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Der Pilger des Absoluten

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Seine Tagebücher gehören zu den bleibenden Zeugnissen des geistigen Frankreichs um die Jahrhundertwende. Es sind religiöse Dokumente eines Verzweifelten und Zornigen, der außerhalb der oberflächlichen „Belle Epoque“ lebte. Mit seinen Warnungen behielt er leider Recht, Operettenklänge verwandelten sich zum Granatengeheul des ersten Weltkriegs, Bloys Prophezeiungen vom „Kanonendonner“ trafen edn. Lėon Bloy, Franzose, Jude, Katholik, srtand im Widerspruch zu einer Gesellschaft, und seine radikale Ablehnung aller damals gültigen Herrschaftssysteme und Wertvorstellungen machte auch vor einem konventionellen Christentum nicht halt. Den Tiefpunkt des kirchlichen Lebens empfand Bloy besonders schmerzlich. Er bejahte das Lei den: Bloy bait Gott um Qualen, die er geduldig zu ertragen wußte. Zu dieser inneren Einstellung kam seine Unfähigkeit zu Kompromissen, seine Ungerechtigkeit anderen gegenüber, sein völliges Scheitern im Alltag. Karl Pfleger hat davon gesprochen, daß Bloy alles andere als eine Gestalt wäre, „die man auf den Altar kritikloser Verehrung stellen kann“.

Sein Leben war eine endlose Kette von Demütigungen und Enttäuschungen: „Ich bin traurig geboren, traurig in einer fürchterlichen Art, dem Unglück verhaftet.“ Für Bloy besaß das Unglück eine tiefere Dimension nämlich die natürliche Anziehungskraft für den Christen, da es die Schmerzen Christi offenbart. Nur aius der Leidensfähigkeit des Menschen war für Bloy der eigentliche Sinn der Ge schichte erkennbar, und alles Geschehen fußte für ihn im Absoluten, Religiösen. Bloy sah im Gebet die Arbeit des Freien. Doch seine Umwelt sah in der Arbeit das Gebet, und das war für Bloy Beweis eines Sklavendaseins. Mit Schrecken erkannte er den „seelisch entkräfteten“ Menschen, der zum hilflslosen Spielball scheinbar imbegreiflicher Mächte geworden wan Im praktisch veranlagten Menschen sah er den „Halbgott der bürgerlichen Welt“, der als Ersatz für den Heiligen diente; in der stum- fen Zufriedenheit des Bürgers Versuchungen und Gefahren für das Christentum, denn „das Schlimmste ist nicht, Verbrechen zu begehen“, sondern „das Gute nicht getan zu haben“. Ein derartig entschiedener Christ mußte als Störenfried wirken…

1846 in Südfrankreich als Sohn eines kleinen Beamten geboren, besuchte Bloy das Gymnasium nur bis zur Quarta. Die Lektüre der Kirchenväter, Mystiker und Philosophen formte ihn. Der Zufall führte zu einer Begegnung mit dem Schriftsteller Barbey d’ Aurevilly, dessen Sekretär er wurde. In seinem Mentor dah Bloy aber bereits jenen Typ verkörpert, für den Religion nur eine ästhetische Formel bedeutet. Alls Journalist konnte sich Bloy nicht durchsetzen. Seine Wahrheitsliebe und unbeirrbare Frömmigkeit erwiesen sich trotz seiner Begabung als unüberwindbares Hindernis. Unter Kollegen galt er als Narr. Heute könnten wir Bloy einen Nonkonformisten nennen. Nur ein knappes Jahr war er als Angestellter der Staatseisenbahnen tätig. Doch diesen Posten gab er auf Grund leerer Versprechungen auf. Zu dieser äußeren Misere kamen noch persönliche Konflikte durch die Begegnung mit Anne-Marie, jener armen Näherin, die er von ihrem leichtsinnigen Lebenswandel abbringen konnte. Sie erlebte später eine intensive religiöse Dekade, die sich zu mystischer Verzückung steigerte, erblindete und endete dm Wahn. Im stark autobiographisch gefärbten Roman „Der Verzweifelte“ hat Bloy in der Heldin Veronique dieses an Dostojewski mahnende Schicksal geschildert.

Bloy versuchte sich auch als Herausgeber einer eigenen Zeitschrift. Doch dieses Projekt scheiterte bald — wie alle seine Berufspläne. 1890 heiratete er die

Dänin Johanne Molbeck, eine junge Frau mit einem Gespür für die Größe und Güte des Verachteten. Doch an seiner Armut sollte sich kaum etwas ändern. Zwei von vier Kindern verhungerten, und Bloy kam sogar in die trostlose Situation, Möbel verbrennen zu müssen, damit seine Familie nicht erfror. Haßausbrüche und Bettelbriefe bestimmten seinen Alltag. Seine Bücher fanden zudem kaum Leser. Erst im Alter konnte er die Isolierung durchbrechen, Freunde und Schüler sammelten sich um ihn, darunter Jacques Maritain. Dennoch war der Einfluß auf Zeitgenossen groß, auch Berdjajew gehörte zu seinen Bewunderern, und Maeterlinck entdeckte bei Bloy ^deutliche Zeichen von Genialität, wenn man unter Genialität Einblicke versteht in die Tiefe“ und verglich sein Werk mit dem König Lear. Auch Claudel und Bemanos hatten ihm Entscheidendes zu verdanken, ganz abgesehen davon, daß Bloy nach seinem Tode im Jahre 1917 auch außerhalb des christlichen Lagers entdeckt worden ist. Heute wird er im gleichen Atemzug mit Nietzsche und Kierkegaard genannt.

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