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Horvaths Erstling in Mannheim,

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ödön von Horväths erstes Stück erlebte die vierte Uraufführung. In der ersten Fassung unter dem Titel „Revolte auf Cote 3018” 1927 an den Hamburger Kammerspielen, 1929 in der endgültigen Fassung an der Volksbühne Berlin, dann - vor nicht sehr langer Zeit - die österreichische bei den Komödianten in Wien und jetzt als westdeutsche Erstaufführung am Na- tional-Theater in Mannheim. Das Stück kann noch nicht als typischer Horväth bezeichnet werden. Ihm fehlt das Doppelbödige und Zwiespältige, der Wechsel vom Sentimentalen zum Abgründigen, vom Gutmütigen zum Bösartigen.

In der „Bergbahn” geht es gradliniger, nüchterner, ja „preußischer” zu, trotz des bayrischen Dialekts. Horvath zeigt jene dumpfe Resignation und Existenzangst der zwanziger Jahre, die heute in der Bundesrepublik vielleicht zum erstenmal nachempfunden werden kann. Drei soziale Schichten stehen gegeneinander, eine Gruppe von Arbeitern, der für den Bau verantwortliche Ingenieur, halb Faust, halb Antreiber, als Vertreter des Mittelstandes (Berthold Toetzke) und ein von der Bank abhängiger Direktor der Bergbahn AG (Heiner Kollhoff). Gültigkeit hat allein das Gesetz des Fressens und Gefressenwerdens. Der Ingenieur beschwichtigt die um ihre Arbeit bangenden Arbeiter, sie würden auch nach dem zu erwartenden Wettersturz weiterbeschäftigt, obwohl ihre Entlassung längst beschlossen ist Als ein in den Bergen ungeübter Hüfs-

arbeiter, der Friseur Schulz, abstürzt und nicht aufgebahrt werden darf, weil erst die Arbeiten beendet werden sollen, kommt es zur Rebellion. Der Ingenieur schießt zwei der von ihm in provozierender Form gefeuerten Arbeiter nieder und stürzt selbst in die Tiefe. In der Schlußszene erfahren der in der Hütte zurückgebliebene Direktor und die Magd Monika Baumgartner) von der Katastrophe.

Die Gewaltszenen des Stückes werden in der Inszenierung von Jürgen Bosse fast naturalistisch im Sinne Hauptmanns ausgespielt. Wie der eifersüchtige Arbeiter Moser (Emst Alisch) den Friseur (Peter Riihring) niederschlägt, wie der Friseur stirbt und später der besonnene Oberle (Adolf Laimböck) sowie Moser, das läßt sich direkt, unreflektiert darstellen. Nur die wilde Schlußszene hätte unbedingt Retuschen oder noch besser energische Striche verdient Bezeichnenderweise wirkt die Atmosphäre am Schluß ebenso wie die Anfangsszenen viel intensiver, als das Spektakulum von Mord und Totschlag, weil sie Horväths Talent für innere Spannungen zeigen. Alfred Kerrs Urteil über dieses Stück hat auch für Mannheim noch Gültigkeit: „Nicht im Bau steckt sein Vorzug, sondern in der Füllung.”

Für die Darsteller der Arbeiter boten sich bemerkenswerte Möglichkeiten zur Identifikation mit ihren Rollen, da es bei der Unfähigkeit zur Artikulation auf jede Andeutung, jede Geste ankommt. Die Regie suchte eine zusätzliche Wirkung durch die Einbeziehung der Natur als Schicksalsmacht zu erzielen. Das war ein Mißgriff. Wenn von einer grauen Zeltplane Was ser rieselt, so mag das noch angehen; aber Nebelschwaden, Windgeheul und rieselnder Schnee hätten besser in ein Wintermärchen gepaßt. Dagegen entsprach das Bühnenbild von Herbert Wemicke mit einer engen Berghütte, die bei Szenenbeginn stets nach vorne geschoben wird, der beklemmenden Situation. Wie übrigens die Szenenfotos von 1929 im Programmheft zeigen, ist das Stück damals sogar mit Bergkulissen gespielt worden, in denen herumgekraxelt wird; 1976 wäre so nur ein Lacherfolg zu erziehen gewesen.

Trotzdem folgte das Publikum gebannt der ohne Pause ablaufenden Premiere. Zum Schluß gab es langanhaltenden Beifall, der das Ensemble immer wieder an die Rampe rief. Die Horväth-Renaissance macht auch vor den schwächeren Stücken dieses Autors nicht halt.

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