sich als ebenso störend wie die schlechten Reime Bellocs. Mit derartigen Geschichten gelang es Belloc meisterhaft, Emst hinter Scherzen zu verstecken und seine Leser zu überraschen. Belloc war nicht nur ein origineller Kauz, sondern auch ein ungemein fleißiger Schreiber: 156 Bücher stammen von ihm, Gedichte und Vers- geschichten für
Als Zeuge für die Wahrheit, als Märtyrer der verfolgten und bedrängten Kirche, starb am 2. Februar 1945 — kurz vor dem Ende der braunen Gewaltherrschaft — Jesuitenpater Alfred Delp als Opfer des „Volksgerichtshofes“. Mit seinem Tod legte er Zeugnis ab für den Widerstand des deutschen Katholizismus, getreu seiner Uberzeugung, daß „die Geschichte innerhalb ihrer Ordnung und ihrer Möglichkeiten auf das Zeugnis und die Entscheidung des Menschen gestellt ist“. Das Mitleid mit seinem Volk, das sich den Scharlatanen ausgeliefert hatte, ließ ihm keine andere Wahl.
Die großen Geschichtsepochen lehnte Georges Bernanos als Motive der Dichtung ab. Für ihn war nur die alltägliche, scheinbar unwichtige Gegenwart von Bedeutung, weil allein der einzelne Mensch vor Gott ewige Aktualität besitzt. Darin ähnelt er Dostojewski, mit dem der französische Romancier und Polemiker oft verglichen worden ist. Was ihn neben den großen Russen stellt, ist die Begegnung des Menschen mit Gott und dem Widersacher als Leitmotiv, der schonungslose Konflikt zwischen Wahrheit und Wahn, Liebe und Haß, Kraft und Schwäche des Gewissens und schließlich als Ausweg das Mysterium
Am 15. September wäre Alfred Delp 60 Jahre alt geworden. „Wenn ich sterben muß, weiß ich wenigstens warum. Wer weiß das schon heute von den vielen.“ Diesen Satz schrieb ein politischer Häftling des Naziregimes wenige Tage vor der Hinrichtung mit gefesselten Händen: Der Jesuitenpater Alfred Delp. Mit Helmuth Graf von Moltke und weiteren Angehörigen des Kreisauer Kreises wegen Hochverrats vom berüchtigten Volksgerichtshof angeklagt, gehörte Alfred Delp zv, jenen Menschen, deren Opfertod Mahnung für Uberlebende und Nachfolgende bleibt.Als Gymnasiast konvertierte Alfred Delp in
Schlichter Glaube, mannhafte Selbstbehauptung, Opferkraft und Bekennermut prägten die Erscheinung jenes Mannes, der als Bischof von Münster weit über sein Amt hinauswuchs.Clemens August von Galen entstammte einer alten westfälischen Adelsfamilie, die seit dem 10. Jahrhundert im Oldenburger Münsterland ansässig ist und im Laufe der Generationen viele Priester, Theologen und Ordensfrauen stellte. Als Sohn des Erbkämmerers von Galen wurde Clemens August streng, wenn nicht spartanisch erzogen. Frühzeitig prägte sich im Elternhaus das Bewußtsein sozialer Verantwortung für den Nächsten.
Unter den italienischen Schriftstellern der Gegenwart ist Giovanni Papini auch heute noch die faszinierendste Gestalt, obwohl der am 9. Jänner 1881 in Florenz geborene Journalist und Dichter nicht mehr am Leben ist. Am 8. Juli 1956 wurde Papini in seiner Heimatstadt zu Grabe getragen, geschmückt mit einer Medaille von Papst Pius X. auf seiner braunen Franziskanerkutte. Seine letzten Lebensjahre inmitten seiner Bibliothek von dreiundzwanzigtausend Bänden waren qualvoll. Fast gelähmt und blind, diktierte Papini folgende Worte: „Ich habe den Gebrauch meiner Beine, meiner Arme, meiner Hände
Francois, Sohn des begüterten Weingutsbesitzers Mau-riac, unterwarf sich nicht den im Süden Frankreichs durch Besitz vorgeschriebenen Regeln. In seinem Roman über die „Aristokratie des Pfropfens“ („In diesen Kreisen“) läßt er seinen die Geschehnisse reflektierenden Helden folgende Erkenntnis vortragen: „Die Rangfolge bestimmte unseren Standort, ihre Scheuklappen bewahrten uns vor dem Schwindel, ihre Karten legten uns eine glückselige Passivität auf, das Etikett, das man uns auf den Rücken klebt, erspart die mühsame Suche nach einer eigenen Formel.“ Mauriac hat die Geldgier